© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

US-Günstlinge waren chancenlos
Irak: Wahlen bestätigten Dreiteilung in Schiiten, Sunniten und Kurden / Schwierige Koalitionsverhandlungen
Günther Deschner

Drei Jahrzehnte lang hatte man im Irak nicht gewählt. Mit eiserner Faust hatte der Despot Saddam Hussein (seit 1979 Präsident) den brüchigen Vielvölkerstaat zusammengehalten, bis im März 2003 die USA und Großbritannien aus vielerlei Gründen - wenn auch nicht aus den propagandistisch vorgeschobenen - mit einem Angriffskrieg den Regimewechsel erzwangen. Der "neue" Irak, der den Westmächten vorschwebte, sollte ein demokratischer sein, unter säkularer und prowestlicher Führung seine staatliche Einheit, wenn möglich, behalten und in der ganzen Region des "Greater Middle East" als ein Leuchtfeuer für die Verbreitung von "Freiheit, Demokratie und Frieden" dienen.

Nach 30jähriger Abstinenz wurden nun die 15 Millionen Wahlberechtigten im vergangenen Jahr gleich dreimal zu den Urnen gerufen: Zuerst im Januar 2005, um Kandidaten der erlaubten Parteien zu wählen und über die Zusammensetzung einer provisorischen Nationalversammlung zu entscheiden. Diese arbeitete, orientiert an den Vorgaben der Besatzungsmacht, einen Verfassungsentwurf aus, der den neuen Irak als parlamentarische Demokratie definierte und der im Oktober-Referendum die Zustimmung der Wähler fand.

Schon damals wurden die Trennlinien zwischen den drei großen Bevölkerungsgruppen des Zweistromlands sehr deutlich sichtbar - den arabischen Schiiten, den arabischen Sunniten und den Kurden: In den Kurdenprovinzen wurde eine gleichzeitig stattfindende "Landtagswahl" zu einer eindrucksvollen Manifestation der kurdisch-nationalistischen Parteien und ihrer Forderung nach Autonomie des irakischen Kurdistan. Die Sunniten hingegen - beleidigt, weil sie nach dem Sturz Saddams Husseins ihre Privilegien verloren hatten - übten sich in Wahlboykott und Widerstand.

Vor sechs Wochen schließlich, am 15. Dezember, wurde gemäß der neuen Verfassung das erste reguläre Parlament gewählt. Eigentlich sollte es "rasch" zusammentreten und mit Zwei-Drittel-Mehrheit einen Präsidialrat und Präsidenten wählen. Dieser soll binnen 15 Tagen die stärkste Parlamentsfraktion mit der Regierungsbildung beauftragen und einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen. Allein schon das amtliche Endergebnis dieser Wahl, hat aber wegen 1.800 Beschwerden aus den Reihen der Wahlverlierer ewig auf sich warten lassen.

Nun liegt es vor und bestätigt die Erwartungen: Die Iraker haben erneut entlang völkischer und religiöser Grundmuster gewählt! Parteien und Kandidaten, die für die Vorstellung eines "übernationalen", säkularen und einigen Irak angetreten waren, wurden abgestraft. Der US-Liebling Iyad Allawi, ein säkularer Schiit und vorübergehend Premierminister, erreichte mit seiner überkonfessionellen Allianz und trotz (wegen?) starker Unterstützung durch seine Herren nur 25 der insgesamt 275 Sitze. Noch schlimmer erging es dem (einstigen) Pentagon-Günstling Achmad Tschalabi, einem aalglatten früheren Bankier, der vor drei Jahren die dort benötigten geheimdienstlichen "Informationen" nach Washington geliefert hatte. Er verfehlte den Einzug ins Parlament vollends.

Wachsende Sehnsucht nach Normalität

Wahlsieger wurde, wie schon bei den vorgehenden Wahlen, mit 128 Parlamentssitzen das religiöse Schiitenbündnis Vereinigte Irakische Allianz, das vom pro-iranischen Obersten Rat für die Islamische Revolution (SCIRI) und der Dawa-Partei des bisherigen Premiers Al-Dschaafari dominiert wird. Das Kurdenbündnis kam auf 53 Sitze, gefolgt von der erstmals angetretenen religiös definierten Sunnitenkoalition Irakische Eintracht mit 44 Abgeordneten. Die restlichen 25 Sitze teilen sich zehn weitere Gruppierungen, von denen die meisten die Interessen religiöser und ethnischer Minderheiten vertreten.

