© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/06 17. Februar 2006

"Gleicher Abstand zu den Lagern"
Der konservative Vordenker Günter Rohrmoser über eine "dritte Position" im Konflikt zwischen Islam und liberalem Establishment
Moritz Schwarz

Herr Professor Rohrmoser, Sie gelten als einer der engagiertesten konservativen "Kulturkämpfer" Deutschlands und warnen seit langem sowohl vor dem Vordringen des Islam als auch vor der Vorherrschaft der "Political Correctness". Gerade ist die Messe Leipzig mit ihrem Versuch gescheitert, der JUNGE FREIHEIT die Beteiligung zu verbieten. Also alles bestens mit der Pressefreiheit in Deutschland?

Rohrmoser: Derzeit ist viel davon zu hören, daß uns die Pressefreiheit ein "heiliges" Gut ist. Wenn dem so ist, dann frage ich mich allerdings, warum sie nicht ein ständiges Thema ist. Denn Gefahr droht ihr ja nicht erst jetzt aus islamischer Richtung, sondern schon lange in Gestalt der Political Correctness. Es ist doch bemerkenswert, daß in unserer Öffentlichkeit über das Vorhandensein einer solchen Political Correctness Konsens besteht, wir gleichzeitig aber völlig unbefangen von Pressefreiheit sprechen.

Man könnte einwenden, so schlimm wie im Fall der Mohammed-Karikaturen sind die Sanktionen, die die "Political Correctness" nach sich zieht, allerdings nicht.

Rohrmoser: Den Morddrohungen im Falle der Karikaturen steht Mord im Falle der Political Correctness gegenüber - denken Sie etwa an Pim Fortyun. Der einen Entlassung des Chefredakteurs der französischen Zeitung France Soir in Fall der Karikaturen stehen etliche solche Fälle als Konsequenz der Political Correctness gegenüber. Den verbrannten Fahnen steht die gesellschaftliche "Verbrennung" oder Vernichtung von sozialen Existenzen gegenüber. Den Brandanschlägen gegen Botschaften stehen zahlreiche Gewalttaten gegen jene, die durch die Political Correctness als Feinde markiert wurden, gegenüber. Denken Sie zum Beispiel an den Brandanschlag auf Ihre Druckerei 1994. Hat damals auch nur eine Zeitung erklärt, auch wenn sie mit dem Inhalten Ihrer Zeitung nicht übereinstimme, so drucke sie nun dennoch - aus Solidarität und mit Blick auf das hohe Gut der Pressefreiheit - Artikel der JUNGE FREIHEIT nach?

Der Fall "Messe Leipzig" ist zweischneidig: Denn der versuchten Zensur steht die - teilweise relative - Solidarität anderer Medien gegenüber, ohne die die JUNGE FREIHEIT sich nicht hätte durchsetzen können.

Rohrmoser: Wann haben Ihre Kollegen denn über den Vorgang berichtet und ihre Unterstützung deutlich gemacht? Etwa als Ihnen der Zutritt zur Messe verweigert wurde? Nein, erst als sich bereits zahlreiche Prominente in einem "Appell für die Pressefreiheit" für Sie engagiert haben. Um die Pressefreiheit allein ging es nicht. Ohne ein Zeichen, daß Sie nach Meinung einiger namenhafter Persönlichkeiten irgendwie mittlerweile "dazugehören", hätte sich niemand für Sie interessiert. Streng genommen ist das kein Sieg für die, sondern für Ihre Pressefreiheit.

Muß man also feststellen, daß Artikel 5 des Grundgesetzes - Garantie der Pressefreiheit - zu "grobschlächtig" für die komplexe soziale Realität ist?

Rohrmoser: Es gibt natürlich immer ein Gefälle zwischen der abstrakten gesetzlichen Regelung und der sozialen Realität. Aber Kant etwa vertrat die Meinung, wenn das Recht auf die öffentliche und konsequenzlose Äußerung der eigenen Meinung eingeschränkt, bedroht oder abgeschafft ist, ist das freie Denken selbst eingeschränkt, bedroht oder abgeschafft. Und keine Demokratie kann sich liberal nennen, die die Bedingungen für dieses Denken nicht gewährleistet.

Müssen wir also differenzieren, etwa in eine "passive" - Schutz vor staatlicher Zensur - und eine "aktive" Pressefreiheit, sprich Garantie der "Konsequenzlosigkeit" der Meinungsäußerung?

