© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/06 27. Januar 2006

Getrennt marschieren, vereint schlagen
Enteignungen: Ein hochkarätig besetzter Vortragsabend in Berlin beschreibt unterschiedliche Wege, um gegen rechtsstaatliche Mißstände vorzugehen
Matthias Bäkermann

Klar und prägnant bringt es der prominenteste Redner des Abends auf den Punkt: "Es ist eine juristische und moralische Schande". Der Völkerrechtler und ehemalige Leiter des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, Alfred de Zayas, analysiert ungewöhnlich scharf die ausgebliebene Rehabilitierung vieler Opfer der Konfiskationen nach 1945 bzw. die nach 1990 verweigerte Restitution seitens der bundesdeutschen Behörden.

Den etwa dreihundert Zuhörern im Berliner Marriott-Hotel, die auf Einladung des "Göttinger Kreises - Studenten für den Rechtsstaat" am vergangenen Freitag erschienen sind, spricht der derzeitige Dozent am Institut der Hohen Internationalen Studien in Genf damit aus der Seele. "Der Staat bereichert sich nach wie vor in ungerechter Weise." Sätze wie diesen möchten auch die anwesenden Alteigentümer unterschreiben, die in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 enteignet wurden und denen die Rückgabe bis heute verweigert wird. Ihr ehemaliger Grundbesitz in den neuen Bundesländern wird seit mehreren Jahren - häufig brachliegend und engagierter Investoren harrend - durch die staatlichen Liegenschaftsverwaltungen veräußert. De Zayas hebt besonders den Ansehensverlust der Bundesrepublik auf internationalem Parkett hervor. Deutschland offenbare durch diese "BRD-Willkür", mit der das Unrecht zweier nicht mehr existenter Staaten - der DDR und der Sowjetunion - fortgeschrieben wird, eine offene moralische Flanke und sei "angreifbar" geworden.

So verwundere es denn auch nicht, daß die Regierung Schröder Tschechien, das vom Uno-Menschenrechtsausschuß zur Beseitigung rechtsstaatlicher Hemmnisse verurteilt wurde, nicht für das Ignorieren dieser Weisung gerügt habe. Berlin habe sogar durch seine Fürsprache in den EU-Beitrittsverhandlungen die Tschechen in ihrer völkerrechtwidrigen Praxis noch bestärkt. Bezeichnend ist, daß diese an Kumpanei erinnernde Praxis sogar die Ansprüche deutscher Landsleute aus der kommunstischen Nachkriegszeit an Tschechien unberücksichtigt ließ. De Zayas fordert die Enteignungsopfer auf, "die Schande weiterhin zu thematisieren" und dabei sowohl die internationale Staatengemeinschaft, die Medien als auch nichtstaatliche Organistionen für die Unterstützung rechtsstaatlicher Positionen zu mobilisieren.

Der emeritierte Dresdner Historiker Ulrich Kluge hält es dazu für erforderlich, den Unrechtscharakter der bis heute als "Boden- und Industriereform" beschönigten Konfiskation zu dokumentieren. Dieser nicht nur von PDS-Politikern heute noch als "sozial gerecht" gepriesene Gewaltakt müsse endlich als verbrecherischer Klassenkrieg der Kommunisten gegen "die Junker" benannt werden, der in Wirklichkeit auf die Vernichtung von Mittelstand, Bürgertum und Unternehmerschaft in Mitteldeutschland abzielte. Diese "Vernichtung der ökonomischen Basis", die auf dem Land auch die komplette Sozialstruktur beseitigte, habe nicht nur Auswirkungen in der DDR gehabt, sondern sei hauptverantwortlich an der aktuell zu beobachtenden wirtschaftlichen Stagnation, die Ausmaße einer Landflucht zeitige.

Enteignungsunrecht als administrativen Akt bewertet

Juristisch könne man nach dem Scheitern der Klage vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im März 2005 diese Entwicklung nur mehr auf internationaler Ebene durchsetzen. Davon ist jedenfalls Thomas Gertner, Prozeßbevollmächtigter der Alteigentümer in Straßburg, überzeugt. "Es bestehen durchaus Chancen vor dem Uno-Menschenrechtsausschuß", richtet Gertner seine Hoffnungen auf die Genfer Institution, der sein Koreferent de Zayas einst vorstand. Hier möchte er die strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsopfer der sowjetischen Besatzungszone erwirken. Vorher müßten jedoch alle nationalen Rechtswege ausgeschöpft werden.

Gertners erste Versuche, gegen die Enteignungen als "strafrechtlich relevante Vermögenszugriffe" zu klagen, wurden schon vor dem Oberlandesgerichts Dresden mit dem Hinweis abgelehnt, es habe der "individuelle Schuldvorwurf" gefehlt und sich "in erster Linie um einen administrativen und nicht um einen strafrechtlichen Akt" gehandelt - eine wahrhaft kühne Beschreibung der oft von Vertreibung, Verfolgung, Folter und Mord begleiteten Enteignungen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe die folgende Verfassungsbeschwerde bisher nicht zur Entscheidung angenommen. Gertner bewertet diese Haltung als "von fiskalischen Gesichtspunkten politisch beeinflußt". Die Gewaltenteilung sei ebenso in Gefahr wie der deutsche Rechtsstaat insgesamt, deshalb müsse man den juristischen Kampf internationalisieren.

Stefan von Raumer, ebenfalls auf Wiedergutmachungsrecht spezialisierter Anwalt aus Berlin, möchte diese Verzweiflung am deutschen Rechtssystem seines Kollegen Gertner nicht so recht teilen. Natürlich bezeichnet auch von Raumer die bisherigen Urteile aus Karlsruhe oder Straßburg als bedenklich. Dennoch gilt sein Augenmerk mehr den juristischen Widersprüchen. "Man muß die Rechtsprechung nehmen, wie sie ist, und mit dem System spielen", gibt sich von Rau-mer kämpferisch und verweist auf derzeit bereits 36 gewonnene Fälle, die zur Rückgabe des zwischen 1945 und 1949 enteigneten Grundbesitzes oder Entschädigungszahlungen führten.

Das Publikum kommt abschließend in den Genuß einer rhetorisch geschliffenen Einführung in die "Winkelzüge" seiner erfolgreichen Prozeßtaktik. Ähnlich wie Gertner sieht er den Erfolg darin, daß die Enteigneten als Opfer politischer Verfolgung anerkannt werden. Dazu sei es jedoch absolut notwendig, den laut deutschen Gesetzen untersagten "Unrechtsvorwurf gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht" zu vermeiden. Diese Tatsache führe derzeit allerdings dazu, daß fast identische Unrechtsakte völlig unterschiedliche Bewertungen erhielten - abhängig eben davon, wer Urheber der verbrecherischen Akte sei.

Tatsächlich offenbaren von Raumers Fälle, daß in Deutschland über jeder vermeintlich politischen Beeinflussung der Judikative die vasallenhafte Vergötzung des alliierten Siegerrechtes zu stehen scheint.


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