© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Frisch gepresst

Erinnerungsorte. Gleich nach Erscheinen ihrer deutschen Übersetzung wurde Geert Maks Erinnerungsreise durch die letzten hundert Jahre große Aufmerksamkeit in den Rezensionsforen zuteil. Der Publizist Mak, der vor sechs Jahren im Auftrag seiner Zeitung Reisen quer durch Europa unternahm, um Spuren des für den Kontinent schicksalsträchtigen Jahrhunderts aufzunehmen, hatte sein geschichtliches Lesebuch bereits im vergangenen Jahr in den Niederlanden herausgegeben. Jahrzehnt für Jahrzehnt beschreibt er darin die "Erinnerungsorte", die prägend waren - beginnend mit einer Hauptstadttour 1900 über Ypern, Versailles, Dünkirchen, Auschwitz, Dresden, Budapest, Tschernobyl bis nach Srebrenica und viele Plätze mehr. Natürlich läßt die Auswahl bzw. Nichtauswahl von Orten viel Raum für Kritik, da Mak daran historische Phänomene gewichtet. So vermißt man zum Beispiel durchweg die Stätten, an denen sich die Menschenfeindlichkeit des Stalinismus - in den Gulags oder den Hungergebieten der Ukraine - manifestierte. Ebenso verärgert ist man über historische Verkürzungen und oberflächliche Kausalketten in Maks Bewertung. Versöhnlich stimmt aber die prosaische Qualität seiner Zeitreise - vielleicht auch der guten Übersetzung von Andreas Ecke und Gregor Seferenz geschuldet - und viele wenig bekannte Details und Petitessen. So berichtet Mak zum Beispiel vom geschichtsträchtigen Waggon von Compiègne, in dem Foch 1918 und Hitler 1940 die Kapitulation entgegennahmen, der Anfang April 1945 von der SS im Schwarzwald verbrannt wurde (In Europa. Eine Reise durch das zwanzigste Jahrhundert. Siedler Verlag, München 2005, 944 Seiten, gebunden, 49,90 Euro).

Speziallager. Um den Verbleib ihres 1945 verschwundenen Vaters aufzuklären, mußte Annemarie Lüdicke das harte Brot des Historikers schmecken, der sich durch Akten und Archive wühlt und aus Befragungen von Augenzeugen ein Puzzle zusammensetzt. Nun dokumentiert sie anhand des Beispiels Zerbst, wie das Mordsystem des sowjetischen NKWD und seiner SED-Schergen funktionierte. Tausende Opfer dieser als "Entnazifizierung" getarnten Entbourgeoisierung kehrten allein aus diesem Stadtkreis nie mehr aus den "Speziallagern" oder DDR-Haftanstalten zurück (Vergessene Schicksale. Festnahmen in Mitteldeutschland 1945 - 1961. Extrapost-Verlag, Zerbst 2005, 214 Seiten, broschiert, 15,50 Euro).


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