Für Überlegungen zur Zukunft des Irak liefert dieses Ergebnis aufschlußreiche Hinweise. Aus der auf über 70 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung (die Sunniten wählten diesmal in großer Zahl) darf man wohl folgern, daß die Etablierung demokratischer Institutionen weit fortgeschritten ist und daß sie - auch wenn sie von außen erzwungen worden ist - von einer großen Mehrheit gewollt oder hingenommen wird. Der irakische "Otto Normalverbraucher" sehnt sich von Tag zu Tag mehr nach Normalität, nach einer durchsetzungsfähigen Regierung, die das Chaos in Bagdad und in den sunnitischen Provinzen beenden kann. Er will, daß der unberechenbare Kleinkrieg zwischen Aufständischen und Besatzern ein Ende findet, daß der lähmende, blindwütige Terror aufhört, daß die Versorgung mit Elektrizität, Wasser und Benzin halbwegs wieder so wird wie zu Saddams Zeiten, daß die extrem hohe Arbeitslosigkeit zurückgeht - kurz, daß das tägliche Leben wieder erträglich wird.

Das Wahlergebnis läßt für diese Wünsche eine vage Hoffnung. Gewißheiten lassen sich daraus aber nicht ableiten. Sicher könnte eine stärkere Rolle der Sunniten in Parlament und Regierung sowohl die Aufstandsbewegung, die in weiten Teilen von der sunnitischen Minderheit getragen wird, schwächen und deren terroristische Fraktion (die man im Westen unter "al-Qaida" subsumiert) austrocknen. Die stärkste Sunnitenfraktion Irakische Eintracht hat ihr Interesse an einer Regierungsbeteiligung bereits bekundet. "Die Sunniten", so ihr Chef Adnan Al-Dulaimi, dürften "das Voranschreiten im politischen Prozeß nicht aufhalten". Bei Kurdenführer Barsani in Erbil ventilierte er schon die Konditionen.

Man spricht also miteinander. Doch die Probleme, die zwischen Schiiten, Kurden und Sunniten stehen, sind riesig. Die Kurden beispielsweise haben sich seit 1991 ein Maß an Autonomie erkämpft, das der staatlichen Unabhängigkeit fast gleichkommt und das sie um keinen Preis aufgeben werden. Mit den Schiiten haben sie eine Verfassung verabschiedet, die Kurdistan und den schiitischen Provinzen große Eigenständigkeit und unter anderem die weitgehende Verfügung über den Ertrag ihrer Ölfelder sichert. Die Sunniten, die in ihren Provinzen über eine Menge Sand, aber kein Erdöl verfügen, machen zur Bedingung, daß die Verfassung zugunsten einer auch sie begünstigenden Verteilung des Erdöleinkommens geändert wird. Daß der gegenwärtige Zustand für Kurden und Schiiten vorteilhafter ist als das, was ihnen eine "Regierung des nationalen Konsenses" verheißen könnte, ist offensichtlich. Der Preis, den sie für substantielle Zugeständnisse erwarten, wird also hoch sein, vielleicht zu hoch.

Allen politischen Lagern des "neuen" Irak hat der Ausgang dieser Wahl bestätigt, daß er hinsichtlich seiner völkischen und religiösen Verwerfungen mehr oder weniger der "alte" geblieben ist. Im Irak von heute stehen säkulare Konzepte auf äußerst wackligen Beinen. Eine irakische Demokratie mag von außen gesehen einen verführerischen Glanz zeigen, aber innen drin ist sie hohl. Von den handelnden Politikern der drei großen Gruppen des Landes werden deswegen schwierige und sich über viele Wochen hinziehende Koalitionsverhandlungen erwartet.

Irakische Wahlurnen unter Militärbewachung: Säkulare Konzepte auf äußerst wackligen Beinen FOTO: picture alliance / PA


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