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02/06 06. Januar 2006
Ulbricht-Kritiker wurden für verrückt erklärt Die folgenden Urteile lassen in ihrer juristischen Nüchternheit nur entfernt das Ausmaß des Unrechts erkenne, welchem die Angeklagten ausgeliefert waren. "Indem der Angeklagte Gebhardt Mitte des Jahres 1958 und im Februar 1959 Hetzschriften angefertigt hat, mit denen er in unverschämter Weise gegen unsere Arbeiter- und Bauernmacht hetzte ..., hat er objektiv den Tatbestand des Paragraphen 19, Absatz 1, Ziffer 1 und 2 erfüllt. Da jedoch nach dem fachärztlichen Gutachten dem Angeklagten Paragraph 51, Absatz 1 Strafgesetzbuch zugebilligt werden muß, kann er strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden ... Die Unterbringung des Angeklagten in einer Heil- und Pflegeanstalt ist also einmal geboten im Interesse der Sicherheit der Werktätigen unseres Arbeiter- und Bauernstaates, zum anderen im Interesse des Angeklagten selbst, der in einer Heil- und Pflegeanstalt gesunden wird. Die Unterbringung war deshalb nach Paragraph 12b Strafgesetzbuch anzuordnen ..." (Unterschriften, Leipzig, 25. Juli 1959). Untersuchungen haben de facto nie stattgefunden "Der Angeklagte (Koch) wird wegen eines Verbrechens der staatsfeindlichen Gruppenbildung ... und in einem Falle wegen Beihilfe zur staatsfeindlichen Hetze ... zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt ... Gemäß Paragraph 16, Absatz 3 Strafgesetzbuch wird nach Verbüßung der Freiheitsstrafe die Einweisung des Angeklagten in eine psychiatrische Einrichtung angeordnet ..., um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vor staatsfeindlichen Angriffen zu schützen ..." (Unterschriften, Leipzig, 13. April 1972). Fritz Gebhardt hatte während zehnjähriger Haft wiederholt kritische Äußerungen über Ulbricht gegenüber Mitgefangenen gemacht. Dietrich Koch war 1968 an dem bekannten Plakatprotest beim Internationalen Bachfestival gegen die von Ulbricht angeordnete Sprengung der Leipziger Universitätskirche beteiligt. Selbiges vermutete die Stasi auch, konnte es letztlich aber nicht nachweisen. Das Urteil beinhaltete für beide unbefristete Unterbringung. Gebhardt hatte de facto ein (weiteres) Jahr im Waldheimer Haftkrankenhaus für Psychiatrie abzusitzen, Koch ein halbes Jahr (nach der Untersuchungshaft). Beschrieben ist dieses Schicksal in seinem dreiteiligen Buch "Das Verhör" (Dresden 2000). Die Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V. (GEP) hat Ende der neunziger Jahre etwa 25 Fälle der Art vorstehender Beispiele gesammelt, nachdem sie, von Psychiatern und "Laien" getragen, zuvor als einzige "fachkompetente" Vereinigung in Deutschland den Psychiatriemißbrauch in der UdSSR verfolgt, die entsprechenden Fälle in ihren Rundbriefen dokumentiert und bekanntgemacht hat. Von den offiziellen Nachuntersuchungen, die es bezüglich der DDR nach der Wende in einigen der neuen Bundesländer gab, wurde die GEP allerdings systematisch ausgegrenzt. Manche dieser Untersuchungen sind freilich nur angekündigt worden, haben - wie etwa in Thüringen - de facto nie stattgefunden. Die Ergebnisse der übrigen "Untersuchungen" besagten dann, es habe in der DDR keinen systematischen Mißbrauch der Psychiatrie gegen Andersdenkende wie in der Sowjetunion gegeben. Obwohl aufgrund der Art der Nachuntersuchungen verläßliche Angaben über das wirkliche Ausmaß psychiatrischer Mißbräuche in der DDR kaum möglich sind, scheinen sich diese doch in Grenzen gehalten zu haben. Dazu trug fraglos bei, daß gegen die bekanntgewordenen Sowjet-Praktiken in vielen Ländern - wenn auch seltsamerweise kaum bei den westdeutschen Ärztenbreiter Widerstand aufkam. Die dem Westen besonders nahe gelegene DDR wurde damit gewarnt. Mehr aber dürfte den Mißbrauch der Psychiatrie in diesem "Arbeiter- und Bauernstaat" gebremst haben, daß er hier rasch noch übler weiterentwickelt wurde, nämlich zum politischen Mißbrauch der Psychologie, zur bekannten "Zersetzung". Verfehlte der Psychiatriemißbrauch in der Sowjetunion auch sein Ziel, die politische Repression als mildtätig und den Staat mit ihr gar als besonders fürsorglich erscheinen zu lassen, so ließ der Psychologiemißbrauch die Unterdrückung jetzt tatsächlich beinahe unauffällig werden. Entsprechend häufig kam er in wie außerhalb von Haftanstalten zum Einsatz. Die Methode half, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" vorzuführen und vor allem Intellektuelle für die DDR einzunehmen. Dafür "lohnte" die Einrichtung des Studienganges "Operative Psychologie" an der Hochschule der Staatssicherheit in Potsdam-Gorch, "lohnten" gründliches akademisches Studium und seine Ausstaffierung mit Promotions- und sonstigen Karrieremöglichkeiten. Mit den dort erworbenen Doktor-Titeln läßt sich heute noch glänzen. Und sind Psychologie und Psychiatrie heute auch organisatorisch fest an einander gekoppelt (worden), so können die Psychiater, die schon von den Sowjet-Praktiken höchst ungern Notiz genommen haben, doch so tun, als gingen sie die Vorgänge in der "Seelenkunde" der DDR erst recht und überhaupt nichts an. Kaum Anerkennung als Opfer politischer Verfolgung Die aber den Psychiatrie- wie insbesondere den Psychologiemißbrauch, die "Zersetzung" am eigenen Leib erlebten, haben es bis heute besonders schwer, als Opfer politischer Verfolgung anerkannt zu werden. Die einschlägigen Gesetze legen Haftzeiten als (Mit-)Voraussetzung einer Entschädigung fest. "Verfolgungszeit" kennen sie nicht. Will nun, so fragen nicht nur Stasi-Opfer, der Rechtsstaat auf Dauer vom Unrechtsstaat profitieren und denen Anerkennung versagen, die gerade von den psychologisch ausgeklügeltsten Unterdrückungsmethoden der Diktaturen in Deutschland getroffen wurden? Versuchen deshalb staatliche Behörden die "Psycho-Form" der Repression herunterzuspielen? Die bisherige Praxis im Umgang mit Tätern und Opfern läßt auf diese Haltung schließen.
Dr. Friedrich Weinberger ist Nervenarzt und Vorsitzender der Walter von Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V. Foto: DDR-Untersuchungshaftanstalt in der Berliner Keibelstraße: Psychiatrie zur Zersetzung missbraucht |