Rohrmoser: Wir sollten uns nicht der Utopie einer totalen Pressefreiheit hingeben, denn natürlich greift jeder, der seine Meinung äußert - besonders wenn er dies entgegen dem Zeitgeist tut -, in eine politische und gesellschaftliche Realität ein. Und dies wird immer Folgen haben. Die Frage ist aber, wie gehen wir damit um? Und da, so muß man feststellen, werden unsere Journalisten ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht - und erst recht nicht denen Kants. Was die Etablierten, ob in Politik oder Presse, offenbar nicht verstehen, ist, daß Freiheit ohne Risiko nicht zu haben ist. Das heißt, wirkliche Meinungsfreiheit und das völlige Fehlen "skandalöser" Meinungen "geht nicht zusammen". Solche Meinungen sind im Gegenteil immer ein Zeichen für echte Meinungsfreiheit.

Wenn die Pressefreiheit bei uns also nicht unteilbar ist, dann liegt doch der Verdacht nahe, daß es gar nicht um eine Freiheit geht, sondern um ein Interesse. Ist das Postulat der Pressefreiheit also nur ein Instrument derer, die davon profitieren?

Rohrmoser: Ein ehemaliger FAZ-Journalist hat einmal gesagt, die Pressefreiheit sei nichts weiter als die Freiheit von 200 Leitartiklern, ihre Meinung zu äußern. Etwas freundlicher könnte man formulieren: Pressefreiheit endet stets an der Gesinnungsfront der Journalisten, die sie wahrnehmen.

Dann wäre im Falle Dänemark die Solidarität gegen die islamischen Drohungen und Proteste keine Solidarität mit der Freiheit, sondern mit den gesellschaftlichen Interessen der etablierten, politisch korrekten Journalisten?

Rohrmoser: Beides! Denn sowohl drückt sich in den Forderungen der Muslime - über das berechtigte Gefühl der Verletzung ihres religiösen Empfindens hinaus - ein gefährlicher Anspruch auf kulturelle Hegemonie des Islam in Europa aus als auch in dem Beharren des etablierten Milieus auf "Pressefreiheit" der Wille, sich die kulturelle Hegemonie von dieser neuen Macht nicht streitig machen zu lassen. Damit erinnert die Forderung, sich im "Kampf der Kulturen" auf die Seite der "Pressefreiheit" zu stellen, an die Methode nach der kommunistische Parteien in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil erfolgreich versucht haben, bürgerliche Kräfte unter dem Motto "Kampf gegen den Faschismus" zum Zwecke der eigenen Machtergreifung und -erhaltung zu instrumentalisieren. Ein Prinzip, das uns heute als Legitimierungsstrategie der PDS, des "Kampf gegen Rechts" oder in der zeitgeistkonformen Geschichtspolitik wiederbegegnet.

Naiv ist es also, sich des doppelten Charakters der Pressefreiheit nicht bewußt zu sein: der idealistischen Variante - die beansprucht, für alle verbindlich zu sein - und der egoistischen, die der Durchsetzung der eigenen Ziele dient.

Rohrmoser: Ich bezweifle, ob diese Kategorisierung weiterhilft, denn ich glaube nicht daran, daß das abstrakte Prinzip der Pressefreiheit in der Realität umsetzbar ist. Sie "vollzieht" sich vielmehr nach den Gesetzen der Konformität, der Opportunität und der möglichen negativen Konsequenzen. Das bedeutet, sie steht und fällt in ihrem moralischen Gehalt mit dem Ethos und Charakter desjenigen, der sie "ausübt". Und natürlich kann eine Gesellschaft - auch eine Demokratie - nicht ohne einen Konsens bestehen. Demzufolge muß auch hier die Pressefreiheit an den Konsens gebunden sein.

Was sagt uns dann der Umstand, daß unsere Pressefreiheit etwa beim Thema Holocaust endet?

