© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/06 10. Februar 2006

Durch die biblische Brille
Eine ganz eigene Wissenschaftlichkeit hilft bei kreationistisch motivierter Erdzeitberechnung
Jürg Dreytaler

In dem in den USA tobenden Kulturkampf um die Evolutionstheorie gibt es eine neue Erscheinung zu vermelden. Sie kommt aber nicht von den Vertretern des Intelligent Design (ID), die auf eine Modifikation der Schullehrpläne drängen und dabei zugleich wesentliche Elemente etablierter Wissenschaft als Argumente in eigener Sache anführen, sondern von orthodoxen Kreationisten (Young Earth Creationists, YEC), die, erklärtermaßen biblisch motiviert im Sinne eines historischen Verständnisses der Schöpfungsgeschichte, direkt Kirchen und Familien ansprechen.

ID-Vertreter sehen sich durch das plötzlichen Auftauchen vieler Spezies im kambrischen Fossilienbestand (vor gut 500 Millionen Jahren) und die Urknall-Kosmologie, die einen Anfang des Universums vor etwa 14 Milliarden Jahren extrapoliert, in ihren Ansichten bestätigt. Viele Argumente dieser Richtung sind in dem ins Deutsche übersetzten Buch des Journalisten Lee Strobel, "Indizien für einen Schöpfer", zusammengefaßt.

YEC-Vertreter hingegen bestreiten sowohl die geologische Datierung als auch die Urknall-Kosmologie. Ihre Hauptorganisationen sind Answers in Genesis (www.answersingenesis.org) und das Institute for Creation Research (www.icr.org), und sie argumentieren, daß die beste Wissenschaft die ist, die durch die biblische Brille blickt. Vor diesem Hintergrund scheinen zwei Bücher, die das ICR vor kurzem publiziert hat, bemerkenswert und paradox, da sie, von wissenschaftlich ausgewiesenen Geologen verfaßt, auf rein wissenschaftlicher Basis eine Neuinterpretation der Radioisotopendatierung einfordern und dafür Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit vorlegen.

Während die Autoren den Umfang radioaktiven Zerfalls, der der etablierten Gesteinsdatierung zugrundeliegt, ausdrücklich bestätigen, haben sie zugleich den Umfang des im Gestein verbleibenden Heliums gemessen, das beim radioaktiven Zerfall aus den Alpha-Strahlen entsteht. Dieses Helium, ein flüchtiges Edelgas, entweicht allmählich aus dem Gestein. Der Vergleich der Entweichrate mit der verbliebenen Heliummenge ergibt eine zweite "Gesteinsuhr", und diese zeigt ein junges Erdalter an, zwischen 4.000 und 8.000 Jahren. Der experimentelle Befund scheint solide, die Frage ist, wie die widersprüchlichen Daten zu interpretieren sind.

Die Autoren gehen von einem stark beschleunigten radioaktiven Zerfall in der Vergangenheit aus, ein radikales Postulat, das mancherlei Probleme aufwirft, die die Autoren ebenfalls diskutieren. Ein Kapitel über sogenannte Radiohalos verleiht ihrer Interpretation mehr Gewicht, ist aber zu sehr technisch verklausuliert, um in kurzer Form referiert zu werden. Als weiteres Resultat wird eine Radiokarbondatierung von Diamanten präsentiert, die (unter etablierten Annahmen) ein Alter um die 50.000 Jahre liefert, achtfach zu alt für die biblische Zeitskala, aber mehrtausendfach zu jung für die etablierte Geologie. Die Messungen wurden über kommerzielle Mittler von etablierten Labors durchgeführt, die von den Zielsetzungen ihrer Auftraggeber nichts wußten.

Das Taschenbuch "Thousands ... not Billions" präsentiert das Wesentliche in einem mit Abiturwissen zugänglichen Stil. Wer im Studium der Physik oder einer verwandten Naturwissenschaft fortgeschritten ist, kann alle Details im Band 2 von "Radioisotopes and the Age of the Earth" nachlesen. Beide sind für naturwissenschaftlich interessierte Europäer eine durchaus lesenswerte Herausforderung.

Für Erklärungsmodelle von etablierter Seite sind die Resultate noch zu jung. Doch selbst wenn man die Thesen der Autoren akzeptiert, braucht ihre biblische Zeitskala eine ebenso deutliche Neuinterpretation in der Astronomie. Hier würde eine "Verkürzung" zeitlicher Dimensionen an vielen Konstanten rütteln, die Newton und Einstein in Frage stellten. Diesbezügliche YEC-Ansätze sind weniger weit gediehen als die hier erwähnten geologischen und wegen des notwendigen Bezugs auf die allgemeine Relativitätstheorie auch schwieriger zugänglich.

Michelangelo Buonarroti: "Die Erschaffung Adams" (Ausschnitt, 1512): Indizien für einen Schöpfer über Radiohalos Foto: Yorck Project

Don Deyoung: Thousands ... not Billions. Challenging an Icon of Evolution. Questioning the Age of the Earth. Masterbooks, Green Forest AR 2005, 190 Seiten, broschiert, 14 US-Dollar

Don Deyoung: Radioisotopes and the Age of the Earth. Masterbooks, Green Forest AR 2005, 800 Seiten, broschiert, 80 US-Dollar


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen