© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Zeitgeistritter im Schlangennest
Berliner CDU: Friedbert Pflüger tritt bei der Abgeordnetenwahl am 17. September gegen Klaus Wowereit an
Thorsten Hinz

Kaum stand seine CDU-Spitzenkandidatur für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17. September fest, unterlief Friedbert Pflüger der erste Fehler. Um seine Berlin-Kompetenz zu demonstrieren, erhob er sich in der Bundestagsdebatte über den Abriß des Palastes der Republik zu einer Kurzintervention, um auf Gregor Gysi zu antworten. Gysi hatte behauptet, der Abriß des Gebäudes schriebe Sieger und Besiegte in Deutschland fest, der Palast sei also das Identifikationssymbol der Ex-DDR-Bürger. Pflüger erwiderte nicht weniger dogmatisch, der Palast stehe für die SED-Diktatur. "Ein Bauwerk, das Diktatur symbolisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen."

Pflüger meinte etwas Richtiges, drückte es aber falsch aus. Er wollte sagen, daß der Palast als Inszenierung einer Ideal-DDR en miniature, mit der eine unlegitimierte Obrigkeit seine Untertanen ruhigstellen wollte, nicht nachträglich zum Sinnbild einer humanen Utopie stilisiert werden dürfe. Der unideologische Pragmatismus, mit dem die DDR-Bürger sich den Palast angeeignet hatten, war ihm nicht bewußt.

Die Fremdheit gegenüber den Lebensumständen der Ost-Berliner Wählerschaft, die immerhin ein Drittel der Berliner Wähler ausmacht, wird ihm die PDS demnächst kräftig unter die Nase reiben. Über noch etwas gab seine Wortmeldung Auskunft: Pflüger möchte das Zufällige und Flüchtige der Politik zum Anlaß nehmen, um grundsätzliche Erkenntnisse in gültige Formulierungen zu gießen. Hier wird das Vorbild seines Förderers Richard von Weizsäcker sichtbar, der auch Pflügers Berliner Kandidatur angeregt hat.

Pflüger leidet an einem inneren Widerspruch. Eigentlich ist er gern Politiker - abgesehen von einer kurzen Unterbrechung ist er nie etwas anderes gewesen. Bereits seit 1990 gehört er dem Bundestag an. Lange litt er darunter, keinen Posten erlangt zu haben, der seinen Fähigkeiten, wie er glaubte, gemäß war. Durch seine Loyalität zu Angela Merkel hat er es jetzt zum Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium gebracht. Andererseits ist er sich der Begrenztheit des Politikerberufs bewußt. Er möchte in ihm etwas bewirken, das über den Tag und seine taktischen Spielchen hinaus gültig bleibt. Dieses Bestreben äußert sich in dem Drang, Bücher zu schreiben, wie auch in seiner tastenden, zögerlichen Sprechweise. Meistens führt das bloß zu tiefgründelnden Banalitäten, die weder geeignet sind, um in der politischen Auseinandersetzung zu punkten, noch den Ruf als intellektueller Anreger zu begründen.

Nun soll Friedbert Pflüger die Berliner CDU retten. Das ist die undankbarste Aufgabe, die ein Politiker zur Zeit übernehmen kann. Nicht weil die Hauptstadt-Union zur 20-Prozent-Partei verkommen ist, sondern weil die Gründe dafür bei ihr selber liegen. Kommentatoren nennen sie eine Kiez- oder Provinzpartei, was eine Beleidigung jedes tüchtigen Kommunalpolitikers darstellt. Es handelt sich um eine Ansammlung giftiger Gartenzwerge, von denen jeder sein kleines Terrain - das Parlamentsmandat, den Kreisvorsitz, den Posten als Bezirksstadtrat - eifersüchtig verteidigt. Die innerparteiliche Macht geht von den Bezirken aus. Das Berliner Wahlgesetz will es, daß auch eine geschrumpfte Volkspartei in den Bezirksverwaltungen Anspruch auf gutdotierte Posten erheben kann. Das genügt den einflußreichen Kreisfürsten.

Wer auf Landesebene irgendwie vom Durchschnitt abweicht, sei es, weil er oder sie zu intelligent, zu sehr Frau, zu schwul oder zu weit aus Westdeutschland zugezogen ist, wird kaltgestellt und jede landes- und bundespolitische Perspektive damit sabotiert. Aus diesem Schlangennest eine "moderne Großstadtpartei" zu formen, wie Pflüger angekündigt hat, wird schwer, zumal er sich lieber auf internationalem Parkett bewegt als in parteiinternen Kungelrunden.

