© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Heterogener Herrenstand
Der europäische Adel
Peter Lebitsch

Burgen und Schlösser verkünden noch heute die einstige Macht und Größe des Adels. Dif­ferenziert und sehr kompakt legt Walter Demel dar, was der Adel für die europäi­sche Kultur bedeutete. Der Autor erörtert das Mittelalter, bearbeitet inten­siv die frühe Neuzeit und endet in der Gegenwart. Allerdings interpretiert er zu wenig.

Der europäische Adel, schreibt Demel, war einzigartig. Außerhalb Europas existierte nichts Vergleichbares. Normen und Privilegien, die der Glaube legitimierte, daß "Höherwertigkeit" vererbt würde, konstituierten den adeligen Geburtsstand. Wie kam es dazu? Der Leser erhält nur spärliche Hinweise. In Spätantike und Früh­mittelal­ter habe der Adel durch das Christentum religiöse Weihe erhalten. Demel hätte ergänzen können, daß der Erbgedanke unzählige dynastische Kriege verursachte, die Europa bis ins 18. Jahrhundert plagten und verheerten. Adelige leisteten ihren Herrschern häufig Waffendienst, herrschten gleichzeitig über bäuerli­che Vasallen, die ihnen Abgaben und Frondienste schuldeten, dafür aber Schutz und Sicher­heit beanspruchen durften. Eigene Gerichtsbarkeit, kirchliche Immunität, Steuerfreiheit, das Privileg, Staats- und Hofämter zu erhalten, gehörten jahrhundertelang zu adeligen Vorrech­ten.

Der Adel war sozial gespalten. Das Spektrum umfaßte Kaiser genauso wie verarmte Blau­blütige, die Gefahr liefen, ihre Titel zu verlieren. Nichtadelige konnten nobilitiert werden, auch differierte der Adel je nach Land und Region. Erst Peter der Große formierte zum Beispiel den russi­schen Adel zu einer ständischen Korporation. In Westeuropa verschmolzen Adel und Bür­gertum, während deutsche Hochgeborene selten Bürgerliche heirateten. Demel erläu­tert ade­lige Bildungswelten und Normen.

Die europäische Kultur kennzeichnet große soziale Ungleichheit - auch dafür steht der Adel. Ob die Abschaffung der ständischen Privilegien zu einem sozialgeschichtlichen Bruch führte oder sich neue "Herrenstände" bildeten, läßt Demel leider unbeantwortet. Insgesamt ist das Buch informativ, es fehlt nur die univer­salgeschichtliche Reflexion.

Walter Demel: Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C.H. Beck, Mün­chen 2005, 128 Seiten, broschiert, 7,90 Euro


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