© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Wintersonne
Kino I: "Sommer vorm Balkon" von Andreas Dresen
Ellen Kositza

Die Filme von Andreas Dresen bilden eine ganz eigene Kategorie. Melancholischer Grundton, leichtfüßige Erzählweise, das ergibt eine bittere Süße, der die "Tragikomödie" als Genrebezeichnung keinesfalls gerecht würde. Dresen, Jahrgang 1963, lebt in Potsdam und stammt aus Gera. Man müßte länger ausholen, um zu erklären, warum man diese markante Art, Geschichten zu erzählen - in heiterer Schwermut -, einfach lieben muß, und dann sitzt man im Kinosessel, schaut sich diese inhaltlich durch und durch gewöhnlichen deutschen Alltagsgeschichten ohne Pomp und Glamour an, hängt auch gänzlich ohne Mitfühllaune plötzlich mittendrin und hofft, daß der Film so bald nicht enden möge. Das ist wie bei einem Lied, das einen unverhofft und unbekannt aus dem Radio streift, und beim Kehrreim lauscht und hofft man gebannt, daß noch eine weitere Strophe folgen möge.

Hier nun deutet bereits der Titel an, daß es sich thematisch um den banalsten Kinofilm Dresens handelt, "Sommer vorm Balkon", eine Juli-August-Komödie also. Da hängt die dramaturgische Absicht ganz offensichtlich tiefer als bei der fulminanten Ehebruch-Geschichte "Halbe Treppe" oder beim letztjährigen Kinofilm "Willenbrock", der die Traumatisierung einer Ehefrau durch einen häuslichen Überfall ins Bild setzte. Nun also eine Berliner Frauenfreundschaftsgeschichte: Katrin (Inka Freidrich) und Nike (Nadja Uhl) wohnen in einem Mietshaus, Katrin mit pubertierendem Sohn im Parterre, Nike ganz oben mit Balkonaussicht auf die Dächer Berlins.

Beide Frauen haben ihr Kreuzlein zu tragen. Katrin, mit zunächst nur latentem Hang zu alkoholischen Getränken, sucht seit Jahren schon eine Stelle als Dekorateurin und findet sich mit Gelegenheitsjobs und dem Trott immer wieder verpatzter Bewerbungsgespräche nur schwer ab.

Die hübsche Nadja läßt den Tangaslip blitzen, heischt schon symbolisch durch ihren Kettenanhänger nach "Love" und arbeitet mit kesser Lippe und viel Herz als mobile Altenpflegerin. Weder eine sichere Arbeitsstelle bei der einen noch die erhoffte Liebesbindung bei der anderen wollen sich einstellen. Liebe, äußert Nadja resigniert, sei womöglich wirklich nur so ein Botenstoff im Hirn, der nach Monaten, maximal Jahren schlicht verbraucht ist.

Daß sie schließlich aber Ronald kennenlernt, wäre ein verfehlter Begriff: Sie schleppt ihn, den wortkargen, nur leidlich attraktiven Oberstoffel, schlichtweg ab. Ganz bald wird der Ausgezogene zu einem, der einzieht: In Nikes Wohnung, gegen Katrin wohlmeinenden Rat. Dieser entzweit die Freundinnen, weil die Verliebte der anderen Neid vorwirft.

Während nun auch Katrin sich in einer durchtanzten, durchsoffenen Nacht einem Fremden an den Hals wirft, nur knapp einer Vergewaltigung entgeht, und schließlich als lebende Alkoholleiche in der Psychiatrie landet, wird bei Nike um eine Dose Bier gestritten und heftig über Zukunftsaussichten debattiert: "Warum machst'n das, alten Leuten den Hintern abwischen, kannste dich nicht weiterbilden?" fragt der Prolet sein verliebtes Mädchen und kann die Gegenfrage Tage später mit einem Triumph beantworten: Statt Teppiche, wie die Jahre zuvor, transportiert er nun Computer. Ist auch ein Aufstieg, zumindest irgendwie moderner.

Die "große Liebe zu den Figuren" ist so ein Gemeinplatz, mit dem sich mancher Regisseur gern schmückt. Bei Dresen trifft solche Zuweisung den Kern. Präzise Beobachtungsgabe, gepaart mit Wärme und poetischer Lust, das macht die Filme des 42jährigen unverwechselbar. Kein Pathos der Rührseligkeit, auch keine innerliche Gefühligkeit à la Doris Dörrie; Dresen geht weder vom Publikumsgeschmack aus noch von emotionaler Selbsterfahrung, er betrachtet die Menschen, wie sie sind. Und das mit grundsätzlicher Zuneigung. Wo bei nur leicht misanthroper Grundstimmung der großmäulige, pornobegeisterte Lastwagenfahrer mit seiner Handvoll verlassener Kinder unterschiedlicher Mütter als verachtenswertes Schwein gesehen werden könnte, trifft sogar ihn die Güte - und das ist kein Gutmenschentum - seines Regisseurs: Ein armes Schwein, das ist Ronald wohl, und in solch kleinem Attributwechsel drückt sich eine keinesfalls blinde, sondern mitfühlende Warmherzigkeit aus. Dresen braucht keine bedeutungsschweren Dialoge, keine Zeigefingermusik, um Wesentliches herauszuheben, dies geschieht im Nebenbei, etwa, wenn die Kamera flüchtig nur über ein Dreirad schwenkt, das am Laternenmast steht: angekettet mit dem schwersten Schloß, das überhaupt denkbar ist.

Am Ende vergeht auch dieser Sommer, kaum daß man sich an ihn gewöhnt hat - und mit ihm so manche Illusion. Anderes wieder ist geeignet, die ersten Herbststürme zu überdauern. Ein schöner Film für den Winter.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen