© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Alte Sehnsucht nach dem Amselfeld
Der Tod des "provisorischen Präsidenten" des Kosovo, Ibrahim Rugova, hat das Augenmerk auf die serbische Provinz gerichtet
Daniel L. Schikora

In dem unter internationaler Verwaltung stehenden Kosovo-Metohija stehen sich albanische und serbische Souveränitätsansprüche unversöhnlich gegenüber.

Den Tod ihres "provisorischen Präsidenten des Kosovo", Ibrahim Rugova, der am 21. Januar einem Krebsleiden erlag, nahmen die Kosovo-Albaner gefaßt auf. Gleichwohl ist vielen durchaus bewußt, daß das Ableben des als gemäßigt geltenden Rugova in künftigen Verhandlungen über eine Unabhängigkeit des Territoriums von Serbien, wie sie demnächst in Wien beginnen sollen, ihre Verhandlungsstärke beeinträchtigen könnte. Diese beruhte bislang nicht zuletzt auch auf einer im "Westen" weitverbreiteten einseitigen Wahrnehmung der Kosovo-Albaner als eines bis 1999 durch "großserbischen" Chauvinismus in seiner Existenz gefährdeten Volkes, das derzeit - analog etwa zu Osttimor - einen legitimen Anspruch auf nationale Selbstbestimmung geltend mache.

Anerkennung des Prinzips der territorialen Integrität

Demgegenüber beharrt Belgrad darauf, daß der Völkerrechtsstatus der Provinz Kosovo und Metohija (Kosmet) als eines Teils Serbien-Montenegros selbst durch die führenden Nato-Mächte offiziell niemals in Frage gestellt worden ist. Serbien zeigt sich zwar bereit, der - seit 1999 unter internationaler Verwaltung stehenden - Region einen Status zuzuerkennen, der über eine herkömmliche Autonomieregelung weit hinausginge. Eine Unabhängigkeit des (albanisierten) Kosovo lehnt Serbien jedoch ab und verweist dabei mit Blick auf Nordirland und das türkisch besetzte Nordzypern auf den Präzedenzfallcharakter einer solchen Staatsgründung, die mit einer Anerkennung des Prinzips der territorialen Integrität bestehender (Staats)-Nationen nicht in Einklang gebracht werden könnte. Doch wenngleich ethnische oder ethno-religiöse Separationsbestrebungen und deren internationale Anerkennung als "Freiheitsbewegungen" keineswegs nur Staaten wie Rußland (im Kaukasus) oder China (in Tibet und Sinkiang) bedrohen, welche daher der Herausdrängung Serbiens aus dem Kosmet eine ausgesprochene Skepsis entgegenbringen, stehen im Weltsicherheitsrat insbesondere die USA dem kosovo-albanischen "nation building" betont aufgeschlossen gegenüber.

Um den Forderungen der Kosovo-Albaner nach einer vollständigen Loslösung des Kosmet (von ihnen "Republik Kosova" genannt) eine gewisse Plausibilität zu verleihen, wird häufig auf eine Terminologie zurückgegriffen, die geographische Einheiten als vermeintli­ches Eigentum bestimmter ethnischer Kollektive identifiziert: Aus dem albanischen Bevölke­rungs­teil einer serbischen Provinz werden "Kosovaren", womit den Serben, Roma und den anderen nicht-albanischen Bewohnern dieses Territoriums allen­falls der Status einer geduldeten (tatsächlich bereits weitgehend vertriebenen) Minori­tät eingeräumt wird.

Das Kosmet war nie unter albanischer Herrschaft

In diesem Sinne versuchte die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag (die spätere Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von 2003) im April 1999, zum Zwecke einer Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen Bombardierung Jugoslawiens die serbische Hoheitsmacht als schlechthin okkupatorisch zu brandmarken, wobei sie sich zu der Behauptung verstieg, daß "das Kosovo einmal Teil von Albanien war: der Grund, weshalb neunzig Prozent der Einwohner Albanier sind - 'ethnische Albanier', wie wir immer sagen, um sie von den Bürgern Albaniens zu unterscheiden". Tatsächlich jedoch befand sich das Kosmet niemals unter der Hoheit eines albanischen Staates (sieht man einmal von dem durch das faschistische Italien im August 1941 ins Leben gerufenen "großalbanischen" Protektorat ab).

Dagegen ist die Geschichte des mittelalterlichen serbischen Staates, der 1389 infolge der Schlacht am St. Vitus-Tag auf dem Amselfeld (Kosovo polje) durch die Osmanen ausgelöscht wurde, eng mit der kulturellen Entfaltung des Kosmet als eines Herzstücks der serbischen Orthodoxie verbunden, das etwa 1.300 serbisch-orthodoxe Kirchen, Klöster und andere Monumente birgt, welche teilweise auf das 10. Jahrhundert zurückgehen. Doch auch unter der osmanischen Herrschaft, die erst in der Periode der Balkankriege 1912/13 ihr Ende fand, blieb das Kosmet mehrheitlich serbisch besiedelt - trotz der insbesondere in den letzten hundert Jahren der osmanischen Souveränität erfolgten Vertreibung eines Teils der autochthonen serbischen Bevölkerung des Kosmet durch die albanische Minorität, deren Angehörige (anders als die Serben) größtenteils zum Islam übergetreten waren. Noch 1929 stellten die Serben etwa 61 Prozent der Gesamtbevölkerung des Territoriums.

Erst 1974er Autonomiestatus bedingte die Albanisierung

Marginalisiert wurden die im Kosmet lebenden Serben (und anderen Nicht-Albaner) erst im kommunistischen Jugoslawien, insbesondere als die föderalistische Verfassung von 1974 der inzwischen mehrheitlich albanisch besiedelten und 1970 in "Kosovo" (anstelle von "Kosovo und Metohija") umbenannten Provinz einen extensiven Autonomiestatus gewährte. Die gewalttätigen Übergriffe auf Serben, die Schändung religiöser Stätten der Orthodoxie und die Passivität von (albanisch dominierter) Polizei und Justiz gegenüber solchen Ausschreitungen lösten in den 1980er Jahren auch internationale Proteste aus. Ohne den damaligen "Exodus der Kosovo-Serben", wie er 1988 auch im US-Repräsentantenhaus thematisiert wurde, erschiene der serbische - und internationale - Zuspruch, der in den darauf folgenden Jahren Milosevics Vorstößen zu einer Zurückdrängung der albanischen Dominanz im Kosmet zunächst zuteil wurde, als kaum erklärlich.

Wer die Geschichte des serbisch-albanischen Konflikts um das Kosmet mit der 1989 verfügten Aufhebung der politischen Autonomie des (albanischen) Kosovo oder den anschließenden serbischen Repressionen gegen Teile der kosovo-albanischen Bevölkerung beginnen läßt, wird dem kollektiven Gedächtnis weder der serbischen noch der albanischen Betroffenen gerecht. Die Respektierung der kulturellen Verwurzelung auch der Serben in Kosmet sollte als unabdingbare Voraussetzung einer gesamteuropäisch ausgerichteten Friedenspolitik anerkannt werden.

Foto: Gedenkplatte für die Schlacht am St. Vitus-Tag 1389 mit dem historischen Ort des Amselfeldes (Kosovo Polje) im Hintergrund: Herzstück der serbischen Orthodoxie seit dem 10. Jahrhundert


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