© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Wunder geschehen!
Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses wird eine dringend benötigte Aufbruchsstimmung erzeugen
Thomas Paulwitz

Wir schreiben das Jahr 2015. Ein Vater nimmt seinen zehnjährigen Sohn mit zu einem Ausflug nach Berlin. Nach dem Besuch des Reichstages gehen sie zum Brandenburger Tor. "Hier hat einmal mitten in der Stadt eine große Mauer die Menschen getrennt", erzählt der Vater. Der Junge schaut ungläubig. Er kann sich nicht vorstellen, daß hier, wo nun ununterbrochen über eine große Kreuzung der Verkehr rollt, eine Stadt, ein Land, ein Volk auseinandergerissen wurden: "Man sieht ja gar nichts mehr", antwortet er, beinahe enttäuscht.

Sie gehen weiter "Unter den Linden" in Richtung Alexanderplatz. Auf halber Strecke erreichen sie die Spreeinsel. "Das ist das Zeughaus, da ist das Alte Museum, da ist der Berliner Dom", erklärt der Vater. Doch all diese großartigen Bauwerke scheinen sich nur auf einen einzigen Bau auszurichten. So erhebt sich unmittelbar vor den beiden das vor kurzem eröffnete, prächtige Berliner Stadtschloß. Der Vater wird still und schluckt. "Was hast du, Papa?" Der Vater faßt sich: "Acht Jahre hat es gedauert. Nun ist es fertig." - "Was ist fertig?" - "Unser Schloß!" - "Unser Schloß?"

Der Vater hält einen Vortrag: "Eigentlich gibt es das Schloß schon lange. 1699 hat es der Architekt Andreas Schlüter zum bedeutendsten weltlichen Bau des protestantischen Barocks ausgebaut. Im letzten Krieg wurde das Schloß jedoch schwer von Bomben getroffen. Walter Ulbricht hat 1950 die Reste gesprengt und 1961 die Mauer errichtet, von der ich dir erzählt habe. Von 2007 an ist das Schloß wieder aufgebaut worden."

Allmählich wird der Junge ungeduldig: "Aber warum ist es denn unser Schloß?" - "Erstens ist es ein Teil unserer Geschichte und ein Symbol, zu welchen Leistungen wir fähig sind und zweitens..." Der Vater deutet triumphierend auf das Schloß: "Siehst du den Stein dort oben in der Fassade? Den habe ich gespendet." Jetzt versteht der Junge: "Du hast also dabei geholfen, das Schloß wieder mit aufzubauen. Dann gehört ein Teil dieses Schlosses also tatsächlich uns?" staunt er. "Ja", antwortet der Vater und freut sich.

Rückblende in die Gegenwart: Wir schreiben das Jahr 2006. Während der Junge seine ersten Gehversuche unternimmt, geht es in der Hauptstadt dem häßlichen "Ballast der Republik" endgültig an den Kragen. In "Erichs Lampenladen", der bisher dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses im Wege steht, gehen für immer die Lichter aus.

Am vergangenen Mittwoch (18. Januar) rollten bereits die ersten Bauwagen für Arbeiter und Architekten auf die Baustelle, die den vor knapp 30 Jahren errichteten Palast der Republik unwiderruflich dem Erdboden gleichmachen werden. Das Wort "Palast" war immer schon ein Euphemismus für die asbestverseuchte "Kaufhaus-Architektur ohne Bezug zur historischen Stadtstruktur", wie es die Wiener Zeitung treffend bezeichnete.

In letzter Sekunde wollen verzweifelte DDR-Nostalgiker den Abriß stoppen. An diesem Freitag bringt die SED-Nachfolgepartei "Die Linke" im Bundestag einen Antrag ein, um "den für Januar 2006 geplanten Abriß des Palastes der Republik sofort zu stoppen und bis zum Vorliegen eines beschlossenen und finanzierten Anschlußprojektes auszusetzen". Damit streben Gysi und Genossen nach eigenen Worten die "Aufhebung der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft" an. Kann denn allen Ernstes die Abschaffung der deutschen Geschichte im historischen Kern der deutschen Hauptstadt das erklärte Ziel sein?

