© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Die Woche
Auf ein Neues
Fritz Schenk

Mit dem allgemeinen Pressebild zum Jahreswechsel kann die erste deutsche Bundeskanzlerin per saldo zufrieden sein. Es wurde anerkannt und Angela Merkel attestiert, daß sie nach der mißglückten Bundestagswahl vom 18. September mit Geschick, Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen die Große Koalition zustande und deren Arbeit mit der Koalitionsvereinbarung geordnet auf den Weg gebracht hat. Auch international ist Merkel mit ihren ersten Auftritten in Brüssel und bei befreundeten Staaten positiv "angekommen". Das hat ihren Vorgänger Gerhard Schröder (wären da nicht dessen Eskapaden mit seinem ominösen Aufsichtsratsposten beim russischen Energieriesen Gasprom) in nur einem Vierteljahr fast schon vergessen lassen.

Für das neue Jahr wollte die Bundeskanzlerin uns mit ihrer Rundfunk- und Fernsehansprache und einem als Zeitungsanzeige verpackten persönlichen Brief ins Gewissen reden und sozusagen den rechten Weg weisen: Schluß mit dem Pessimismus, packt alle an, wir können mehr! Das wurde allgemein als doch etwas zu banal aufgenommen, womit wir alle - und natürlich auch die Kanzlerin höchstpersönlich - wieder in der harten Wirklichkeit angekommen sind. Und hart dürfte die Wirklichkeit dieses Jahres werden. Merkel hat zwar anklingen lassen - andere haben es deutlicher ausgesprochen oder geschrieben -, daß schon in diesem Monat die dicken Brocken angegangen werden müssen.

Hauptprobleme sind nach wie vor die stagnierende Beschäftigungslage und die immer noch fortschreitende Staatsverschuldung. Beides ist miteinander verbunden. Ohne kräftigen Aufschwung keine neuen Jobs, ohne neue Jobs anhaltende Flaute bei den Staats- und Sozialfinanzen. Da hilft auch kein Gutzureden, da müssen - zum Teil harte - ordnungspolitische Entscheidungen gefällt werden, um den verfahrenen Karren wieder flottzumachen. Und da wird die Bundeskanzlerin mehr ihren Koalitionären als uns über Gebühr verwalteten und reglementierten Staatsbürgern ins Gewissen reden und Durchsetzungsvermögen zeigen müssen.

In diesem Zusammenhang ist auf ein Problem hinzuweisen, das in diesen Tagen auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) wieder ins Spiel gebracht hat: Das fortbestehende Unrecht an den Tausenden von Enteignungsopfern aus der Sowjetzone/DDR.

Der vereinte Gesamtstaat hatte diese Bauernwirtschaften, Grundstücke, Mittelstands- und Versorgungsbetriebe durch verlogene Behauptungen und Aufhebung von Menschenrechtsgrundsätzen unserer Verfassung im Zuge der Wiedervereinigung an sich gerissen. Das ist die wesentliche Ursache für den Rückstand der neuen Bundesländer gegenüber den alten, für die Verschleuderung von Milliardensubventionen in Großprojekten im Osten der Bundesrepublik, den weiteren (und teilweise erneuten, nach der Wende schon einmal restaurierten) Verfall wertvoller Bausubstanz, das Fehlen eines nennenswerten Mittelstandes und die katastrophale Abwanderung junger gut ausgebildeter Fachleute in den Westen.

Diese Entwicklung wird fortschreiten und den Staat weitere Milliarden kosten. Auch diese Situation hat Merkel - wie die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages - mit zu verantworten. Es ist viel zu korrigieren, was seit dem Vollzug der Einheit falsch gelaufen ist.


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