Demoskopen sagen der regierenden rot-roten Koalition einen sicheren Sieg voraus. Bei der letzten Abgeordnetenhauswahl erhielt die SPD 29,7 Prozent der Stimmen, die PDS kam auf 22,6 Prozent. Heute ist ihr wichtigster Vorteil die Schwäche der CDU. Stärkster Mann der Landesregierung ist Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), ein Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft, der seine Unabhängigkeit vom Parteiapparat für einen eisernen Sparkurs nutzt, welcher tief in den Alltag der verarmten Hauptstadt einschneidet. Was fehlt, ist eine Begründung der Sparpolitik, die über das Fiskalische hinausgeht, eine Vision von der Stadt, die den Zweck der Mühen beschreibt.

Die zu liefern, wäre die Aufgabe des Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der sich seit dem Bekenntnis zu seiner sexuellen Präferenz aber jeder politischen Äußerung enthält. Wowereit wirkt überfordert, seitdem im Publikum die Erkenntnis dämmert, daß seine Inszenierungen als Partylöwe die Wirklichkeit nicht überlisten konnten.

Einzig die PDS und vor allem ihr Kultursenator Thomas Flierl verfügen über eine politische Idee und Strategie. Hinter ihren in modische Phraseologie verpackten Einzelmaßnahmen und -vorschlägen in der Bildungs-, Ausländer-, Sozial-, Kultur- Geschichts- oder Denkmalspolitik wird der Versuch erkennbar, Fragmente des gescheiterten Sozialismus-Projekts zu konservieren und zugleich den Brückenschlag zur radikallinken und alternativen Szenerie des alten West-Berlin zu vollziehen.

Nebenbei wird die DDR zu einem legitimen Gesellschaftsmodell umgedeutet, das unter den Bedingungen des Kalten Krieges leider bitter gescheitert ist. Auf dieser ideologischen Grundlage soll ein gesellschaftsveränderndes, linkes Hegemonialprojekt errichtet werden, dessen Folgen man sich gar nicht vorstellen mag. Ist der neue CDU-Spitzenmann fähig, diese Herausforderung anzunehmen?

Pflüger, Jahrgang 1955, stammt aus Hannover, dort hat er seinen Wahlkreis und - wie er nicht oft genug betonen konnte - seinen Lebensmittelpunkt. Seit 1998 ist er Vize-Landeschef der CDU Niedersachsen. In der Hauptstadt-Debatte 1991 plädierte er vehement für Bonn. Das wird man ihm ebenfalls vorhalten. Er könnte darauf verweisen, daß die drei wichtigsten Bürgermeister der Nachkriegszeit - Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker, dessen Mitarbeiter Pflüger war - ebenfalls Zugezogene waren. Er müßte überzeugend klarmachen, warum er die Aufgabe in Berlin neuerdings verlockend findet. Die Berliner Wähler sind pragmatisch, und wie wenig mit Berlin-Tümelei heute noch Staat zu machen ist, haben sie in den letzten Jahren hinreichend erlebt.

Der öffentliche Rosenkrieg mit Noch-Ehefrau Margarita Mathiopoulos als solcher dürfte ihm kaum schaden. Dafür hat Amtsinhaber Klaus Wowereit mit der konsequenten Niveauabsenkung seiner öffentlichen Auftritte gesorgt. Anders sieht es aus mit den Einkünften, den verlangten Ausgleichszahlungen und Rentensansprüchen in sechs- und siebenstelliger Höhe, die jetzt die Runde machen. In einer Stadt, in der die Transferempfänger die Wertschöpfer längst überwiegen, sorgt das für Sozialneid.

Für den Einzug in das Rote Rathaus, den Amtssitz des Regierenden Bürgermeistes, hat Pflüger sich einen Zeitrahmen bis 2011 gesetzt. Einigermaßen fassungslos steht man vor der Tatsache, daß man diesem Zeitgeistritter, der einst stets in einem Atemzug mit den CDU-Linken Rita Süssmuth und Heiner Geißler genannt wurde, wünschen muß, daß er keine weiteren Fehler begeht. Der Zustand der Politik und der politischen Klasse in Berlin läßt einem keine Wahl.

CDU-Landeschef Ingo Schmitt, Spitzenkandidat Friedbert Pflüger: Lebensmittelpunkt Hannover foto: Ronald Gläser


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