© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Du bist Rezipient: Über die Kampagne für den Patienten Deutschland
Deutschland gucken !?
Steffen Königer

Mit dieser Art von Aufmerksamkeit hatte die Werbeagentur Jung von Matt aus Hamburg nicht gerechnet: Am 18. Dezember letzten Jahres gingen bei Holger Jung in Harvestehude zwei Autos in Flammen auf. Der Polizei gegenüber gaben sich die Macher der "Du bist Deutschland"-Geschichte dann völlig ahnungslos, wer denn den schweren Geländewagen angesteckt haben könnte. Es entstand ein Sachschaden von 80.000 Euro, weil der dahinter parkende Mini den Flammen gleich mit zum Opfer fiel.

Der Sprecher der Pseudo-Patriotis-muskampagne, Lars Cords, beteuerte zwar gegenüber der Hamburger Morgenpost, daß die Kampagne "aufs schärfste Nationalsozialismus, Rassismus und neo-nazistisches Gedankengut" verurteile. Er sehe überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Kampagne und Autobrand. Daß es sich kaum um eine spontane Selbstentzündung gehandelt haben dürfte, davon zeugen mittlerweile unzählige Gegenaktionen. Schon wenn der Internet-Nutzer den Titel der Kampagne bei der Suchmaschine Google eingibt, trifft man auf mehr als 95 Prozent Ablehnung und Persiflagen.

Vergangenheit, die nicht vergeht: "Denn Du bist Deutschland"

Die Polizei ist da schon einen Schritt weiter und ermittelt in der linken Szene. Zwar gebe es noch keine konkreten Hinweise wie etwa Gewaltaufrufe im Internet, so eine Polizeisprecherin, jedoch wird auf Online-Plattformen wie etwa der linksextremen indymedia kräftig die antifaschistische Trommel gerührt.

Die Agentur Jung von Matt, die unter anderem schon mit der Sixt-Werbung mit Angela Merkels Punkfrisur deutschlandweit auffiel, steht dabei unter besonderer Berücksichtung der linksextremen Szene. Bald nach der Initiierung im September fiel der Antifa auf, daß der Spruch "Denn Du bist Deutschland" schon 1933 in Ludwigshafen von den Nationalsozialisten gebraucht wurde - mit großem Hitlerbild in der Mitte. Peinlich, mußten doch die Macher erst vom Ludwigshafener Stadtarchivar Stefan Mörz darauf aufmerksam gemacht werden, daß ihr so fürchterlich origineller Spruch so neu nicht war und sogar für jedermann im Archiv einzusehen ist (Stadtarchiv Ludwigshafen: "Ein Jahrhundert in Bildern", Weinheim 1999). Dabei hätte dies doch bei dem gewaltigen Kostenvolumen von etwa 30 Millionen Euro einfach eruiert werden können! Da nützen die heftigsten Dementis nichts und auch nicht die Tatsache, daß vor dem Holocaust-Mahnmal gedreht und mit Szenen aus dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" gearbeitet wurde.

Im Internet verschaffen viele ihrem Unmut Luft

Zu spät, "Du bist Deutschland" wird jeden von uns (so hat es die Agentur jedenfalls ermittelt) 16mal treffen - sogar noch bis zum Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft. Dabei ist es egal, ob man einen Fernseher hat, denn auch Zeitungen, Zeitschriften, Kinos und Großplakate wollen der Bevölkerung klarmachen, daß sie gefälligst Deutschland zu sein hat.

Unter www.deutschland-raus-aus-den-koepfen.de  machen diverse Aktivisten ihrem Unmut mit einer Vielzahl von Ideen Luft - zum Teil recht gelungene. Über die auf dieser Seite befindlichen Links gelangt man auf die verschiedenen, meist parodierenden Seiten. Dort ist gleich mehrfach das Foto aus Ludwigshafen aus dem Jahre 1933 zu finden.

Vom Logo der aktuellen Kampagne ausgehend (mit etwas Phantasie erinnert das Ganze in der Tat an einen Hundehaufen) ahnt der Betrachter schon vorher: "Du bist scheiße". Weit über hundert Plakatmotive laden zum Grinsen, wenn nicht gar Lachen ein.

Beim "großen Patriotismustest" auf www.nerv-magazin.de  gibt es einen infantil anmutenden Fragenkatalog, anhand dessen der Teilnehmer erfährt, welches Land er ist. Der Autor dieser Zeilen war plötzlich "Türkei"!

Ein Ende der nervigen Kampagne ist derzeit nicht abzusehen. Die Fußballweltmeisterschaft ist nur noch sechs Monate entfernt, schon haben Adidas und Coca-Cola in punkto Pseudopatriotismus nachgezogen.

"It's your Heimspiel" - am Reißbrett entworfen

Beim Sportartikelhersteller ist es die Nationalmannschaft, die mit allerlei Zitaten den Gemeinsinn herausstellen will, dabei aber irgendwie komisch wirkt: Oliver Kahn etwa fliegt in Zeitlupe durch das Tor und meint "Titan, Titan ... ohne Abwehr ist nix mit Titan" - ja, welche Abwehr meint der denn? Die Kapitalistenbrause setzt dem im allerbesten engleutsch noch drauf und meint zu hochtrabender klassischer Musik: "It's your Heimspiel".

Allein bei dem bloßen Gedanken, welche Aktionen noch folgen mögen, kann einem angst und bange werden.

Foto: Kindisch, mit neuer CD-Produktion: Am gekünstelten Kampagnewesen soll die "Liebe Nation" genesen


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