© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/06 03. Februar 2006

Weniger, älter, anders
Studie: Wissenschaftler beleuchten Zukunftsaussichten Deutschlands / Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung
Tobias Westphal

Wie sieht Deutschlands Zukunft aus? Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat ausgewählte Experten herangezogen, um dieser vieldiskutierten Frage auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse sind jetzt in der Studie "Deutschland im Umbruch" veröffentlicht worden. Dabei haben die Wissenschaftler drei Punkte ausgemacht, die in ihren Augen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands von besonderer Wichtigkeit sind: das Entstehen neuer Arbeitsplätze, die demographische Entwicklung sowie das Absinken der Rente zu einer Grundsicherung.

Mehrheitlich zweifeln die Experten an einem langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Für eine deutliche Senkung der Arbeitslosenzahlen werde das Wirtschaftswachstum voraussichtlich nicht ausreichen, daher müßten die Arbeitnehmer flexibler werden: "Berufsbedingte Umzüge sowie Berufsverläufe mit Unterbrechungen oder das Ausüben mehrerer Berufe im Laufe des Berufslebens werden in den nächsten 15 Jahren eher zur Regel als zur Ausnahme", schreiben die Autoren. Auch werden die Deutschen ihrer Auffassung nach künftig bis zum 70. Lebensjahr arbeiten müssen - oder dürfen.

Skeptisch wird die Zukunft der öffentlichen Haushalte beurteilt: Sicher ist der Studie zufolge, daß auch zukünftig der Staatshaushalt nicht ohne Neuverschuldung auskommen wird. "In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein Staat überhaupt längerfristig eine permanente Verschuldung durchhalten kann, ohne daß ökonomische Anpassungsreaktionen - wie zum Beispiel eine Verschärfung der Inflation - erfolgen."

Die Renten werden nach Ansicht der Experten weiter sinken und sich somit langfristig zu einer reinen Grundsicherung entwickeln. Auch das gesetzliche Gesundheitssystem werde nur noch eine Grundversorgung garantieren: "Gesundheitsdienstleistungen, die über die Grundversorgung hinausgehen, müssen demzufolge privat abgesichert werden. Daraus wird sich eine Zwei-Klassen-Medizin entwickeln, also eine Abhängigkeit der gesundheitlichen Versorgung von den Einkommensverhältnissen", heißt es in der Studie. Auch die Sozialhilfe beziehungsweise das Arbeitslosengeld II würden gekürzt werden. Damit werde der Abstand zwischen Sozialhilfe und den unteren Gehaltsgruppen weiter vergrößert.

Hinsichtlich der demographischen Entwicklung sind sich die Experten nicht einig, ob die bisherige niedrige Geburtenquote in Deutschland von 1,3 Kindern pro Frau noch weiter sinken wird. Das größte Hemmnis, den Kinderwunsch zu realisieren, bestehe vor allem in der Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren. Dieser Konflikt werde sich trotz aller Bemühungen noch verschärfen.

Gute Erfolgsaussichten für eine Zuwandererpartei

Daß die Bürger von dem Geburtenrückgang bislang nicht viel bemerkt haben, liege auch daran, daß mittlerweile rund zwölf Millionen Menschen mit "Migrationshintergrund" in Deutschland leben. Aus der zusätzlichen Alterung der Bevölkerung folge, daß das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2010 bis 2030 zwischen 0,2 und 0,5 Prozent pro Jahr sinken werde: "Um den Einfluß der Alterung auf das BIP zu minimieren, müßte das durchschnittliche Renteneintrittsalter um vier Jahre nach hinten verlagert werden, der Berufseintritt nach vorne verschoben werden, die Anzahl der Arbeitslosen müßte auf 1,5 Millionen sinken, und Frauen müßten mehr arbeiten als bisher."

Auch aufgrund der demographischen Entwicklung werde Deutschland sich zu einem Einwanderungsland entwickeln, das offensiv um qualifizierte Zuwanderer wirbt, sagen die Autoren voraus. Darauf seien derzeit allerdings weder die Gesellschaft noch die Politik vorbereitet. "Es muß zukünftig mit kulturellen Konflikten gerechnet werden", warnen die Autoren.

Die an der Studie beteiligten Experten sind mehrheitlich der Ansicht, daß die Integration von Zuwanderern mißlingen wird und es zu kulturellen Konflikten kommt. Darüber, ob diese Konflikte sogar bis zu gewalttätigen Auseinandersetzungen eskalieren werden oder nicht, sind sich die Wissenschaftler jedoch nicht einig.

Auch das politische System Deutschlands werde sich in den kommenden Jahrzehnten wandeln. Die ideologischen Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD werden nach Ansicht der Wissenschaftler geringer, und auch ihre Stammwähler-Potentiale werden schrumpfen. Die Grünen hätten langfristig eine bessere Zukunftsperspektive als die FDP, der "Rechtsextremismus" wiederum nach Auffassung der Experten überhaupt keine.

Dagegen räumen sie einer Parteineugründung, die ausschließlich die Interessen der hier lebenden Ausländer vertrete, Chancen ein. Vor dem Hintergrund einer Wandlung Deutschlands zu einem Einwanderungsland könnte diese Partei unter den Zuwanderern genügend Wählerstimmen mobilisieren, um in den Bundestag zu kommen. Voraussetzung wäre allerdings eine Änderung des Wahlrechts oder eine deutlich beschleunigte Einbürgerung.

Während die Bedeutung von "Freiheit" und "Selbstverwirklichung" in den kommenden Jahren steigen werde, sagen die Experten einen Bedeutungsverlust der "sozialen Gerechtigkeit" voraus. Moralische Werte wie Treue und Verantwortung werden ihre Verbindlichkeit dagegen nicht verlieren. Dennoch rechnen die Autoren der Studie nicht mit einem Aufschwung der traditionellen Werte: "Freiheit und Selbstentfaltung werden auch in Zukunft in der Kindererziehung eine größere Rolle spielen als Disziplin und Ordnung. Selbständigkeit und eigene Meinung werden im Beruf wichtiger bleiben als Disziplin und Pünktlichkeit."

Zwiespältig fallen auch die Befunde zur Zukunft der Religion in Deutschland aus. Fast die Hälfte der Experten hält eine Aufwertung christlichen Brauchtums und christlicher Glaubensinhalte für wenig wahrscheinlich, während die andere Hälfte von einer Aufwertung ausgeht, heißt es in der Studie. Allerdings: "In Fragen der Sinndeutung, Ethik und Moral spielen die Kirchen eine wichtige gesellschaftliche Rolle, und ihre Haltung in diesen Fragen wird auch wahrgenommen." Nach einer repräsentativen Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung wollen sogar zwei Drittel der Bürger, daß sich die Kirchen in ethischen und moralischen Fragen stärker zu Wort melden als bisher.

Die Studie im Internet: http://www.kas.de/publikationen/2005/7313_dokument.html


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