© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Lob der Anarchie
Pfeifen auf die Staatsräson: Brandenburgs Kultusministerin Johanna Wanka gibt zu, daß die Rechtschreibreform falsch war
Thomas Paulwitz

Die Kultusminister wissen längst, daß die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden." Das Eingeständnis stammt von der Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) - nun ja, Ex-Präsidentin muß man mittlerweile sagen, denn die brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka hat dieses Amt zum 1. Januar turnusgemäß abgegeben. Ist damit auch die Verpflichtung entfallen, das Volk für dumm zu verkaufen?

Mitte Juli vorigen Jahres hatte die damalige KMK-Präsidentin Wanka das sture Festhalten an der Rechtschreibreform noch anders begründet: "Die Menschen in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz, wollen endlich Klarheit." Dabei ließ Wanka allerdings die Tatsache unerwähnt, daß nur acht Prozent der Deutschen für die Rechtschreibreform sind, wie die Meinungsforscher aus Allensbach ebenfalls im Juli bekanntgaben. Diesen acht Prozent Befürwortern stehen 61 Prozent Gegner und 31 Prozent Unschlüssige gegenüber. Nun soll also paradoxerweise die große Mehrheit des Volkes offenbar der "Staatsräson" im Wege stehen. Es geht nur noch darum, um jeden Preis eine "Reform" durchzudrücken, die niemand wollte, niemand brauchte, niemandem nützte, sondern einen Rechtschreibkrieg auslöste, der nun schon zehn Jahre dauert.

Wie antworten die Deutschen aber auf diesen Neomachiavellismus, der nur an Schädlichem festhalten will, um die Autorität der Staatsführung zu wahren? Mit "kollektiver Unfolgsamkeit"; so nennt es Hans Zehetmair, der Vorsitzende des Rechtschreibrates: Lehrer schreiben weiterhin die bewährten Schreibweisen an die Tafel, Schüler machen sich über die unsinnigen Regeln lustig, kaum ein Bürger richtet sich nach den veränderten Regeln. Auf eine solcherart beschworene Staatsräson gibt das Volk die einzig sinnvolle Antwort: Es pfeift auf sie.


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