Der Antrag im Geiste der SED gilt als chancenlos, der Abriß kann beginnen. Mehr als ein Jahr soll er dauern. Ab Ostern 2007 könnte dann mit dem Wiederaufbau begonnen werden - wenn das Geld gesichert ist. Gutachter rechnen mit Kosten in Höhe von über 600 Millionen Euro, während Schloßgegner die astronomische Summe von über einer Milliarde Euro veranschlagen. Wenn zügig begonnen wird, könnte das Stadtschloß bis zum Jahr 2013 in neuem Glanz erstrahlen. Die Finanzierung des Neubaus soll mit einer sogenannten Öffentlich-Privaten-Partnerschaft erreicht werden. Das bedeutet, daß neben dem Humboldtforum mit staatlichen Museen, wissenschaftshistorischen Sammlungen und Bibliotheken auch ein Luxushotel und eine Tiefgarage untergebracht werden sollen.

Der "Förderverein Berliner Schloß" unter der Führung des Hamburger Kaufmanns Wilhelm von Boddien fertigt bereits Baupläne an und treibt das Projekt voran. Er will Spenden einwerben für die Wiederherstellung der Fassade, ganz so wie sie einmal war. Sie soll 80 Millionen Euro kosten. Der Verein sammelt seit Anfang des Jahres 2004 für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Bislang sind 11,4 Millionen Euro zusammengekommen (Stand: 30. November 2005). Die Einnahmen zwischen 1991 und 2003 - etwa 150 bis 250.000 Euro jährlich - waren allein dafür verwendet worden, das Stadtschloß wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken, was nach mühseliger Aufklärungsarbeit gelang: Am 4. Juli 2002 beschloß der Deutsche Bundestag den Wiederaufbau des Schlosses und bekräftigte diesen Beschluß nochmals am 13. November 2003.

Zahlreiche private Initiativen werden nun benötigt, um den Traum des Schlosses Wirklichkeit werden zu lassen. So sammelt die Privatbäckerei Schnell in ihren 40 Berliner Filialen nicht nur für den Wiederaufbau, sondern hat auch ein eigenes "Berliner-Schloß-Krustenbrot" kreiert. Von jedem verkauften Brot gehen einige Cent in den Spendentopf, von jeder Schloßtorte ein Euro.

Jeder Bürger kann außerdem Schloßbausteine stiften. Teilbausteine sind bereits ab 50 Euro zu haben, ein ganzer Schloßbaustein kostet 250 Euro. Wer ein ganzes Portal mit seinem Namen verbunden sehen will, muß etwas mehr hinlegen: 2,5 Millionen Euro. Zum Vergleich: Für die Gala der Fußball-WM, die im Berliner Olympiastadion stattfinden sollte und jetzt abgesagt wurde, waren 25 Millionen Euro eingeplant. Unterdessen haben die Berliner Verkehrsbetriebe an einigen Fahrzeugen Werbung für den Schloß-Aufbau befestigt.

Die Wiedererrichtung des historischen Zentrums Berlins ist aber nicht nur eine Sache der Berliner, sondern eine nationale Angelegenheit, sogar mehr noch als der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Dieser hat gezeigt, wie begeisterte Bürger gegen alle Widerstände mit festem Willen etwas Großes erreichen können. Ein wiedererstandenes Berliner Stadtschloß nach historischem Vorbild wird eine Aufbruchsstimmung erzeugen, wie sie dieses Land dringend benötigt.

Wir Deutschen haben es in der Hand, ob der Vater im Jahr 2015 seinem Sohn wirklich "unser Schloß" zeigen kann oder ob beide an einer riesigen Grill- und Liegewiese vorbeispazieren müssen.

Foto: Computersimulation des Berliner Stadtschlosses: Die Wiedererrichtung des historischen Zentrums der deutschen Hauptstadt ist eine nationale Angelegenheit


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