Rohrmoser: Es ist absolut richtig, daß bei der Behandlung des Themas Holocaust der Pressefreiheit gewisse Grenzen gezogen werden. Aber ich darf darauf hinweisen, daß bei uns die Pressefreiheit schon sehr viel früher endet. Etwa wenn es praktisch keinen Journalisten mehr gibt, der es im Alltag noch wagt, vom deutschen Volk zu sprechen - sogar dann nicht, wenn der Begriff Bevölkerung das Gemeinte gar nicht trifft. Aber was Sie ansprechen, führt uns direkt zum Kern des Problems, und die Antwort darauf hat Joschka Fischer gegeben, als er davon sprach, der Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland sei Auschwitz.

Solidarität mit einer so konnotierten Pressefreiheit bedeutet also Pressefreiheit à la Joschka Fischer?

Rohrmoser: Also wundern Sie sich nicht, wenn Ihr Anspruch auf Presse- und Meinungsfreiheit - nachdem Sie bei der Abwehr des Islam behilflich waren - erneut mit Hieben mit der Faschismuskeule quittiert wird.

Was bedeutet das für den Konservativen?

Rohrmoser: Äquidistanz! Also gleicher Abstand zu beiden Lagern! Sich ebensowenig in die Logik des Machterhalts der etablierten Eliten drängen zu lassen wie in eine unreflektierte Solidarität mit den beleidigten Moslems. Denn der abendländische Europäer steht hier zwischen einer europäischen Gesellschaft, der im Grunde nichts mehr heilig ist, und einer, der zwar etwas heilig, die aber nicht europäisch ist.

Der britische Historiker Eric Hobsbawm spricht davon, daß wir es bei der westlichen Gesellschaft längst nicht mehr mit einer europäischen Kultur, sondern nur einer Kultur der Moderne in Europa zu tun haben.

Rohrmoser: Christliches Abendland und "Westen" sind eben zwei verschiedene Dinge. Während das Abendland auf die eigene Identität und die eigenen kulturellen Wurzeln gerichtet ist, ist der Westen auf die Relativierung dieser Werte - in und außerhalb Europas - gerichtet. Die Freiheit war dem christlichen Abendland einst ein Mittel zur Erhaltung seiner Kultur, dem Westen ist sie Selbstzweck. Die Frage ist aber, ob eine Gesellschaft, der nichts heilig ist, die selbst die Wahrheitsfrage als demokratiefeindlich eliminiert hat, noch in der Lage ist, der Freiheit eine Grenze zu ziehen, wie das im christlichen Abendland noch selbstverständlich war. Aus dieser Sicht ist der Skandal weniger, daß die Moslems so protestieren, wenn wir ihren Propheten beleidigen, als vielmehr, was an antichristlichen und antiwestlichen Karikaturen in der moslemischen Welt kursiert, ohne daß wir uns auch nur im mindesten darüber aufregen. Ein intelligenter Moslem kann doch bei Analyse der beiden Reaktionsmuster nur zu dem Schluß kommen, daß dieses Abendland, dieser Westen sich aufgegeben hat. Dieses Europa verteidigt sich geistig nicht. Es schickt freilich bei Bedarf Schecks und Waffen, aber da, wo es im Kern herausgefordert wird, in seinem originären Werte- und Kulturbegriff, hat es die Stellung längst geräumt.

Das ist der Punkt, an dem auch Sie vom "Kampf der Kulturen" sprechen.

Rohrmoser: Ich habe in der Vergangenheit stets mit Huntington vor dem "Kampf der Kulturen" gewarnt. Dafür wurde ich von den Vertretern des "Multikulti" der Agitation für diesen Kampf bezichtigt. Heute haben wir es zunehmend mit Apologeten zu tun, die - da sie sehen, daß sich andere Kulturen dem Westen mit seinem "Multikulti"-Konzept nicht freiwillig ergeben - eine Unterwerfung dieser Kulturen, notfalls mit Gewalt, unter den Primat der Aufklärung fordern. Wenn das allerdings die Grundlage für den Dialog mit dem Islam sein soll, dann wird es mit dem Islam keinen Dialog geben können! Die logische nächste Stufe ist dann die - bewaffnete? - Eskalation. So wie wir, die "Kampf der Kulturen"-Warner, den multikulturellen "Kampf der Kulturen"-Leugnern als "Kriegstreiber" erscheinen, erscheinen wir gegenüber den "Kampf der Kulturen"-Apologeten als Deserteure oder gar Kollaborateure. Von den einen trennt uns, daß wir bereit sind, diesen Kampf notfalls zu führen. Von den anderen, daß wir nur notfalls bereit sind, ihn zu kämpfen. - Wir müssen endlich erkennen, daß es sich beim Islam um eine Religion handelt, und müssen ihn in diesem Anspruch ernstnehmen.

