© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Strom aus den Tiefen des Elsaß
Energiepolitik: Tiefe Geothermie feiert erste Erfolge / Heizung und Strom aus Erdwärme / Technik aber nur begrenzt einsetzbar
Volker Kempf

Die Erdmasse ist nur zu 0,1 Prozent kälter als 100 Grad. Diese 0,1 Prozentanteile befinden sich auf der Oberfläche. Das reichte, damit sich Leben entwickeln konnte, zuletzt auch das menschliche. Der Mensch hat sich über die ganze Erde ausgebreitet und einen künstlichen Produktionskreis geschaffen, den er mit viel Aufwand, meist mit fossilen Energieträgern, unterhält. Damit beginnen die Probleme.

Denn fossile Energieträger sind nicht im Überfluß vorhanden und teilweise hart umkämpft - wie beispielsweise der jüngste "Erdgaskrieg" zwischen Rußland und der Ukraine (JF 2/06) zeigte. Selbst wenn man politische und geostrategische Probleme ausblendet, ist allein wegen der zunehmenden Nachfrage aus China und Indien mit drastischen Preissteigerungen zu rechnen.

Laut der Studie "Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen" der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) reichen die 2002 bekannten Reserven an Erdöl noch für 67 Jahre und die für Erdgas für 149 Jahre. Beim Uran geht die BGR (bei Nutzung der Wiederaufarbeitung) von 527 Jahren aus. Nur die Kohleressourcen werden auf weit über 1.200 Jahre geschätzt.

Doch eine Folgeerscheinung der Nutzung fossiler Brennstoffe ist ein zusätzlicher Treibhauseffekt vor allem durch CO2-Emissionen. Bei der Atomkraft stellt sich vor allem die Frage der Sicherheit und der Endlagerung der Kernspaltprodukte. Nach Alternativen wird gesucht, naheliegend auch unter der Erdoberfläche, wo es warm ist.

Doch dort stößt man im wahrsten Sinne des Wortes auf Granit. Nur in vulkanisch aktiven Regionen gelangt flüssiges, heißes Gestein an die Eroberfläche. Eine geothermische Stromerzeugung ist mit heute marktgängiger Technologie kommerziell nur hier möglich. Solche Länder sind insbesondere entlang des sogenannten Feuergürtels an den Rändern des Pazifiks angesiedelt. In Europa ist Italien der größte Produzent von Strom aus Erdwärme. Die größte thermische Leistung, die zum Heizen genutzt wird, liefern weltweit China und die USA, gefolgt von Island. Insgesamt ist die gelieferte geothermische Energie schon jetzt die am stärksten genutzte regenerative Energie weltweit.

In vulkanisch nicht aktiven Regionen nimmt die Temperatur um etwa drei Grad Celsius auf 100 Meter Tiefe zu. Bergleute wissen das aus eigener Erfahrung. Fällt der Temperaturanstieg stärker aus, spricht man von einer geothermischen Wärmeanomalie. Auch hier wird es für die geothermische Nutzung interessant. In Mitteleuropa ist hierfür die Region Baden-Württemberg mit seinen angrenzenden Gebieten in Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern und dem Elsaß prädestiniert. Das am elsässischen Oberrheingraben gelegene Sulz unterm Wald (Soutz-sous-Forêts) liegt im Zentrum dieser Wärmeanomalie.

Seit Herbst 2005 fließt hier dank eines europäischen Gemeinschaftsprojekts in einer geothermischen Anlage durch den zentralen Brunnen eingespritztes Wasser aus 5.000 Metern Tiefe durch die Spalten des Granitfelsens.

Das Wasser erwärmt sich und kommt durch Nebenbrunnen, die der Fachmann Produktionsbrunnen nennt, wieder hoch. Die Durchflußmenge liegt bei 15 Litern pro Sekunde. Das Wasser erreicht eine Temperatur von 157 Grad. Im Frühjahr 2006 soll die Durchflußmenge auf 50 Liter pro Sekunde gesteigert werden und die Wassertemperatur nahezu 200 Grad Celsius erreichen.

Bis 2007 sollen zwei Heizkraftwerke 5,5 bis 6,5 Megawatt Leistung bringen. Fällt die Rentabilitätsstudie günstig aus, ist eine Einheit mit 25 Megawatt vorgesehen, was für die Stromversorgung von 25.000 Einwohnern ausreicht. "Die endgültigen Entscheidungen werden Ende 2006 fallen", erklärte der leitende Angestellte bei EDF, Christian Buchel, gegenüber der Tageszeitung Dernières Nouvelles d'Alsace.

Schon jetzt seien 50 Millionen Euro in das Projekt investiert worden. Weitere 50 Millionen Euro werden nötig sein, um zur angestrebten Stromproduktion zu kommen. Für die Rentabilitätsberechnungen wird die Nutzung der Wärmerückstände für Heizung und Industrie entscheidend sein. Die elsässischen Lokalpolitiker sind bemüht, Industrie anzusiedeln. Drei Kilometer von der Anlage entfernt ist schon für 2006 ein 16 Hektar großes Gewerbegebiet vorgesehen und weitere geplant.

In Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen laufen ebenfalls Versuchsprojekte zur geothermischen Energiegewinnung. Bei der Stromerzeugung aus Erdwärme hat EnBW von 2002 bis 2004 als Partner im Bad Uracher Geothermieprojekt grundlegende Erfahrungen gesammelt. "Unser Ziel ist es, die Stromgewinnung aus Erdwärme mit erfahrenen Partnern nachhaltig zu professionalisieren und ein vorkommerzielles Geothermiekraftwerk zu errichten. Neben der Wasserkraft ist die Erdwärme die bevorzugte Erneuerbare Energiequelle, die wir wirtschaftlich erschließen wollen", bekräftigt der EnBW-Chef laut einer EnBW-Pressemitteilung vom 7. April 2005.

Denn aus technischer Sicht sei die Gewinnung von Strom und Wärme aus der Geothermie durchaus möglich geworden, wenn auch in unseren Breiten kommerziell noch nicht nutzbar. In Deutschland sind an der Weiterentwicklung der "Hot-Dry-Rock"-Technik, die im Elsaß zum Einsatz kam, etliche Forschungseinrichtungen beschäftigt (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, Ruhr-Universität Bochum, GGA-Institut, Hannover, MeSy, Bochum und GTC Kappelmeyer, Karlsruhe).

6,5 Millionen Euro werden in ein Folgevorhaben im schwäbischen Bad Urach investiert, mit dem die Übertragbarkeit der in Sulz gewonnenen Erkenntnisse auf andere geologische Verhältnisse untersucht werden. In Hessen und Niedersachen befinden sich ebenfalls Versuchseinrichtungen.

Die einfache und schnelle Lösung für die Energieprobleme der Welt bringt die Geothermie damit nicht, da sie auch kommerziell nutzbar an wenige Standorte gebunden bleibt und etwa Rücksicht auf Wasserschutzgebiete nehmen muß. Aber eine klimatisch saubere, förderungswürdige Sache stellt Strom aus Erdwärme dar, ist weniger platzintensiv als die Solarenergienutzung und weniger landschaftsbelastend als die immer mehr umstrittene Windkraft.

Foto: Rohrspirale einer Erdwärmeanlage: Noch keine schnelle Lösung für die Energieprobleme der Welt


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