© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Schmutzige Geschäfte
Die Stasi im Westen
Detlef Kühn

Daß es der DDR-Staatssicherheit gelungen ist, eine nennenswerte Zahl westdeutscher Mitarbeiter "auf der Basis der Überzeugung" für ihr schmutziges Geschäft zu gewinnen, erstaunt noch heute. Schätzungen bewegen sich zwischen 6.000 und 30.000 Inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Auch die "Kundschafter" des MfS, die aus dem Westen Deutschlands stammten, behaupten, sie hätten nur dem Weltfrieden dienen und die angeblich ungleichen Chancen des sozialistischen Lagers in der Auseinandersetzung mit dem Westen mildern wollen. Trotz dieses hehren Ziels haben sie in aller Regel materielle Zuwendungen des MfS akzeptiert. Das stinkt immer noch zum Himmel, zumal viele der überführten Westtäter mit einem blauen Auge davongekommen sind.

Was den Bereich des Hörfunks und Fernsehens anbelangt, so hat die ARD vor einigen Jahren spät, aber nicht zu spät eine heroische Anstrengung unternommen, zu klären, in welchem Ausmaß in Ost und West Mitarbeiter des Rundfunks in die Machenschaften der Stasi verstrickt waren. Das Ergebnis der Untersuchungen ist bereits zum großen Teil veröffentlicht worden. Datenschutzrechtliche Bedenken müssen beim Rest noch ausgeräumt werden.

Der Fall des Sportjournalisten Hagen Boßdorf, der jetzt die Gemüter bewegt, war im wesentlichen schon bekannt. Boßdorf hat das Interesse der Öffentlichkeit jetzt nur deshalb auf sich gezogen, weil er zum Sportchef des NDR befördert werden sollte (JF 51/05). In der Endphase der DDR hat er der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS Beurteilungen über West-Bekannte geliefert, die in die DDR reisten. Damit habe er niemandem geschadet, behauptet er heute.

Diese Einlassung ist typisch für Personen, die der konspirativen Kooperation mit dem MfS überführt werden. Sie ignorieren, daß im Falle des MfS eine Unterscheidung zwischen "sauberer" Auslandsaufklärung und "schmutzigem" Repressionssystem nach innen nicht möglich ist. Es istvielfach belegt, daß auch die HVA ein wesentlicher Teil des vor allem auf die Überwachung der eigenen Bevölkerung ausgerichteten Systems der Staatssicherheit war. Alle ihre Erkenntnisse wurden (auch) für diese Zwecke genutzt, ohne daß der Informant dies verhindern oder gar steuern konnte.

Darin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der HVA und dem Bundesnachrichtendienst, dem jede Form der Inlandsaufklärung untersagt ist. Ein anderer ist, daß sich der gesamte Staatssicherheitsdienst einschließlich der HVA immer als Schild und Schwert der SED verstanden hat und auch immer von der Partei als solche genutzt wurde. Westliche Geheimdienste, ob BND oder Verfassungsschutz, haben dagegen prinzipiell dem Staatsganzen zu dienen. Das gilt auch und gerade dann, wenn im Einzelfall eine Behörde allem Anschein nach von den Regierenden im Kampf gegen vermeintliche oder wirkliche innenpolitische Gegner mißbraucht wird. Dagegen kann und muß man sich dann mit den Mitteln des Rechtsstaats wehren. In der DDR war das grundsätzlich nicht möglich.

Es wäre sicherlich falsch, im heutigen Deutschland die DDR-Stasi zum mythischen, der historischen Situation enthobenen Ereignis zu verklären. Dies haben in der Wendezeit vor allem Kader der SED getan, die sich auf diese Weise ihrer Verantwortung für die zahlreichen Stasi-Verbrechen entziehen wollten. Auch dem "Kalten Krieg" sind diese Rechtsbrüche nur selten zuzurechnen. Sie waren vielmehr im Wesen der kommunistischen Weltbewegung begründet, gleichgültig ob es sich um die stalinistische Variante, die maoistische "Kulturrevolution" oder die Massenmorde Pol Pots handelte. Den Sportreporter Boßdorf entlastet das keineswegs.


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