© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Des Menschen absoluter Feind
Ihre Schrecken sind konkret, ihre Schönheit ist rein abstrakt: 2006 ist das "Jahr der Wüste"
Robert Backhaus

Die Wüste wächst. Wenn es stimmt, was die Vereinten Nationen zu Beginn des von ihnen ausgerufenen "Jahres der Wüste und der Wüstenbildung (Desertification)" offiziell verlautbaren: daß nämlich in den nächsten fünf Jahren mindestens 135 Millionen Landwirte ihren Beruf und ihr Einkommen verlieren werden, weil ihnen die sich unaufhaltsam ausbreitende Versteppung und Verwüstung den von ihnen bewirtschafteten Grund und Boden wegnimmt - wenn das stimmt, dann stünde die Menschheit vor einer Katastrophe. Über eine Milliarde Menschen wären davon unmittelbar betroffen.

Das Unglück wäre weitgehend hausgemacht. Es sind die Menschen selbst, die die Erde verwüsten und sich damit buchstäblich den Boden unter den eigenen Füßen wegziehen. Sie glauben zu kultivieren und zerstören doch nur. Allein im Sudan wurden zwischen 1960 und 2000 durch gezielte "Kultivierungsprogramme" an die 400.000 Quadratkilometer Baumsavannen abgeholzt und in Ackerland verwandelt. Und genau das war der Anfang umfangreicher neuer Wüstenbildung.

Baumsavannen sind an sich schon Trockengebiete, doch können sie, wenn sie ungestört bleiben, eine beträchtliche Vegetation tragen, die die Erdkrume vor dem Austrocknen schützt. Nach der Abholzung und "Entkrautung" des Bodens zwecks Ackerbau entfalten Winde (und auch der doch so selten fallende, dann aber regelmäßig zu reißenden Fluten führende Regen) ihre erodierende Wirkung. Jede Krume wird von den Hängen weggeschwemmt, der Boden insgesamt taugt bald nur noch als Weide. Den Rest besorgen die Weidetiere.

Zuerst kommen die Rinder und halten den Grasbewuchs so nieder, daß sich die Erosion beschleunigt. Dann kommen Schafe und Ziegen und zerstören endgültig, was bisher von der Vegetation noch übrigblieb. Der Vorgang ist keineswegs auf den Sudan und nicht einmal auf Afrika beschränkt. Auch in den mittelasiatischen Steppen Kasachstans und Usbekistans und am Rande der Gobi spielt sich Ähnliches ab. Die Wüste wächst, und der Mensch liefert dazu die Voraussetzungen.

Es ist dies ein keineswegs neuartiges Phänomen. Zwar sind die Kernwüsten selbst "naturgemacht", entstehen zum Beispiel (Atacama, Namib) durch die Trockenheit, die durch die Sinkluft über vorbeifließenden kalten Meeresströmungen wie dem Humboldtstrom erzeugt wird. Aber die Ausbreitung der Wüsten in ehemals prächtige Waldgebiete hinein, die eigentliche Verwüstung, wird regelmäßig durch Menschenhand in die Wege geleitet. So war es während der Antike in Nordafrika und Kleinasien. So war es während des Mittelalters in Mesopotamien und in der inneren Mongolei. So ist es heute vor allem im Sahelgürtel, auf Madagaskar, in Insulinde.

Mensch und Wüste waren immer absolute Feinde. Andere Lebensformen, Leguane, Käfer, Spinnen, Großohrfüchse, wußten sich blendend an Wüstenverhältnisse anzupassen, dem Menschen gelang das nicht, er mußte sie, wenn er darin leben wollte (oder mußte), sofort "entwüsten", zur Oase machen, begrünen. Es gibt keine Wüstenpoesie, nur eine Oasenpoesie. In der Wüste wohnen keine wohlmeinenden Götter, allenfalls Widergötter wie der Osiris-Mörder Seth, Feind allen Lebens, Stifter von Gesetzen, die auf vernichtendes Feuer oder tote Einförmigkeit aus sind. Die Schrecken der Wüste sind konkret, ihre Schönheit ist abstrakt und rein ornamental.