Sie meinen, weil uns diese Erkenntnis helfen würde, auch zurück zur kulturellen Substanz Europas zu gelangen. Was verstehen Sie darunter?

Rohrmoser: Die Radikalen, also jene Liberale, die beanspruchen, ihren Liberalismus nicht nur in Europa zu verteidigen, sondern den Islam auch in seiner eigenen Hemisphäre als "bösartig", "faschistoid" und "zurückgeblieben" anzugreifen, setzen zu diesem Zweck auf ein Spektrum an Mitteln vom social engineering bis zur intelligenten Bombe. Das Religiöse des Islam ist für sie dabei nur eine Projektionsfläche für ihre Angriffslust. Sie übersehen, daß aber genau dies die Ebene der Auseinandersetzung ist! Man betrachte zum Beispiel ihren vergeblichen Versuch, die Lage im Irak mittels Militär, Wahlen und dem Aufbau einer "Zivilgesellschaft" in den Griff zu bekommen. Sie verstehen offenbar nicht, daß die Fragen des "Kampfes der Kulturen" nicht mehr aus der Politischen Ökonomie, also aus den Sozial- und Politikwissenschaften formulierbar sind, sondern daß mit dieser Auseinandersetzung Theologie und Religion auf die Weltbühne und in die Weltgeschichte zurückgekehrt sind. In Europa waren diese nur deshalb zeitweilig zugunsten der Politischen Ökonomie verschwunden, weil sich die Konflikte hier innerhalb einer Kultur abgespielt haben.

Das bedeutet, daß Europa diese Auseinandersetzung verlieren wird?

Rohrmoser: Wer vermag das zu sagen? Es bedeutet zunächst einmal, daß wir vergleichsweise schlecht gerüstet sind. Die wirklich intelligenten Leute begreifen, daß wir den Konflikt des 21. Jahrhunderts zwischen Moderne und Tradition nicht mit der Preisgabe der eigenen Tradition - allerdings auch nicht mit der starren Beibehaltung derselbigen - bewältigen können. Die Frage ist, gibt es eine Verbindung zwischen Islam und Moderne, zwischen Aufklärung und Tradition? Der Islam verteidigt seine Tradition gegen die Moderne, wir verteidigen die Moderne gegen die Tradition. Damit ist die eine Position in sich genauso problematisch wie die andere. Aber schauen Sie nach Osten: Was tun dort die Gebildeten im Islam oder auch in China? Sie lesen Hegel! Hegel ist dort neben Heidegger der wichtigste westliche Philosoph geworden. Warum? Weil sich die Intellektuellen dort dafür interessieren, wie ihr Herkommen mit der Moderne verbunden werden kann. Gibt es bei uns ein gleiches Bemühen? Statt uns der Versöhnung mit unserer eigenen Tradition zu widmen, erstreben wir die Überwindung auch noch der Traditionen der anderen. Damit wiederholt sich, was wir in Europa schon im 18. Jahrhundert erlebt haben: das Umschlagen der Aufklärung in Despotismus. Man verfährt nach dem Lied des Sarastros in der Zauberflöte: "Wen diese Lieder nicht erfreuen, verdient es nicht, ein Mensch zu sein."

 

Prof. Dr. Günter Rohrmoser gilt als einer der führenden konservativen Vordenker in Deutschland. Seit 1976 ist er Ordinarius an der Universität Hohenheim für die Fächer Sozialphilosophie und politische Philosophie. Zuvor lehrte er in Münster und Köln. Geboren wurde er 1927 in Bochum.

Wichtigste Veröffentlichungen: "Das Elend der kritischen Theorie" (Rombach, 1972), "Neues konservatives Denken" (Gesellschaft für Kulturwissenschaft, 1994), "Geistige Wende. Christliches Denken als Fundament des modernen Konservativismus" (Olzog, 2000), "Kulturrevolution oder Niedergang?" (Gesellschaft für Kulturwissenschaft, 2005)

 

Demonstrierende Muslime in Kiel: "'Heiliges Gut' Pressefreiheit? Sie endet stets an der Gesinnungsfront der Journalisten" Foto: Picture-Alliance / dpa

 

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