© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Mit vereinten Gewalten
Der Staat muß gegenüber austrittswilligen NPD-Abgeordneten neutral bleiben
Eike Erdel

Offenbar war der sächsische Verfassungsschutz am Parteiaustritt dreier NPD-Landtagsabgeordneter in Sachsen beteiligt. Alle Abgeordneten sollen nach Informationen der Berliner tageszeitung Kontakt zum sächsischen Verfassungsschutz gehabt haben. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen handelte es sich um einen gezielten Schlag ("konzertierte Aktion") gegen die rechte Partei.

So mündete die Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten Mirko Schmidt in dessen Aufnahme in das offizielle Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes für Neonazis. Beim Abgeordneten Klaus Baier soll sich der Verfassungsschutz um Personenschutz gekümmert haben. Auch mit dem Abgeordneten Jürgen Schön habe es Gespräche gegeben. Nach eigenen Angaben hilft der Verfassungsschutz auf Bitten Ausstiegswilliger beim Wechsel von Umfeld und Arbeitsplatz, bei Kontakten zu Beratungsstellen und sorgt für persönlichen Schutz. Im Einzelfall steuert der Verfassungsschutz auch, wie die Aussteiger ihren Abschied aus der Szene öffentlich darstellen. Die geschrumpfte Fraktion der NPD versucht jetzt mit Anfragen an die Landesregierung, den tatsächlichen Beitrag des Verfassungsschutzes am Austritt der Abgeordneten zu ermitteln.

Schon jetzt aber ist klar, daß die Verstrickung des Verfassungsschutzes kaum mit dem Grundgesetz und der sächsischen Verfassung vereinbar ist. Wenn eine der Landesregierung unterstehende Behörde wie das Landesamt für Verfassungsschutz Mitglieder einer Oppositionspartei im Landtag abwirbt oder auch nur beim Austritt unterstützt, dann sind grundlegende demokratische Prinzipien wie das freie Mandat, die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip berührt.

Die Verfassung schützt überhaupt grundsätzlich die Möglichkeit der Bildung und Ausübung einer Opposition. Die durch das Demokratieprinzip geschützte Opposition darf damit auch nicht durch die Regierung in ihrem Bestand und ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine wie auch immer geartete Förderung von Austritten von Fraktionsmitgliedern der Opposition durch Behörden der Exekutive ist verfassungswidrig.

Das freie Mandat der sächsischen Landtagsabgeordneten wird durch Artikel 39 der Verfassung geschützt. Die Freiheit richtet sich gegen alle staatlichen Maßnahmen, die den Abgeordneten in seiner Mandatsausübung beeinflussen. Der Austritt aus einer Partei und einer Fraktion ist dabei ein selbstverständlich durch das freie Mandat gerade geschützter Bereich. Ein solcher Austritt muß aber auf einer freien Entscheidung des Abgeordneten beruhen. Es verstößt gegen das Prinzip der Unabhängigkeit des Mandats, wenn ein Austritt aus einer Fraktion von einer staatlichen Behörde gefördert oder sogar initiiert wird. Denn dann ist die Entscheidung des Abgeordneten im Hinblick auf die ihm in Aussicht gestellten Vorteile nicht mehr frei.

Eine solche Einflußnahme auf Abgeordnete der Opposition berührt auch das Prinzip der Gewaltenteilung. Gemäß Artikel 20 Grundgesetz wird die Staatsgewalt durch "besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Damit wird das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich festgelegt. Es handelt sich hierbei um ein tragendes Organisationsprinzip des Rechtsstaates. Ihm liegt der Gedanke der Begrenzung staatlicher Macht durch gegenseitige Hemmung und Kontrolle einzelner, voneinander getrennter Staatsfunktionen zugrunde. Dabei übt das Parlament nicht nur die gesetzgebende Gewalt aus, sondern es bestellt und kontrolliert die Regierung.

Bei der Kontrolle spielt die Opposition die tragenden Rolle. Effektiv wird die Regierung nur von der Opposition mit den ihr hierzu zur Verfügung stehenden Mitteln wie Anfragen und Untersuchungsausschüssen kontrolliert. Nur die Opposition kann frei von parteipolitischen und koalitionsvertraglichen Zwängen eine wirksame Kontrolle der Regierung ausüben. Ihr kommt daher in der Demokratie eine unverzichtbare Rolle zu. Ohne eine freie Opposition kann die Gewaltenteilung nicht funktionieren und ihren Zweck erfüllen. Eine Einflußnahme der Regierung auf Abgeordnete der Opposition beeinträchtigt daher die Effektivität der Kontrolle der Exekutive durch die Legislative.

Das Prinzip der Gewaltenteilung ist aber auch schon dann verletzt, wenn keine gezielte Abwerbung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz vorliegen sollte. Jede auch noch so geringe Förderung eines Austritts aus der Opposition dient der Schädigung der Opposition und schädigt diese im Erfolgsfall. Der Staat hat sich daher gegenüber austrittswilligen Abgeordneten neutral zu verhalten. Gegen dieses Neutralitätsgebot verstößt er, wenn er einen Austritt fördert und sogar nach eigenem Bekunden bei der öffentlichen Darstellung des Austritts behilflich ist.

Diese Verfassungsprinzipien sind allgemeingültig und können nicht etwa zuungunsten tatsächlicher oder vermeintlicher extremistischer Parteien außer kraft gesetzt werden. Vertreter aller etablierten Parteien sollten sich bewußt sein, daß sich eine solche staatliche Aktion theoretisch auch einmal gegen sie selbst richten kann, wenn man diesem Mißbrauch des Verfassungsschutzes jetzt nicht entschieden entgegentritt.

Truppenparade am Kreml mit den neuesten russischen Waffensystemen ...


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