© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Nach dem Sturm
Sachsen: NPD und ausgetretene Abgeordnete machen sich gegenseitig Vorwürfe / Die Rolle des Verfassungsschutzes / Parteigründung geplant
Peter Freitag

Die sächsische NPD kommt nicht zur Ruhe. Innerhalb einer Woche hat die Fraktion der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im sächsischen Landtag drei ihrer zwölf Mandate verloren. Dem am 17. Dezember ausgetretenen Abgeordneten Mirko Schmidt (JF 52/05-1/06) folgte am 20. Dezember sein Kollege Klaus Baier und drei Tage später auch Jürgen Schön.

Zur Begründung ihres Austritts erheben die Landtagsmitglieder, die seitdem als Fraktionslose firmieren, schwerwiegende Vorwürfe gegen die Führung von Fraktion und Partei. Die NPD habe sich mehr und mehr dem Nationalsozialismus verschrieben, nehme nicht mehr die Interessen der sächsischen Bürger wahr und propagiere statt dessen ein "viertes Reich", so Mirko Schmidt gegenüber der Sächsischen Zeitung. Die einheimischen Mitglieder der Partei seien laut Schmidt von der aus dem Westen stammenden Führungsriege um Fraktionschef Holger Apfel und Geschäftsführer Peter Marx zu "bloßen Marionetten" degradiert worden. Ähnlich äußerte sich Klaus Baier in einem Gespräch mit der Welt. Letzten Anstoß zum Verlassen der Partei habe für ihn der "Haß" gegeben, mit dem die Fraktion auf den Austritt von Schmidt reagiert habe. Die Formulierung, er sei ein "Aussteiger" oder "Überläufer", wies Baier zurück.

Während Schön öffentlich den Wunsch äußerte, der CDU beizutreten, sollen Schmidt und Baier die Gründung einer "Sächsischen Volkspartei" planen. Es gebe dafür bereits genügend Interessenten aus dem Umfeld ehemaliger NPD-Mitglieder. Zum Beleg der These von einer teilweisen Auflösung der Parteibasis führt Baier die Tatsache an, daß vier NPD-Kreisverbände vom Parteivorstand unter "Zwangsverwaltung" gestellt worden seien. Die NPD spricht im Fall der drei Abtrünnigen von einem "Parteiverrat im Dienst des politischen Gegners" und von einer "gezielten Aktion des sogenannten Verfassungsschutzes". Der Vorwurf, es gebe einen innerparteilichen Ost-West-Gegensatz, wird von der Partei vehement bestritten.

Unklar ist immer noch, welche Rolle das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) dabei gespielt hat. Laut einer offiziellen Mitteilung der Behörde erfolge "kein offensives Herantreten an Rechtsextremisten mit dem Ziel, diese aus der Szene 'herauszubrechen'. Ausstiegswilligen ist jedoch der Weg eröffnet, sich selbst oder über Vertrauenspersonen an das LfV zu wenden".

Demgegenüber behauptet der Spiegel, der Verfassungsschutz sei schon früher über die Pläne von Abgeordneten unterrichtet gewesen, die NPD zu verlassen. So soll sich Schmidt bereits Mitte 2005 schriftlich an den damaligen sächsischen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gewandt haben, woraufhin sich der Verfassungsschutz wiederum bei Schmidt meldete.

Mit dem zuletzt ausgetretenen Abgeordneten Jürgen Schön habe es laut Mitteilung des LfV überhaupt keinen Kontakt gegeben, bei seinem Kollegen Klaus Baier habe der Verfassungsschutz nur beim Personenschutz Hilfestellung geleistet: "Für die praktischen Maßnahmen ist die Polizei zuständig, der Verfassungsschutz kann aber zum Beispiel mit Gefährdungseinschätzungen helfen", sagte Behördensprecher Alrik Bauer. Das LfV betont, daß es keine Maßnahmen ergreife, die nicht mit den Ausstiegswilligen abgestimmt seien, auch gewähre es keine finanziellen Zuwendungen.

Jürgen Schön will sich telefonisch an den Staatsschutz - eine Abteilung der Kriminalpolizei - mit der Bitte um Personenschutz gewandt haben; Klaus Baier erklärte gegenüber der Presse, der Verfassungsschutz sei in seinem Fall offenbar erst durch die Polizei informiert worden sein, an die er sich ebenfalls wegen drohender Übergriffe seitens ehemaliger Gesinnungsgenossen gewandt habe. Tatsächlich soll Baier in Gegenwart seines Referenten telefonisch bedroht worden sein, außerdem sei ein mit mehreren Personen besetztes Fahrzeug nächtens vor seinem Haus postiert gewesen.

Daß die Verfassungsschützer nicht müde werden zu betonen, ihre Behörde sei erst aufgrund des Ersuchens der NPD-Renegaten aktiv geworden, hat einen besonderen Grund in der politischen Brisanz für die Arbeit des Landtags. So könnte sich durch eine Annäherung der fraktionslosen Parlamentarier an CDU oder FDP eine Mehrheitsverschiebung ergeben, die die Koalition der Union mit der SPD überflüssig werden ließe.

Zwar weist die CDU solche Gedankengänge vehement zurück, Kritik an der - widersprüchlich dargestellten - Vorgehensweise des Verfassungsschutzes gibt es jedoch nicht nur von NPD-Fraktionschef Holger Apfel, der eine "Agentur der Spitzelbehörde" im Landtag am Werk sieht, sondern auch von der Fraktion der Linkspartei/PDS. Deren parlamentarischer Geschäftsführer André Hahn äußerte gegenüber der taz: "Die Herauslösung von gewählten Abgeordneten aus ihrer Fraktion und die damit möglicherweise einhergehende Änderung von Mehrheitsverhältnissen ist mit Sicherheit keine Aufgabe des Verfassungsschutzes."

Für die NPD stellt der Wirbel um die Austritte angesichts der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt eine Belastungsprobe dar. Für den 29. Januar ist in Sachsen ein Sonderparteitag einberufen worden.


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