© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Das Böse trotzdem tun
Zwischen allen Stühlen: Steven Spielbergs "München" amerikanisiert das Nachspiel des Attentats
Martin Lichtmesz

Dürfen Demokratien Terroristen töten?" fragte der Spiegel anläßlich Steven Spielbergs Film "München". In Kinotermini ausgedrückt: Dürfen die guten Jungs böse Dinge für einen guten Zweck tun? Alle Parteigänger sind überzeugt, zu den good guys zu gehören, insbesondere die US-Amerikaner, die "Gefangene ihrer eigenen Phrasen" (Joachim Fernau) geworden sind, und dieses Selbstverständnis propagieren sie seit eh und je in ihren Filmen. So durfte der US-Soldat Montgomery Clift in dem Weltkriegsdrama "Die jungen Löwen" (1959) ein KZ befreien, während Marlon Brando als Wehrmachtsoffizier den "guten Deutschen" abgab, dessen "Gutsein" sich angesichts greulicher deutscher Greuel durch wachsende Gewissensbisse bis zum Selbsthaß artikulierte.

Damit lieferte Hollywood das Rezept für den "Bundesmasochismus", wie es Gustaf Gründgens in einem Brief an Maximilian Schell, den Darsteller zahlloser Nazischweine, nannte. Diese aparte Kondition ließ ganze Schulklassen in "Schindlers Liste" (1994) zerren, nicht ohne sich daran zu stoßen, daß ausnahmsweise ein "guter Deutscher" (mit Gewissensbissen) im Mittelpunkt des Films stand. Keinen Anstoß nahm man dagegen an den bleichen Lemuren in Feldgrau, die sich in Spielbergs D-Day-Schnulze "Der Soldat James Ryan" (1998) aus ihren Normandie-Erdlöchern auf den tapferen Tom Hanks stürzten.

Ob "München" nun authentisch ist oder bloß eine "Story" ausbeutet wie alle Spielberg-Filme, ist von sekundärem Interesse. Popcornkinogeher kümmern sich nicht um Fakten, ebensowenig wie Cineasten, die ihre heiligen Kühe von "Oktober" bis "Nacht und Nebel" selten auf historische Wahrheit hinterfragen. In Zeiten des Bildungsverfalls werden Geschichtsbilder und deren politische Implikationen am wirksamsten über den direkten Weg der Unterhaltungsmanipulation in das Massengehirn gehämmert.

Steven Spielberg ist einer der Meister im Konditionieren von Reflexen. Er verkörpert außerdem so ziemlich alles, was an den USA verabscheuungswürdig ist: Kommerz, Infantilität, Sentimentalität, naives Sendungsbewußtsein. Seit "Schindlers Liste" ist er nicht nur einer der major players im "Shoah-Business", er hat auch sein Judentum über den Umweg der Weltzivilreligion des "Holocaust" wiedergefunden. "Schindler" endet ganz im Sinne der israelischen Staatsräson mit dem Bild der glücklichen Nachkommen der "Schindlerjuden" im gelobten Land. Im Interview mit dem Spiegel machte Spielberg aus seiner Identifikation mit Israel keinen Hehl: für dieses "überlebenswichtige" Land würde er "sterben".

Ob man für Israel (und eben nicht "für die Demokratie") auch töten darf, ist die zentrale Frage von "München". Der Film erzählt die Geschichte eines Teams von Mossad-Agenten, das sich nach dem Massaker an israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele 1972 auf die Suche nach den Tätern und Drahtziehern macht, um blutig Rache zu nehmen.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Avner (Eric Bana), liebender Familienvater, Sohn von "Holocaust-Überlebenden" und Leiter des Rachekommandos. Nicht die arabischen Terroristen werden in "München" "humanisiert", wie bemäkelt wurde, sondern die Killer des Mossad. Damit werden sie auch "amerikanisiert".

Ähnlich den weisen Generälen in "Der Soldat James Ryan", die unter dem Bild Lincolns ihre zutiefst humanistische Gesinnung kundtun, dürfen die Mossad-Killer bei einem Abendessen artig schon im voraus ihr ethisches Unbehagen an ihrer Mission äußern. Avners Gewissenskonflikte und seine Unversöhnlichkeit weisen ihn als "guten Israeli" aus, ähnlich wie einst Brandos Wehrmachtsoffizier, mit dem Unterschied, daß hier der Zweifel an der Sache keineswegs zur Selbstzerstörung führt - im Gegenteil.

Fast alle Israelis in "München" erscheinen als "gut" und "menschlich". Sie tun das Böse nur "trotzdem", bleiben "anständig": von Golda Meir, die im Hannah-Arendt-Stil traurig feststellt, daß eine "Zivilisation" auch mal "Kompromisse mit ihren Wertvorstellungen" schließen muß, über den sensiblen, von Skrupeln gequälten Bombenbastler Robert bis zu dem zwar harten, aber sympathischen Geheimdienstoffizier scheinen sie fast alle mit schlechtem Gewissen ihr letztlich gutes Geschäft zu verrichten.

Mit anderen Worten, Spielberg inszeniert allen Ernstes die Killer mit dem wichtigsten Auftrag des Mossad als halbprofessionelle Zimperliesen! Der zynischere Jean-Pierre Melville dagegen hat in seinem Résistance-Thriller "Die Armee im Schatten" (1969) schonungslos gezeigt, wie seine Helden morden müssen, eiskalt, wie echte Profis.

Der Mossad selbst wird nur milde kritisiert. Grautöne kosten im Kino schon lange keine Zuschauersympathien mehr, und trotz aller blutigen Drastik erscheint die "Auge um Auge"- Strategie angesichts der Terrorgreuel völlig berechtigt. Am Ende erteilt Avners Mutter ihrem Sohn mit Hinweis auf die NS-Verfolgung und den sicheren Hafen Israel sozusagen die Absolution, die er allerdings nicht akzeptiert. Stellenweise spricht der Film immerhin das Unrecht an den Palästinensern an, sie sind undämonisch gezeichnet. Die liebenswürdige Tochter eines zu tötenden Diplomaten sieht Anne Frank nicht unähnlich. Ein junger, idealistischer arabischer Terrorist spricht eindringlich von der Wichtigkeit, eine Heimat zu haben, Worte, die ihr Echo in der Schlußrede von Avners Mutter finden.

Aber diese wenigen interessanteren Momente gehen unter in gut zweieinhalb Stunden mit kaum vier bis fünf überzeugenden Szenen, viel belangloser Action und ein paar schwachsinnigen Montagen. Spielbergs absoluter Pro-Israel-Standpunkt hindert ihn, eine wirklich radikale, kritische und wahre Geschichte zu erzählen. Die aus diesem Dilemma konstruierte Hauptfigur des Films bleibt flach und unglaubwürdig.

Nichtsdestotrotz enthält "München", den Spielberg töricht als "Gebet für den Frieden" bezeichnet, genug Stoff, um in allen Lagern Irritation auszulösen, zum Teil wohl deswegen, weil man es immer noch für kontrovers hält, Juden als Täter zu zeigen Der Feindbildpropaganda der Bush-Anhänger wie der extremen Zionisten läuft er jedenfalls deutlich zuwider. Der Konsens-Regisseur hat das Kunststück vollbracht, sich zwischen alle Stühle zu setzen, ohne den Main-stream wirklich zu verlassen.

Foto: Israels Regierungschefin Golda Meir, dargestellt von Lynn Cohen, bei einer Lagebesprechung: "Kompromisse mit Wertvorstellungen"


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