© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Bürgerrechte für die Familie
von Manfred Spieker

Die Entscheidung für eine Familie wie jene für eine Ehe gilt im westlichen Kulturkreis seit der Aufklärung als private Entscheidung des einzelnen Bürgers. Dieser Entscheidung kommt zwar eine gesellschaftliche Relevanz zu, die der rechtlichen Regelung bedarf, aber sie zu fördern wird nicht zum staatlichen Pflichtenkreis gezählt. Hat die Erklärung der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 die Familie in Art. 10 noch als "natürliche Kernzelle der Gesellschaft" bezeichnet, die in allen Mitgliedstaaten "größtmöglichen Schutz und Beistand genießen soll, insbesondere im Hinblick auf ihre Gründung und solange sie für die Betreuung und Erziehung unterhaltsberechtigter Kinder verantwortlich ist", so ist im liberalen Denken weder die Differenz der Generationen noch die der Geschlechter von öffentlichem Interesse. Als Familie gilt jedwede Lebensgemeinschaft mit Kindern - auch eine solche gleichgeschlechtlicher Art. Die Entscheidung für oder gegen eine solche Lebensgemeinschaft bleibt so privat wie jene für oder gegen einen Verein oder für oder gegen die Gartenparty in der Nachbarschaft.

Wenn sich der Staat gemäß dieser liberalen Perspektive dennoch um die Familie kümmert, dann deshalb, weil er weiß, daß Prävention immer billiger ist als Therapie. Er will die soziale Exklusion verhindern, die ihn mit ihren kriminellen, ökonomischen, sozialen und psychischen Problemen viel mehr belasten würde als jedes vorbeugende Programm gegen die Marginalisierung sozial schwacher Familien. Der Staat kann in dieser Perspektive sogar noch einen Schritt weitergehen. Er kann ein System sozialstaatlicher Leistungen errichten, um für jeden Bürger die Voraussetzungen für die Wahrnehmung seiner individuellen Grundrechte zu schaffen, um ihm auch im Falle des Ausfalls des eigenen Einkommens auf Grund von Krankheit, Alter, Behinderung, Invalidität oder Arbeitslosigkeit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und ihm Chancen auf dem Markt lebensnotwendiger Güter zu verschaffen. Ein solches Leistungssystem kann auch den Familien, genauer den Familienmitgliedern, zugute kommen.

Dennoch ist gegen diese Perspektive einzuwenden, daß sie zu kurz greift. Sie reduziert Familienpolitik auf Familienmitgliederpolitik und diese auf Sozialpolitik. Eine Familienpolitik, die weiterführt, muß dagegen Familie als Beziehungseinheit verschiedener Geschlechter und Generationen ins Auge fassen. Sie muß das Ziel verfolgen, nicht nur den Familienmitgliedern eine Partizipation am Leben der Gesellschaft zu ermöglichen, sondern der Familie selbst den Status des Bürgerrechts zu sichern. Sie muß sowohl Familienmitgliederpolitik als auch "lnstitutionenpolitik" sein, um das in Deutschland übliche Begriffspaar aufzugreifen. Sie muß die Familie als Subjekt begreifen, das nicht in seinen einzelnen Subjekten aufgeht. Ein solcher Ansatz einer neuen Familienpolitik muß sich eines Subsidiaritätsprinzips bedienen, das nicht nur defensiv, sondern offensiv interpretiert wird. Eine subsidiäre Familienpolitik kann nicht nur das Ziel verfolgen, die Familie bzw. ihre Mitglieder gegen staatliche Interventionen zu schützen. Sie muß auch das Ziel verfolgen, den Staat zu aktivieren, um Bedingungen zu schaffen, die den Familien ihre eigene Entfaltung erleichtern. Die Familienpolitik muß aus ihrer Verengung auf Sozialpolitik befreit werden. (...)

Eine subsidiäre Familienpolitik hat auf die Balance zwischen Interventionsverbot und Interventionsgebot zu achten. Die Entscheidung für Ehe und Familie ist gewiß eine private Entscheidung, die dem Staat und seinem familienpolitischen Handeln vorausliegt. Der Staat kann diese Entscheidung nicht ersetzen. Er bleibt im zweiten Glied. Er hat die Freiheit der Familiengründung als ihm vorgegebenes Grundrecht zu respektieren. Aber was aus der Sicht der Beteiligten als private Entscheidung erscheint, ist durchaus von gesellschaftlichem Interesse. Diese private Entscheidung beeinflußt nicht nur die Zukunft der Gesellschaft, sie determiniert sie geradezu.

In allen Ländern der EU hat die Politik die dreißig Jahre lang ignorierte demographische Entwicklung inzwischen als ein vordringliches politisches Problem erkannt, das viele Teilbereiche der Politik - nicht nur die Renten- und Gesundheitspolitik, sondern auch die Bildungspolitik, die Innovations- und Wirtschaftspolitik, die Steuer- und Migrationspolitik - vor große Herausforderungen stellt. Die Fertilitätsrate in der Europäischen Union blieb 2002 mit 1,47 Kindern pro Frau weit unter der notwendigen Reproduktionsrate von 2,1. Besonders dramatisch ist die demographische Entwicklung in Deutschland, Italien und Spanien. Deutschland ist, was Kinder betrifft, eines der ärmsten Länder der Welt. In der Statistik stand es Anfang dieses Jahrzehnts unter 191 Staaten an 180. Stelle. In keinem Land klafft die Schere zwischen Kapitalreichtum und Kinderarmut so auseinander. Der Altersquotient, das heißt das Verhältnis der über 65jährigen zu den 15- bis 64jährigen, wird sich in Deutschland bei gleichbleibender Entwicklung in den nächsten fünf Jahrzehnten von 24 Prozent auf 51 Prozent mehr als verdoppeln, und bereits 2030 werden zehn Erwerbstätige nicht mehr die Renten von fünf, sondern von zehn Rentnern zu finanzieren haben. Solche demographischen Entwicklungen lassen sich nur mühsam und sehr langfristig korrigieren. Ein Generationenkonflikt scheint vorprogrammiert.

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Wenn eine Altersversicherung auf dem Generationenvertrag beruht, Rentenansprüche aber weit überwiegend auf Erwerbstätigkeit gründet und Erziehungstätigkeit ignoriert, bedeutet dies eine Prämierung der Kinderlosigkeit.

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Nicht nur Deutschland, jedes Land muß deshalb ein vitales Interesse daran haben, "diejenigen privaten Lebensformen besonders auszuzeichnen, zu schützen und zu fördern, welche Leistungen erbringen, die nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für die übrigen Gesellschaftsbereiche notwendig sind. Aus soziologischer Sicht haben sie somit eine gesellschaftliche Funktion, aus ökonomischer Sicht produzieren sie positive externe Effekte." Diese vitale Funktion von Ehe und Familie, die in Deutschland durch Artikel 6 Grundgesetz unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt ist, verbietet es, gleichgeschlechtlichen Verbindungen eheähnliche Rechte oder das Recht auf Adoption von Kindern einzuräumen und die Nichtberücksichtigung dieser Verbindungen in der Rechtsordnung als "Diskriminierung" zu bezeichnen.

Die demographische Entwicklung ist allerdings nicht der Grund für die Forderung nach einer neuen Familienpolitik. Sie ist nur die Folie, vor der sich diese Forderung als besonders dringlich erweist. Die Politik braucht meistens solche Alarmzeichen, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Eine neue Familienpolitik wäre aber auch notwendig, wenn die demographische Entwicklung nicht so dramatisch wäre. Allein die Bedeutung der Familie für das sogenannte "Humanvermögen" und die "Sozialkompetenz" zwingt zu einer neuen Familienpolitik. Eine subsidiäre Familienpolitik muß aber zunächst die Bereitschaft zur Familiengründung fördern. Sie muß dann die Fähigkeit der Familie zur Bildung des Humanvermögens stärken. Um die Bereitschaft zur Familiengründung zu fördern, muß sie helfen, Belastungen zu tragen, die mit der Familiengründung verbunden sind. Um die Bildung des Humanvermögens bzw. der Sozialkompetenz zu sichern, muß die Familienpolitik aber mehr tun, als Lasten zu erleichtern. Sie muß die Leistungen der Familie für die Gesellschaft, ihre positiven externen Effekte, in den Blick nehmen und der Familie das Bürgerrecht verschaffen. Der Familienlastenausgleich muß sich deshalb in einen Familienleistungsausgleich verwandeln.

Eine subsidiäre Familienpolitik, die das Ziel verfolgt, die Bereitschaft zur Familiengründung zu fördern, muß zunächst äußere, gesellschaftliche und politische Hindernisse, die einer Familiengründung im Wege stehen, beseitigen oder zumindest verkleinern. Das schwerwiegendste Hindernis ist nicht die Tatsache, daß Kinder Geld kosten, die Konsumfreiheit der Eltern einschränken und sie vielfältigen Belastungen bei der Berufsausübung, der Wohnungswahl und der Zeiteinteilung aussetzen. Diese Belastungen können, wird ein bestimmtes Einkommensniveau nicht unterschritten, durch den emotionalen Gewinn, die Steigerung der Lebensfreude, die Gemeinschaft mit Kindern und die Sinnerfahrung in hohem Maße kompensiert werden. Das schwerwiegendste Hindernis, das einer Familiengründung im Wege steht, ist die Mißachtung der Erziehungsleistung der Familie in Gesellschaft und Staat, genauer in der Gestaltung des Erwerbslebens sowie im Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Eine subsidiäre Familienpolitik kann zwar die finanziellen Belastungen, die mit einer Familiengründung verbunden sind, nicht ignorieren, aber sie muß zunächst einmal auf mehr Generationengerechtigkeit im Rentenrecht dringen - zumindest in jenen Ländern, in denen das Rentenrecht auf dem Generationenvertrag beruht, in denen also - wie in Deutschland - die Generation der Erwerbstätigen mit ihren Beitragszahlungen zur Rentenversicherung unmittelbar die Renten jener Generation finanziert, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Generationengerechtigkeit heißt, daß jede Generation der nächsten mindestens genauso viele Chancen und Handlungsspielräume hinterlassen sollte, wie sie selbst vorgefunden hat.

Eine subsidiäre Familienpolitik kommt damit nicht umhin, die konkrete Lage einer bestimmten Gesellschaft und ihrer Rechtsordnung zu berücksichtigen. Wenn eine Altersversicherung auf dem Generationenvertrag beruht, Rentenansprüche aber weit überwiegend auf Erwerbstätigkeit gründen und die Erziehungstätigkeit ignorieren, bedeutet dies eine Prämierung der Kinderlosigkeit und eine strukturelle Benachteiligung der Familie mit Kindern. Kinderlose Erwerbstätige erwerben Rentenansprüche, die von den Kindern der nächsten Generation einzulösen sind, deren Eltern jedoch leer oder fast leer ausgehen, weil sie - in der Regel die Mutter - auf Grund ihrer Erziehungstätigkeit oder der Pflege pflegebedürftiger Angehöriger keine Erwerbstätigkeit ausüben und damit auch keine Rentenansprüche erwerben können. Derselbe Staat, der im Familienrecht den Unterhaltsanspruch der Eltern gegenüber den Kindern anerkennt, verpflichtet die Kinder im Rentenrecht, vorrangig die Erwerbstätigen und nicht die Erziehenden zu finanzieren. Er organisiert die Sicherung im Alter für alle - auch die kinderlosen - Erwerbstätigen, zwingt aber die Kinder, die eigenen Eltern, die ihnen Erziehungsleistungen und den entsprechenden finanziellen Aufwand zuteil werden ließen, leer ausgehen zu lassen. Dies ist das "Skandalon" des Sozialstaats der Gegenwart - zumindest in Deutschland. Unter Berufung auf das "Mütterurteil" des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1992 stellte auch der 5. Familienbericht der Bundesregierung 1995 fest: "Wer Kinder aufzieht, in der Familie Kranke und Behinderte pflegt und in dieser Zeit auf Chancen in der Erwerbskarriere verzichtet, hat zwar einen erheblichen Beitrag zur Generationen- und Geschlechtersolidarität in den Familien geleistet. Dieser Beitrag führt aber bisher nicht zu einer leistungsgerechten gesellschaftlichen Anerkennung und materiellen Sicherung im Alter und bei eigener Pflegebedürftigkeit".

Eine subsidiäre Familienpolitik muß zuerst dieses Skandalon beseitigen und auf eine familiengerechte Ausgestaltung der Renten- und Pflegeversicherung, das heißt auf die Gleichwertigkeit von Erziehungsleistung und Erwerbstätigkeit bei der Gewährung von Rentenansprüchen dringen. Dafür gibt es verschiedene Wege: die Berücksichtigung der Erziehungsleistung bei der Beitragsbemessung oder bei der Begründung eigener Rentenansprüche. Vermutlich ist der erste Weg im Sinne einer subsidiären Familienpolitik besser, weil sich seine entlastende Wirkung in der Phase der Familiengründung auswirkt und nicht erst im Alter. Da umlagefinanzierte Rentensysteme einen signifikanten negativen Einfluß auf Familiengründung und Geburtenziffer haben, ist die Beseitigung der strukturellen Benachteiligung der Familie im Sozialversicherungsrecht die wichtigste Aufgabe der Familienpolitik, wenn sie die Bereitschaft zur Familiengründung fördern möchte. Die Berücksichtigung der Erziehungsleistung der Familie kann in einem umlagefinanzierten System auch nie als eine "versicherungsfremde" Leistung bezeichnet werden, da sie konstitutiv für die Aufrechterhaltung des Systems ist.

Eine Berücksichtigung der Kinder im Steuerrecht hat demgegenüber mit Familienpolitik nichts zu tun. Die Berücksichtigung eines häuslichen Arbeitszimmers eines Universitätsprofessors ist ja auch noch keine Forschungspolitik. Die Berücksichtigung der Kinder ist eine bloße Konsequenz der Steuergerechtigkeit, die gebietet, den Steuerpflichtigen nach dem Maße seiner Belastungsfähigkeit zu belasten." Das existenznotwendige Einkommen unterliegt nicht der Steuerpflicht. Mit jedem Kind vermindert sich somit das belastbare steuerpflichtige Einkommen. Deshalb sind Kinderfreibeträge ein Gebot der Steuergerechtigkeit. Würden sie allerdings ersetzt durch ein Familiensplitting, also eine gleichmäßige Teilung des steuerpflichtigen Einkommens durch die Zahl der Familienmitglieder, so würde dies in einem progressiven Steuersystem die Familien noch mehr entlasten und den Status des Bürgerrechts der Familie stärken. (...)

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Jeder Bürger hat das gleiche Stimmrecht. Aber dieses muß auch wirklich jedem Bürger zu-stehen. Auch Kinder und Jugendliche sind Bürger. Bisher aber ist dieser Teil der Bürger vom Wahlrecht ausgeschlossen.

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Wer für die Familie den Bürgerstatus fordert, muß sich der Frage des Familienwahlrechts stellen. Das Recht, in regelmäßigen Abständen die Regierenden bestimmen und dafür unter mehreren Kandidaten auswählen zu können, ist in der Demokratie das Privileg des Bürgers. Dieses Recht muß auch der Familie zuteil werden. Welchem der verschiedenen Modelle eines Familienwahlrechts - Herabsetzung des Wahlalters, Mehrstimmenmodell oder Stellvertretermodell - der Vorzug gegeben wird, ist eine breite öffentliche Debatte wert. Nicht alle Modelle sind mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates vereinbar. Da die Partizipation des Bürgers an der politischen Willensbildung und damit die Wahrnehmung des Wahlrechts die Fähigkeit und die Bereitschaft zur politischen Information sowie die physische Möglichkeit, zur Wahl zu gehen, voraussetzen, ist eine eigenständige Wahrnehmung des Wahlrechts an eine gewisse Reife gebunden. Mit einer schlichten Herabsetzung des Wahlalters ist es also nicht getan. Auch die Stimmenhäufung bei den Eltern auf Grund der Kinderzahl, das sogenannte Mehrstimmenmodell wäre mit dem Grundsatz der rechtsstaatlichen Demokratie "one man - one vote" nicht vereinbar. Die Privilegierung bei Wahlen auf Grund besonderer Leistungen für Staat und Gesellschaft wurde mit der Einführung der rechtsstaatlichen Demokratie mit Recht beendet. Es gibt kein Dreiklassenwahlrecht mehr und auch keine Stimmenhäufung auf Grund besonderer Steuerzahlungen, Dienstleistungen oder Titel. Jeder Bürger hat das gleiche Stimmrecht.

Aber dieses Stimmrecht muß auch wirklich jedem Bürger zustehen. Auch Kinder und Jugendliche sind Bürger - nicht erst von der Geburt, sondern bereits von der Empfängnis an. Bisher aber ist dieser Teil der Bürger vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das Wahlrechtsmodell, mit dem sich die Exklusion vermeiden und auch eine Kollision mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz "one man - one vote" ausschließen läßt, ist ein Kinderwahlrecht, das die Eltern stellvertretend für die Kinder bis zum Erreichen des gesetzlichen Wahlalters wahrnehmen. Das Wahlrecht steht dem Kind als Staatsbürger zu, aber die Eltern nehmen es treuhänderisch wahr, wie sie ja auch andere Rechte des Kindes zum Beispiel auf Ausbildung treuhänderisch für das Kind regeln. Auf den ersten Blick scheint sich dieses Modell nicht vom Mehrstimmenmodell zu unterscheiden und im Ergebnis ist es in der Tat vergleichbar. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied. Die Eltern erhalten nicht mehr Stimmen, weil sie Kinder haben, sondern sie nehmen das dem Kind zustehende Stimmrecht stellvertretend und treuhänderisch, das heißt zu dessen Wohl, wahr.

Auch wenn das Wahlrecht als nur Individuen zustehendes Grundrecht konzipiert wird, ließe sich somit das Familienwahlrecht realisieren. Für technische Fragen, die sich mit der treuhänderischen Wahrnehmung des Wahlrechts durch die Eltern stellen, zum Beispiel welcher Elternteil das Wahlrecht des Kindes wahrnehmen soll, wenn sie unterschiedliche Wahlpräferenzen haben oder geschieden sind, lassen sich rechtliche und technische Lösungen finden. (...)

Ein solches Familienwahlrecht würde der Verantwortung der Eltern für die Kinder entsprechen, den Status der Familie in den vergreisenden westlichen Gesellschaften aufwerten und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft verbessern. Es würde, selbst wenn es ein individuelles Recht der einzelnen Familienmitglieder bliebe, den Bürgerrechtsstatus der Familie stärken. Die Plädoyers für ein solches Familienwahlrecht haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Verschiedene Bischöfe in Deutschland haben das Familienwahlrecht in ihren Diözesen für die Wahl kirchlicher Räte eingeführt. Im Deutschen Bundestag wurde am 1. April 2004 ein parteiübergreifender Antrag von 47 Abgeordneten auf Einführung des Familienwahlrechts diskutiert, am 2. Juni 2005 dann allerdings fürs erste abgelehnt. Die Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer von den Grünen meinte schon 2003, es sei "mit der Menschenwürde unvereinbar, den Jungen das Wahlrecht vorzuenthalten". In Österreich haben sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Parlamentspräsident Andreas Khol für das Kinderwahlrecht ausgesprochen. Eine neue Familienpolitik, die von der Familie als einer Beziehungseinheit verschiedener Generationen und Geschlechter ausgeht, wird durch das Familienwahlrecht eine starke Unterstützung erfahren.

 

Prof. Dr. Manfred Spieker lehrt Christliche Sozialwissenschaften am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück. Spieker ist verheiratet und hat sechs Kinder. Bei seinem Text handelt es sich um ein gekürztes Kapitel aus seinem neuesten Buch, das wir mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages hier abdrucken: "Der verleugnete Rechtsstaat. Anmerkungen zur Kultur des Todes in Europa", Schöningh Verlag, Paderborn 2005, 216 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro


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