© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Dreikampf im Sorgenland
Sachsen-Anhalt: CDU, SPD und Linkspartei liegen in der Gunst der Bürger dicht beieinander / Landtagswahl am 26. März / Parteien bilden Bündnis gegen DVU
Ellen Kositza

Würde man, ganz unhistorisch, die Summe der Zeiten und Gegebenheiten in Rechnung stellen, so könnte Sachsen-Anhalt ein glückliches Land sein: Durch die jüngsten archäologischen Funde (Sternwarte von Goseck, Himmelscheibe von Nebra) stellt sich das 1990 neuerschaffene Bundesland als eine Wiege der Hochkultur dar. Die Prominentenliste derer, die hernach in dem Land zwischen Altmark und Zeitz lebten oder wirkten ist ebenfalls lang - von den Ottonen über Walther von der Vogelweide, Luther und Händel bis zu August Hermann Francke. Sie alle sind längst tot, Barbarossa schläft noch, und an Luther denkt in einem Land, wo in mancher Grundschule trotz jahrgangsübergreifender Zusammenlegung der Interessenten nur fünfköpfige Religionsklassen zustande kommen, kaum jemand.

Sachsen-Anhalt, dieses deutsche Problemkind, steht vor der Wahl: Am 26. März entscheiden zwei Millionen Bürger über die Zusammensetzung des Landtags. Ein Hauptproblem des Landes liegt darin, daß nur gut die Hälfte der Wahlberechtigten in einem Arbeitsverhältnis steht. Die "Rote Laterne" in der Arbeitslosenstatistik wurde man unter der vierjährigen Amtszeit Wolfgang Böhmers (CDU) zwar los, dennoch liegt Sachsen-Anhalt heute mit 17,4 Prozent Arbeitssuchenden nur haarscharf hinter Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Die Jungen und Arbeitswilligen ziehen weg, der Rest pflanzt sich noch zurückhaltender fort als der Bundesdurchschnitt. 2,9 Millionen Einwohner hatte Sachsen-Anhalt zu Wendezeiten, heute sind es rund 2,45 Millionen, für das Jahr 2020 werden knapp über 2 Millionen prognostiziert . Finanziellen Anreizen zur Familiengründung steht Böhmer skeptisch gegenüber. Solche Maßnahmen würden allenfalls kurzfristig stimulierend wirken und die demographische Entwicklung schwerlich beeinflussen.

Kurswechsel in der Bildungspolitik

In der Bildungspolitik durfte die CDU, die unter anderem die gemeinsame Beschulung auf vier Jahre Grundschule verkürzte, das Abitur nach zwölf Jahren und sowie ab diesem Jahr für den Besuch des Gymnasiums eine Lehrerempfehlung obligatorisch machte, durch die jüngste Pisa-Ergebnisse einen Erfolg verbuchen: Sachsen-Anhalt erwies sich hier als deutlichster Aufsteiger und belegte im Ländervergleich Platz sechs.

Die mitregierende FDP unter ihrem Spitzenkandidaten Karl-Heinz Paqué besetzt derzeit die Ressorts Wirtschaft, Finanzen und Soziales und tritt unter dem Motto "Weiter wachsen!" und mit dem Versprechen weiterer Investitionserleichterungen an. Als Erfolg verbucht man hier, daß das reale Wachstum in Sachsen-Anhalt seit 2002 4,6 Prozent gegenüber 2,2 Prozent im Bundesschnitt betragen habe.

Langfristig möchte die SPD das Bundesland gemeinsam mit Sachsen und Thüringen in einer Verwaltungseinheit "Mitteldeutschland" aufgehen sehen. Bei der letzten Landtagswahl 2002 mußte die bis dahin mit der PDS regierende Partei herbe Verluste einstecken, sie fiel von 36 auf 20 Prozent der Wählerstimmen, während die CDU statt 22 Prozent (1998) einen immensen Zugewinn auf 37 Prozent verbuchen durfte und die FDP sagenhafte 13 Prozent einfuhr; dies alles bei einer eklatant niedrigen Wahlbeteiligung von 56 Prozent.

Die SPD hat nun den 43jährigen Elektroingenieur Jens Bullerjahn als Spitzenkandidaten aufgestellt, der vor 2002 gemeinsam mit PDS-Frontmann Wulf Gallert das damalige rot-rote Bündnis organisierte. Bullerjahn, zugleich Vorsitzender des SPD-Forums Ost, gibt an, heute größere Gemeinsamkeiten mit der CDU zu erkennen. Seine Partei verspricht eine Abkehr von der Schuldenpolitik und effektive Maßnahmen gegen Abwanderung, zudem will man Sachsen-Anhalt sowohl zum "Bildungs-" als auch zum "Familienland" machen. An den tiefgreifenden Veränderungen, die von der CDU in der Schulpolitik initiiert wurden, will die SPD erst auf längere Sicht rütteln. Die Linkspartei möchte im einzigen Bundesland mit Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Geburtstag diesen Betreuungskomfort auf einen Ganztagsanspruch auch für Kinder erwerbsloser Eltern erweitern. Sie fordert zudem die Aufnahme einer sogenannten antifaschistischen Klausel in die Landesverfassung.

Einzug der Grünen ist unwahrscheinlich

Nach Absprache mit der NPD kandidiert statt den Nationaldemokraten die DVU. Deren Plakate mit marktschreierischen Parolen ("Schnauze voll") sind auf dem Land die einzigen, die bereits seit Neujahr hängen - zumindest dort, wo sie nicht bereits demoliert oder von DVU-Gegnern wieder abgehängt wurden. Landesvorsitzender und Spitzenkandidat Ingmar Knop spricht vorhandene Schnittmengen mit der Linkspartei an und empfiehlt unentschiedenen Wählern, die Erststimme ebendort zu plazieren. Mit 13 Prozent der Wählerstimmen und 16 Abgeordneten war die DVU 1998 in den Landtag eingezogen, hat sich dort bald aufgerieben und ist zur nächsten Wahl nicht angetreten. Rechts von der Mitte tritt außerdem ein "Bündnis Offensive für Sachsen-Anhalt" aus der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, DSU, Statt-Partei und Deutscher Zentrumspartei an sowie die wohl ebenfalls aussichtslosen Republikaner.

Der Überfall von als rechtsradikal markierten Jugendlichen auf einen 12 Jahre alten Äthiopier in Pömmelte und die Angst um Stimmverluste veranlaßte jetzt die übrigen Parteien, mit einem "Bündnis gegen Rechts" gemeinsam Front gegen einen Einzug der DVU ins Parlament zu machen. Mit seiner Aussage, niemand wolle, "daß die Rechten wieder in den Landtag kommen", dürfte CDU-Landesvorsitzender Thomas Wobel allerdings fehlgehen: Bei knapp vier Prozent sehen Umfragen das Potential rechter Wähler. Ansonsten liegt in den Prognosen die CDU mit schwachem Vorsprung (31 Prozent) vor SPD (30 Prozent) und Linkspartei (27 Prozent); der Einzug von FDP (sechs Prozent) dürfte gewährleistet sein, der von Bündnis 90/Grüne mit zwei Prozent unwahrscheinlich.

Die Grünen, die mit der ehemaligen Spitzensportlerin und vierfachen Mutter Inés Brock an der Spitze antreten, werden vor allem durch ihren Einsatz für regenerative Energien und gegen "Gen-Mais" wahrgenommen. Des weiteren spricht sich die selbsternannte grüne "Prozentfabrik" mit "Erfahrung in der Verweiblichung der Parlamente" für kostenfreie Kita-Plätze, gegen eine Sonderwirtschaftszone Ost und gegen eine Wirtschaftsförderung per Gießkannenprinzip aus.


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