© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Kein Partner für Kriege
USA: Angela Merkels Antrittsbesuch bei George W. Bush sollte der Wiederannäherung an Washington dienen / Topthema Iran
Alexander Griesbach

Es muß Zuneigung auf den ersten Blick gewesen sein, die den mächtigsten Mann der Welt letzte Woche beim Besuch von Angela Merkel überfiel. George W. Bush überschlug sich in Elogen à la "Sie ist smart. Sie ist fähig. Und sie hat eine Einstellung, die mir gefällt. Und sie liebt die Freiheit".

Die Erfahrungen der CDU-Chefin, die Bush von ihrer Jugend in der DDR erzählte, hätten den US-Präsidenten laut eigener Aussage tief berührt. Es sei, so Bush, ein großer Unterschied, mit jemandem zu sprechen, der in "Freiheit lebe und über Tyrannei nur spreche" oder mit jemand, der dies "tatsächlich erlebt habe". Auch Madeleine Albright, einst Außenministerin unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton, bestätigte: "Sie hat über die Freiheit gesprochen, da ist er (Bush) sehr empfänglich." Und sie ergänzte: "Bush ist sehr daran interessiert, ein gutes Verhältnis zur deutschen Kanzlerin zu bekommen - gerade in dieser Zeit".

In der Tat: Bushs desolate außen- und innenpolitische Bilanz (Stichwort: Irakkrieg oder wachsendes Handelsbilanzdefizit) und sein daraus resultierendes Popularitätstief erzwingen geradezu, gegenüber "Verbündeten" (auch "unbotmäßigen") moderater als bisher aufzutreten. Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund möglicher Militärschläge wie gegen den Iran.

Und der Iran soll ein "Topthema" in den Gesprächen gewesen sein. Ganz auf einer Linie mit Bush liegt Merkel, wenn sie feststellt, daß der Iran durch seine Wiederaufnahme der Urananreicherung "rote Linien" überschritten habe: "Wir lassen uns nicht einschüchtern von einem Land wie dem Iran." Worte, aus denen im Ernstfall eine mögliche Beteiligung Deutschlands an einer bewaffneten Intervention im Iran abgeleitet werden könnte. Aber weder Deutschland noch anderen EU-Staaten kann an einer Eskalation im Atomstreit gelegen sein, ist der Iran doch wichtiger Energielieferant und Handelspartner.

Daß eine Verstrickung Deutschlands in die geostrategischen Abenteuer der USA keineswegs unwahrscheinlich ist, dafür steht vor allem der außenpolitische Berater der Kanzlerin, Christoph Heusgen. Für den CDU-Politiker war die demonstrative Weigerung der Regierung Schröder, Deutschland in den Irakkrieg zu verwickeln, "ein Fehler", wie die FAZ am 18. November 2005 verriet. Ein "Fehler", den er beim Iran wohl nicht wiederholen will. Heusgen hatte schon als Büroleiter von Javier Solana, dem Außen- und Sicherheitspolitikchef der EU, großen Einfluß ausgeübt, wie Die Zeit feststellte: "Auch an seiner Analyse liegt es, daß die EU heute Polizisten auf den Balkan, Soldaten in den Kongo und militärische Beobachter nach Indonesien schickt. Elf Missionen laufen derzeit unter europäischer Flagge, auf vier Kontinenten." Auf Heusgens Einfluß dürfte auch Merkels Angebot, die deutsche Hilfe zur Ausbildung irakischer Polizisten und für den Aufbau politischer Strukturen im Irak auszuweiten, zurückgehen.

Heusgen ist überdies ein Anhänger der Wiederbelebung des "Weimarer Dreiecks" Paris-Berlin-Warschau. Daß dies eine Abkühlung des Verhältnisses zu Rußland bedeutet, ist klar - es dürfte aber den Interessen Washingtons entgegenkommen. Die alten ideologischen Gegensätze sind zwar längst überwunden, die geostrategischen bleiben aber - etwa wenn es um den Besitz bzw. den Einfluß auf die Energiequellen und -wege im Kaukasus und Mittelasien geht.

Auch Symbolisches sollte nicht unterschätzt werden. Daß Merkel bei ihrem Antrittsbesuch bei Präsident Wladimir Putin die Situation in Tschetschenien thematisiert hat, war notwendig. Daß sie das russische Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ansprach und sich in der Moskauer Deutschen Botschaft hochoffiziell mit dezidiert Putin-kritischen Menschenrechtsgruppen, Journalisten, Künstlern und Politikern traf, war ebenfalls richtig. Denn die "gelenkte Demokratie" in Rußland erfüllt sicher nicht sämtliche EU-Beitrittskriterien.

Aber was wäre passiert, wenn sich Merkel in den USA mit dezidierten Bush-Gegnern (jenseits der US-Demokraten) getroffen hätte? Das wäre als ein Affront gewertet worden, der mit Sicherheit zu einer neuen Eiszeit zwischen Washington und Berlin geführt hätte. Merkel erlaubte sich vor den Kameras einzig einen zaghaften Hinweis auf das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba, das aus ihrer Sicht "auf Dauer" nicht existieren dürfe. In Washington milderte sie diese Aussage bereits wieder ab, als sie darüber nachdachte, daß man sich international darüber Gedanken machen müsse, wie mit Gefangenen umgegangen werden könne, "die sich keinerlei Recht verpflichtet fühlen". Bush kanzelte diese Einlassungen laut der Welt mit dem Hinweis darauf ab, daß die USA weiter an diesen Lagern festhalten würden, weil sie im "Krieg gegen den Terror" notwendig seien. Bush sieht hier schlicht "falsche Wahrnehmungen", würden die Gefangenen doch "human" behandelt.

Von der in Deutschland diskutierten Affäre um den Bundesnachrichtendienst (BND), dessen Agenten den USA im Irakkrieg Hilfe geleistet haben sollen, will Bush keinerlei Kenntnis haben. Das mag stimmen, aber daß die BND-Affäre kurz vor Merkels US-Besuch "hochging", war sicher kein Zufall.

Ob und wie intensiv Merkel mit Bush über die gescheiterte Welthandelsrunde, die globale Währungspolitik und das riesige US-Leistungsbilanzdefizit gesprochen hat, wurde in den Medien kaum diskutiert. Das bedauerte zu Recht auch die Financial Times Deutschland. Denn "aus Sicht der USA ist Deutschland kein Partner für Kriege. Mit den Deutschen redet man am besten über Wirtschaft und über Handel. Umgekehrt gilt das genauso". Ob sich eine solch nüchterne Sicht in Berlin durchsetzt, wird sich zeigen.


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