© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Immer tapfer und treu
Schweizergarde: Seit 500 Jahren Beschützer des Papstes / Großes Programm im Jubiläumsjahr
Paola Bernardi

Die Faust umgreift fest die Fahne, die drei Schwurfinger der rechten Hand schnellen empor und laut und fest tönt die Stimme des jungen Rekruten über die versammelte Menge. "Ich schwöre, alles das (...) gewissenhaft und treu zu halten, so wahr mir Gott und seine Heiligen helfen." Jahr für Jahr am 6. Mai vollzieht sich unter dem Wahlspruch Acriter et fideliter. Semper (immer tapfer und treu) die alljährliche Rekrutenvereidigung der Schweizergarde im Vatikan.

Bisher geschah dieser feierliche Akt verborgen hinter den dicken Mauern des Vatikans, wo die Stimmen der jungen Rekruten bis hinauf in die höchsten Höhen der Loggien des prächtigen Renaissancehofes, dem Damasushof, hallten. Mal in Schwyzer-Deutsch, dann auf italienisch oder französisch, je nachdem aus welchem Teil der Schweiz der Rekrut stammt. Und je nach Temperament tönte diese Eidesformel martialisch-bühnenreif oder einfach nur stolz über den Hof.

Nach jedem Schwur hörte man ein Klatschen, mal aus dieser, mal aus jener Ecke, Fotoapparate klicken, Filmkameras surren. Den an diesem Spätnachmittag im Mai geladenen Gästen bietet sich ein farbenprächtiges Schauspiel dar. Die jungen Gardisten ziehen in ihren bunten spätmittelalterlichen Trachten unter Klängen und Fanfaren auf. Die Vatikanhymne und die Schweizer Nationalhymne werden intoniert. Einen unbeschreiblichen Augenblick lang fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt, die Zeit scheint zu versinken.

Dieser 6. Mai ist für die Schweizergarde von großer historischer Bedeutung, gilt er doch als Tag der Heimsuchung, als "Sacco di Roma". An diesem Tag fiel im Jahr 1527 die beutehungrige Söldnertruppe Kaiser Karls V. - hauptsächlich aus deutschen Landsknechten und Spaniern bestehend - in das schwach geschützte Rom ein und begann eine verheerende Plünderung, eben diesen "Sacco di Roma". Papst Clemens VII., der durch seine wankelmütige Politik im Konflikt mit Karl V. und dem französischen König Franz I. selber maßgeblich zu der furchtbaren Tragödie beigetragen hatte, wurde verraten und mußte fliehen.

Die Schweizergarde, die letzten Getreuen das Papstes, verteidigten heldenhaft und verzweifelt das Oberhaupt der katholischen Kirche gegen eine zahlenmäßig riesige feindliche Übermacht. Der Blutzoll war gewaltig: 147 Schweizer starben, während sich die restlichen 42 Soldaten auf einem geheimen Fluchtweg, dem "Passetto", mit dem Papst in die Engelsburg retteten. Seitdem gilt dieser Mai-Tag als Ehrentag der Schweizergarde, an dem die Vereidigungen alljährlich stattfinden.

In diesem Jahr, dem 500. Jubiläumsjahr, allerdings vollzieht sich die Vereidigung der 35 neu aufgenommenen Rekruten auf dem Petersplatz in Rom, wird zum großen öffentlichen Spektakel und zum Sinnbild einer glaubensstarken Tradition jenseits der Zeitmode.

Die 500jährige Geschichte der Garde geht zurück bis ins späte Mittelalter. Der militärische Ruf der eidgenössischen Söldner war legendär. Europäische Großmächte rissen sich förmlich um die Schweizer Soldaten. Es war Papst Julius II., der die Idee hatte, sich eine feste Truppe zu schaffen, die ausschließlich aus Schweizern bestand. Unterstützt wurde sein Vorhaben durch den im Vatikan tätigen Schweizer Kanonikus Peter von Hertenstein, der mit der Würde eines päpstlichen Kämmerers versehen wurde.

Im Juni 1505 schrieb der Pontifex den "Confoederatis Superioris Alemanniae" einen Brief und bat um die Entsendung von 200 Schweizern zu seinem persönlichen Schutz und zur Verteidigung des Apostolischen Palastes. Jener Peter von Hertenstein schaffte es, eine Truppe von 150 Mann zu bilden, die unter dem Oberbefehl von Kaspar von Silenen (ein Vetter von ihm) standen. Die "Svizzeri" marschierten nach Rom. Dort zogen sie feierlich auf den Petersplatz, wo ihnen der Papst seinen Segen erteilte. Man schrieb den 21. Januar 1506 - dieses Datum markiert die offizielle Gründung der Garde. Seitdem besitzt der Vatikan, der kleinste Staat der Welt, diese effiziente Truppe, diese "Defensores Ecclesiae Libertatis", Verteidiger der Freiheit der Kirche.

Der Vatikan ist nicht nur das exakt arbeitende Gehirn eines weltumspannenden Kirchen-Apparates, sondern ist auch durch das Weltgeschehen ein verletzbarer Kraftspeicher der Kirche. Auf den hallenden Marmorgängen des Vatikan-Palastes werden die tagsüber eindringenden Menschenströme in abgedichtete, traditionelle Bahnen geleitet - in die Audienzsäle und in die vatikanischen Sammlungen -, und ihr Lärm dringt nicht in jene Bezirke vor, die dem Kirchenregiment vorbehalten sind. Denn dafür sorgt die Schweizergarde. Sie sind für alle Rom-Besucher immer ein lohnendes Fotoobjekt: wie sie so stramm dastehen in ihren gelb-blau-rot leuchtenden Uniformen mit Barett oder glänzendem Schutzhelm mit wehendem roten Federschmuck unter dem meistens blauen römischen Himmel.

Und doch lassen sich alle Touristen - wie auch Staatsbesucher - blenden vom farbenprächtigen Äußeren der Gardisten und unterschätzen die wahre Aufgabe der Wache. Denn bei dieser so operettenhaft wirkenden Wache handelt es sich in Wirklichkeit um bestens geschulte und reaktionsschnelle harte Soldaten, die durchaus mit der Waffe umgehen können.

Staatsbesuche, Audienzen, Heiligsprechungen und Messen - das sind die Ereignisse, bei denen die Schweizergarde ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit tritt. In steifen Gleichschritten ziehen Hellebardiere zur Thronwache und pflanzen sich hinter dem Sitz des Papstes auf. Sie beschützen Tag und Nacht diesen Zwergstaat mit 44 Hektar Fläche.

Eine weiße Linie auf dem Petersplatz markiert die Grenze zwischen Italien und dem Vatikanstaat. Wer auf Sankt Peter zugeht, überschreitet diese Grenze, ohne es zu merken. Erst am Bronzetor - ebenso wie auf den anderen vier Eingängen, treffen die Besucher auf die Schweizergarde, die nach ihrem Begehr fragt. Betritt ein Priester den Vatikan, zieht der Gardist die Hellebarde an sich und stampft mit dem Fuß auf; für Bischöfe, Kardinäle, Generäle und Botschafter wird die mittelalterliche Waffe geschultert.

Aber nicht nur Wachdienst schieben die "Svizzeri", sondern regelmäßig begleiten erfahrene Gardisten in Zivil den Papst bei seinen Reisen, diskret mit Schußwaffen ausgerüstet. Sie sind Personenschützer, Ordnungshüter und Repräsentanten. Ihr Sold beträgt monatlich 1.200 Euro, steuerfrei und bei kostenlosem Schlafsaal in der Gardistenkaserne gleich hinter dem Annator des Vatikans. Die Garde umfaßt heute 110 Angehörige und steht seit 2002 unter der Leitung des erfahrenen Kommandanten Oberst Elmar Mäder, Jahrgang 1963, von Haus aus Jurist. Um in die Schweizergarde aufgenommen zu werden, müssen die Rekruten Schweizer Bürger unter 30 Jahren, unverheiratet, mindestens 1,74 Meter groß und katholisch sein.

Wie ein dunkler Schatten schwebt noch immer das tragische Ereignis vom 4. Mai 1998 über dieser Elitetruppe. Damals verübte ein Rekrut einen Doppelmord an seinem Kommandanten und dessen Ehefrau und richtete sich dann selbst. Wie ein Erdbeben wurde der Vatikan von diesem blutigen Drama erschüttert. Es war der erste Mord seit 150 Jahren. Und ausgerechnet an dem Mann, der Papst Johannes Paul II. am nächsten stand. Die Flut der Spekulationen wollte und will bis heute kein Ende nehmen. "Die schwarze Wolke eines Tages kann doch nicht fünfhundert Jahre des Großmuts in der Geschichte der Schweizergarde verdunkeln", erklärte der päpstliche Staatssekretär Angelo Sodano seinerzeit vor den Särgen.

Die Jubiläums-Feierlichkeiten der Schweizergarde werden am 22. Januar mit einem Hochamt in der päpstlichen Kapelle in der Sixtina eröffnet. Anschließend versammeln sich die Gardisten auf dem Petersplatz, um den Segen des Papstes wie vor 500 Jahren zu erbitten. Zu den Besonderheiten im Festjahr zählt auch ein Marsch über 723 Kilometer, an dem rund 80 ehemalige Schweizer-Gardisten teilnehmen. Sie starten am 7. April von Bellinzona, weiter über Piacenza, Montefiascone, Settevene und werden am 4. Mai das Tor an der Piazza del Popolo in Rom durchschreiten, um dann weiter bis Sankt Peter zu marschieren.

Noch spürt man nichts von der Hektik des Jubiläums; die Gardisten versehen ihren täglichen Dienst, und die dicken Mauern des Vatikan wirken wie immer stumm und abweisend. Nur der dicke schwarze Kater Rambo, der den Gardisten zugelaufen ist, schleicht seelenruhig auf den verbotenen Wegen innerhalb des Vatikans. Ihn halten nicht einmal die "Svizzeri" auf.

Foto: Angehörige der Schweizergarde bei ihrer Vereidigung: Das farbenprächtige Äußere lenkt von den wahren Aufgaben der Wache ab


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