© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/06 10. Februar 2006

Die Woche
Wer stoppt die Pogrome?
Fritz Schenk

Kleine Ursache, große Wirkung. Das könnte man lapidar zu den überschwappenden Pogromen sagen, die nun schon seit Tagen die Welt in Atem halten. Karikaturen in einer dänischen Zeitung, bereits im September vergangenen Jahres erschienen, zunächst von kaum jemandem bemerkt und daher unerwähnt geblieben, werden mit einem Mal zum Zündstoff einer sich verschärfenden Weltkrise. Denn daß die Krise - gemeint ist die Bedrohung durch den terroristischen Islamismus - seit drei Jahrzehnten schwelt und sich Jahr für Jahr systematisch verschärft hat, daran kann ja wohl kein Zweifel mehr bestehen. Doch wer und was steckt dahinter, und wer will und kann wie den sich steigernden Terror wieder beenden?

Gerade wir Deutschen sind ja sowohl Zeitzeugen wie gebrannte Kinder solcher Entwicklungen. 1938 hatte der 17jährige fanatisierte Einzelgänger Herschel Grynszpan den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath ermordet. Das nahmen die nationalsozialistischen Machthaber zum Anlaß, am 9. November jenes Jahres ihre Parteitruppen SA und SS zur Mobilisierung des Mobs gegen den "jüdischen Feind" aufzustacheln.

Juden wurden mißhandelt, ermordet, willkürlich verhaftet, 400 Synagogen in Deutschland in Brand gesteckt, 7.500 jüdische Geschäfte geplündert und zerstört - und die Polizei zum Wegschauen gezwungen. Das sollte die damals gar nicht kriegslüsternen Deutschen für Hitlers Welteroberungspläne reif machen. Das Gegenteil geschah, wie wir heute aus Funden in den Archiven wissen. Doch Hitler ließ sich davon nicht beeinflussen. Er verbündete sich sogar mit seinem Erzfeind Stalin - und begann schließlich seinen Krieg.

Die Welt von heute ist anders. Seit fünfzehn Jahren aus der Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges befreit, sitzen die hochgerüsteten Staaten der nördlichen Hemisphäre auf ihren Arsenalen von Atombomben, Panzern, Raketen- und Geschützbatterien, Tausenden von Soldaten herkömmlicher Waffengattungen und wissen nicht, gegen wen sie damit wie kämpfen sollen. Der heutige Feind kann aus dem nächsten U-Bahnzug steigen, das nächste Flugzeug in ein Bankenviertel oder eine große Industrieanlage stürzen, der harmlos scheinende Lieferwagen vor einer Kaufhalle in die Luft gehen, oder ganze Stadtviertel könnten durch "schmutzige Bomben" verseucht und für Jahrzehnte unbewohnbar gemacht werden.

Die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik hatte diese neue Lage in den Mittelpunkt ihrer Beratungen gestellt. Sie hat dazu geführt, daß das Atlantische Bündnis wieder enger zueinander gefunden und das Bewußtsein auch bei jenen für die neue und nicht minder ernsthafte Bedrohungslage geschärft hat, die noch immer den alten Friedensträumen aus der Ost-West-Konfrontation des vorigen Jahrhunderts anhängen.

Aber: Welchen Eindruck könnte dies auf jene Organisatoren gemacht haben, die hinter den neuen Pogromen stecken? Denn daß diese nicht weltweit "spontan" und überall mit den gleichen Parolen ausgebrochen sind, dürfte wohl von niemandem mehr ernsthaft in Abrede gestellt werden. Doch auch dies ist Teil dieser neuen Lage: Obwohl Millionen Menschen quasi auf Zuruf den Pogrom-Hetzern folgen, ist weltweit kein "Alleinherrscher" des Islamismus auszumachen. Der Westen muß in vielem sehr schnell umdenken.


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