© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Es fehlt der Kompaß
2006: Die Politik steuert das Staatsschiff ohne klaren Kurs ins neue Jahr / Fünf Landtagswahlen
Paul Rosen

Blicken wir zunächst ein Jahr zurück. Am 1. Januar 2005 hatte wohl niemand auf seinem Zettel mit Ausblicken für das kommende Jahr stehen gehabt, daß ein Deutscher Papst und eine Frau Bundeskanzlerin wird. Auch das Jahr 2006 wird für die Politik keine ruhige Zeit bringen. Fünf Landtagswahlen stehen an, und für die in der Großen Koalition zusammengeschweißten Parteien CDU/CSU und SPD stellt sich die Frage, ob sie die Wende in der Wirtschaft hinbekommen. Schaffen sie dies nicht, stehen die Volksparteien 2007 möglicherweise vor der Existenzfrage.

Union und SPD werden sich in diesem Jahr einigen Wählervoten in den Ländern stellen müssen, wo sie in zum Teil unterschiedlichen Konstellationen regieren. Der erste wichtige Urnengang findet am 26. März statt. An diesem Tag sind die Bürger in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt aufgerufen, neue Landtage zu wählen.

Daß sich in diesen Ländern nach dem Vorbild der Bundesebene Große Koalitionen bilden werden, ist nicht das Ziel der Parteien. Sie haben andere Präferenzen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger (CDU) will das Bündnis mit der FDP fortsetzen. Von einem Bündnis mit der SPD hat die Südwest-CDU noch aus der Vergangenheit die Nase voll. Aus heutiger Sicht spricht viel dafür, daß Oettinger seine Regierung fortführen kann.

Umgekehrt ist der Fall in Rheinland-Pfalz: Dort will Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) die Koalition mit der FDP weiterführen. Da die CDU trotz ihres farblosen Spitzenkandidaten Christoph Böhr recht stark geworden ist, könnte Böhr die SPD möglicherweise in eine Große Koalition zwingen. In Sachsen-Anhalt sind die Verhältnisse fast nicht mehr kalkulierbar. Die Wähler in den neuen Länder zeigen schon seit Jahren kein berechenbares Verhalten mehr. Bei der letzten Wahl in Sachsen-Anhalt wurde das Magdeburger Modell, die Tolerierung der SPD-Regierung durch die PDS, von den Wählern beendet. Seitdem regiert im "Land der Frühaufsteher" (Eigenwerbung) eine CDU/FDP-Koalition mit dem beliebten Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU) an der Spitze. Ihm wird zugetraut, wieder eine Mehrheit zu bekommen. Gleichwohl sind auch andere Konstellationen möglich.

Für eine Abstimmung über das Berliner Regierungshandeln ist es bei allen drei Landtagswahlen noch zu früh, weil Ende März Erfolge oder Mißerfolge der Großen Koalition noch nicht deutlich zu sehen sein werden. Der erste Eindruck der Berliner Regierungsarbeit ist für viele Beobachter jedoch positiv. Union und SPD haben sich unter Kanzlerin Angela Merkel gut eingerichtet.

Prognosen für die zwei im Herbst anstehenden Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind besonders schwierig. In beiden Ländern regiert die SPD mit der PDS mit ähnlichen Ergebnissen. Die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine, die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch. Zwar funktionieren die Koalitionen, aber durch ihre Ergebnislosigkeit haben sie keine Leuchtkraft über die Landesgrenzen hinaus entwickelt. Sollte die Große Koalition auf Bundesebene bis zum Herbst Erfolge zeigen, hätte dies in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise ein Erstarken der CDU zur Folge, die dann vielleicht die SPD in eine Große Koalition zwingen könnte, auch wenn Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) klar für die rot-rote Option steht - übrigens auch auf Bundesebene.

Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat haben die Landtagswahlen nicht. In den von der Union allein geführten Ländern oder den von Großen Koalitionen regierten Ländern, die zusammen eine knappe Mehrheit in der Länderkammer haben, stehen keine Wahlen an. Merkel kann sich weiter darauf verlassen, im Bundesrat eine tragfähige Mehrheit für ihre Politik zu haben.

Schicksalhaft für die Bundesregierung wird die weitere wirtschaftliche Entwicklung sein. Merkel selbst stellte in ihrer Neujahrsansprache die Senkung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt. Außerdem rief sie zu mehr Optimismus auf, wohlwissend, daß Psychologie der halbe Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung ist. Jeder solle in seinem Bereich etwas mehr vollbringen, appellierte die Regierungschefin an die Deutschen. Die Regierung erwartet, daß die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland erheblich zum Stimmungsaufschwung beitragen wird.

Immerhin legte der Deutsche Aktienindex im vergangenen Jahr schon um rund 25 Prozent zu, was ein Zeichen für wirtschaftliche Besserung ist. Börsen-Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg der Kurse. In der CDU wird dies bereits als Merkel-Faktor bezeichnet, was jedoch sicher übertrieben ist.

Entscheidender als die Entwicklung der Börsenkurse wird sein, wie sich die Beschäftigungszahlen in diesem Jahr entwickeln. Nur wenn der Stellenabbau gestoppt werden könnte (täglich fallen etwa 1.000 sozialversicherungspflichtige Jobs weg), bleibt die finanzielle Basis der Sozialversicherungen erhalten. Bei Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung haben alle politischen Eingriffe der letzten Jahre nichts gebracht. Die Koalition hat sich nicht auf Reformkonzepte verständigen können, sondern wird die Reparaturarbeiten am laufenden Motor vornehmen müssen. Damit ist schon jetzt klar, daß keine wegweisenden Reformen herauskommen werden, sondern bestenfalls Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum liegen bei 1,2 Prozent. So ein Wert reicht nicht aus, daß neue Arbeitsplätze entstehen. Wichtig für ein höheres Wirtschaftswachstum wären Steuersenkungen. Die Große Koalition will jedoch 2007 mit einer kräftigen Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent den genau entgegengesetzten Weg gehen. Dieses Experiment ist weltweit einmalig. Alle anderen mit Struktur- und Wachstumsproblemen kämpfenden Länder haben ihre Misere mit einer Senkung der Steuern und einer Verringerung der Staatsquote in den Griff bekommen.

In der Europapolitik setzte Merkel bereits einen negativen Akzent mit Langfristwirkung: Die Einigung auf dem letzten Gipfeltreffen wird zu einer deutlichen Erhöhung der deutschen Netto-Zahlungen an Brüssel führen; Geld, das hierzulande fehlt.

Bundespräsident Horst Köhler hat zweifellos recht mit seinem Hinweis, daß der Regierung das übergeordnete Ziel fehle. Trotz aller Appelle sind die Bundesbürger mutlos statt in Aufbruchstimmung. Union und SPD haben sich auf die Punkte verständigt, wo eine Einigung möglich war. Alles andere wurde ausgeklammert. So ist die Regierung wie das Land: Ohne klaren Kurs treibt das Staatsschiff durch die Wellen.


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