© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Konklave und Prozession
Berlin: Lafontaine sucht die Nähe der radikalen Linken / Kongreß und Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg
Markus Schleusener

Ihr wißt, daß Oskar Lafontaine mal von einer Verrückten überfallen worden ist. Er wird daher schwer bewacht", sagt der Leiter der Berliner Luxemburg-Konferenz durch den Lautsprecher. Die Anwesenheit der Beamten des Bundeskriminalamtes, auf die sich diese Aussage bezieht, ruft Pfiffe und Buhrufe hervor. Die am vergangenen Sonnabend im Großen Hörsaal der Humboldt-Universität versammelten Altkommunisten mögen Vertreter "dieses" Staates nicht. Selbst dann nicht, wenn sie dazu abgestellt wurden, einen wie den Fraktionschef der Linkspartei zu bewachen.

Auch Lafontaine hat es nicht leicht. Früher war er mal SPD-Chef, also fast schon ein Klassenfeind. Und ein "deutschnationaler Populist" obendrein, wie ihm von roten Scharfmachern attestiert wird. Trotzdem gelingt es Lafontaine recht schnell, die Herzen der Teilnehmer der 11. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der Zeitung Junge Welt zu erobern.

Lafontaines Welt hat sich nicht geändert

In seiner Rede am Nachmittag beklagt er die "kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus". Aus Sicht der Kommunisten beherrschen "die Kapitalisten" die Sprache und das Denken der Deutschen. Neoliberalismus sei "Globalisierung, Deregulierung und Demokratieabbau". Wir wollen das Gegenteil, sagt der Saarländer. Die "Bündnisse für Arbeit" nennt er "Bündnisse gegen Arbeit". Lafontaine ist jetzt ganz in seinem Element.

Seine Argumente sind die gleichen, wie die, die er schon 1980 und 1990 gebracht hat. Nicht die Welt hat sich geändert, sondern seine alte Partei, die Gewerkschaften, und natürlich die Kapitalisten. Die Welt ist in seinen Augen noch die gleiche wie 1970, und er - Oskar aus dem Saarland - ist sich und seinen Positionen von damals treu geblieben. Deswegen findet er Zugeständnisse von Belegschaften an Firmen, die im harten globalen Wettbewerb stehen, nicht anerkennenswert, sondern unsozial. Nicht er sei unzeitgemäß, sondern SPD und Grüne seien charakterlos, weil sie damals, als 68er "Enteignet Springer, enteignet die Banken!" gefordert hätten, aber mit ihrer Politik schließlich die Arbeitnehmer "enteignet" hätten.

Lafontaine hat beobachtet, daß es zum Alltag gehöre, wenn "die Rechte nach der Wahl das Gegenteil von dem macht, was sie im Wahlkampf versprochen hat." Die Linke erhole sich aber erst nach Jahren davon. Kommunales Eigentum werde Stück für Stück verscherbelt, warnt Lafontaine weiter: "...bis ein Stadtrat gar nichts mehr zu entscheiden hat."

Hinter Begriffen wie "stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts" verberge sich in Wahrheit nichts anderes als Abbau des Kündigungsschutzes, niedrigere Löhne und Arbeitszeiten rund um die Uhr. Die fallende Geburtenrate sei eine Antwort auf die zunehmende Unsicherheit vieler junger Deutscher, sagt Lafontaine. "Ich selbst bin diesen Wörtern früher auf den Leim gegangen", übt sich der Ex-Finanzminister in Selbstkritik. Er wird den ganzen Abend über mit Kritik konfrontiert sein. So wirft ihm der Soziologieprofessor Peter Grottian, der mit seinem Kampf gegen die Agenda 2010 in Berlin einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat, vor, "zu staatstragend" zu wirken. Aber die Kritik ebbt ab.

Als Lafontaine auf die Außenpolitik zu sprechen kommt, gewinnt er sofort die Herzen der Zuhörer, von denen viele im fortgeschrittenen Rentenalter sind. Lafontaine erinnert an das Treffen zwischen George W. Bush und Angela Merkel in Washington und die Zusagen im Kampf gegen den Terrorismus. "Was ist denn Terrorismus?" fragt er. "Euer eigenes handeln ist doch ganz in der Nähe von Terrorismus", ruft er an Bush und Merkel gerichtet in den Saal. Die Zuhörer toben.

Er geht auch auf den Atomstreit ein: "Es ist unglaublich, wie sich die Welt gegenüber dem Iran verhält. Der Westen rüstet seine Atomwaffen nicht ab, enthält dem Iran aber die friedliche Nutzung dieser Technologie vor", sagt er und kommt sogleich zu seinem Lieblingsthema, der Kontrolle der globalen Kapitalmärkte. Lafontaine fordert: "Die internationalen Finanzmärkte müssen re-reguliert werden. Wir brauchen feste Wechselkurse und mehr Kontrolle."

"Ein Grund für mich herzukommen war, daß in der Jungen Welt immer 'Besatzungstruppen' steht und nicht 'US-Truppen'", wendet sich Lafontaine schließlich an den Geschäftsführer der Zeitung auf dem Podium. So zollt Lafontaine seinen neuen Freunden Respekt. Unter denen befinden sich auch der kubanische Botschafter, der begeistert begrüßt wird. Auch Egon Krenz wird vom Podium herab begrüßt.

Dieses marxistische Konklave unter dem Motto "Mit dem Sozialismus rechnen" ist die Auftaktveranstaltung für die am nächsten Tag stattfindende Prozession zum Gedenken an die 1919 ermordeten Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Ein Dorado für linke Splittergruppen

An der Demonstration nehmen am nächsten Morgen Zehntausende teil. 20.000, sagt die Polizei. 85.000, die Linkspartei. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. In jedem Fall ist es beeindruckend, wie viele Kommunisten hier aus dem ganzen Land im Andenken an ihre "Märtyrer" zusammenströmen.

Unter ihnen auch Lafontaine, Gregor Gysi, der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, und der letzte SED-Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow. Als die Mauer noch stand, waren es sogar Hunderttausende, die zum Grab der beiden KPD-Gründer pilgerten. "Karl und Rosa" - das ist die zentrale kommunistische Gedenkveranstaltung in Deutschland. Vor dem Friedhof in Berlin-Lichtenberg haben alle möglichen Splittergruppen ihre Stände aufgebaut. Flugblätter und Zeitungen werden verteilt und Bücher verkauft. Eine Initiative sammelt Unterschriften gegen den bevorstehenden Abriß des Palastes der Republik, eine andere wendet sich gegen "Iran-feindliche Hetze". Ein Händler verkauft Anstecker mit den Konterfeis der "Helden der Revolution". Er hat nicht nur Lenin im Angebot. Auch Stalin, Walter Ulbricht und Erich Honecker.

Wieder ist die Anwesenheit der Polizei nötig. Diesmal aber nicht zum Schutz von Oskar Lafontaine, sondern um Krawallen der "autonomen Gruppen" vorzubeugen, die hinter den zumeist betagten PDS-Rentnern mitmarschiert. An diesem Sonntag bleibt es aber friedlich. Erfahrungsgemäß wartet die Szene, bis es wärmer ist. Bis 1. Mai, um genau zu sein, dem Tag, an dem seit Jahren nach der sogenannten "revolutionären 1. Mai-Demonstration" in Berlin die Barrikaden brennen.

Foto: Jung- und Altkommunisten auf der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration: "Helden der Revolution"


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