Entdeckerische oder touristische Sehnsucht richtete oder richtet sich nie auf die Wüste selbst, lediglich auf das Abenteuer ihrer erfolgreichen Durchquerung und "Bewältigung". Die großen Wüsten-Abenteurer und Wüsten-Erforscher des 19. Jahrhunderts, Heinrich Barth, James Richardson, Oskar Lenz, Ludwig Leichhardt ("der Humboldt Australiens") verschwanden entweder auf ihren Expeditionen eines Tages spurlos und auf Nimmerwiedersehen, oder sie wurden nach ihrem Wiederauftauchen gefeiert wie der Hölle Entronnene, starben früh.

Heutiger Wüstentourismus kitzelt entweder nur die Ränder, oder er firmiert von vornherein als "Abenteuerurlaub" und benutzt Omnibusse, die autark und gegen außen abgeschottet sind wie Weltraumschiffe. Andrea Vogel, der bekannte "touristische Einzelkämpfer", der bei seinen Reisen ausdrücklich auf moderne Technik verzichtet und auf den alten Routen "wie einst Heinrich Barth" wandelt, mit Kamel und begleitet von zwei, drei einheimischen Tuareg, wird in den Medien frenetisch als "der Reinhold Messner der Sahara" gefeiert, und dabei hat er natürlich zumindest ein Handy dabei, mit dem er bei Not Hilfe per Hubschrauber herbeibitten kann.

Die UN sollten sich im Verlauf ihres "Wüstenjahres" mit einer unangenehmen Wahrheit bekanntmachen: Wüsten lassen sich nicht "kultivieren", höchstens einhegen. Überall, wo mit riesigem logistischen und finanziellen Aufwand bestimmte (bescheidene) Wüstenstrecken bewässert und so angeblich fruchtbar gemacht werden, ist das ein Nullsummenspiel, und zwar eines auf Zeit. Man steckt hinein, was man andernorts anderen weggenommen hat; auf Dauer rächt sich das bitter und führt zu verschärfter Armut und zu schweren sozialen und nationalen Konflikten in und zwischen den Anrainerstaaten.

Das Geheimnis der Einhegung heißt Aufforstung. Statt profitträchtiger, leichte Ernte verheißender Kultivierungsprogramme sollte man an den Wüstenrändern umfängliche Aufforstungsprogramme ins Werk setzen, die sich allenfalls langfristig "rechnen", dafür aber dauerhaft und zum Segen der ganzen Menschheit und des Mutterplaneten Erde insgesamt. Die Forstwissenschaft hat längst ein reiches Arsenal sorgfältig ausdifferenzierter Aufforstungsmethoden geschaffen, auf das die Politiker einschließlich der UN-Bürokraten "nur" zurückzugreifen brauchten.

Faktisch alle genuin biologischen und ökologischen Fragen sind mittlerweile hinreichend erforscht und geklärt: Art und Eigenschaften der in den verschiedenen Zonen einsetzbaren Pflanzen, die jeweils optimale Bepflanzungsdichte, die sparsamste Wasserversorgung, der Arbeitsaufwand und die Kosten bei wechselnden Arbeitsbedingungen. Heinrich Walters geniales, grundlegendes Werk über "Vegetation und Klimazonen" erscheint bereits in der siebten Auflage, und es ist in vielen Ländern billig zu haben.

Was durchaus nicht geklärt ist und auch im "Wüstenjahr 2006" nicht geklärt werden wird, sind die politischen Verantwortlichkeiten für Verwüstung und ungewollte Wüstenbildung, als da sind Bevölkerungsexplosion, blinder Raubbau an Boden und Vegetation, "Modernisierung" um jeden Preis, rücksichtsloses Abholzen ("um die Armut zu beseitigen" oder aus nackter Profitgier), Wasser-Imperialismus. So gilt wohl auch weiterhin und zunehmend Nietzsches wehmütige Klage: "Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt!"

Foto: Abgestorbene Bäume im "Dead Vlei", einem Teil der Namib-Wüste: Die Wüste wächst, und der Mensch liefert dafür die Voraussetzungen


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