© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Maskerade
Karl Heinzen

Es interessiert sich fast kein Politiker mehr für meinen Rat", klagte Gert Haller noch vor wenigen Monaten in der Welt am Sonntag. Nun ist für den einstigen Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, der 1995 zur damaligen Wüstenrot Holding wechselte, offenbar die Zeit gekommen, sich Genugtuung für diese langjährige Ignoranz zu verschaffen. Ab März 2006 wird er im Dienste seines Freundes Horst Köhler das Bundespräsidialamt leiten. Die hehren Sinnsprüche und nachdenklichen Appelle dieses Hause mögen zwar bei den eigentlichen politischen Akteuren unseres Landes nicht gerade auf fruchtbaren Boden fallen. Demonstrativ überhören mag sie aber leider niemand.

Auch der neuerliche Jobwechsel wäre aber von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und für das Selbstwertgefühl von Gert Haller daher ohne Auswirkungen geblieben, hätte er ihn nicht mit der Ankündigung verbunden, in seiner neuen Funktion fortan ohne Gehalt arbeiten zu wollen. Ein Thema des nächsten Armutsberichtes dürfte der 61jährige gleichwohl nicht werden. Die Pension, die er von seinem bisherigen Arbeitgeber bezieht, sollte für das Notwendigste wohl reichen - und etwas Familienvermögen könnte beim Sohn eines erfolgreichen Wissenschaftlers, der ebenfalls als Staatssekretär im Finanzministerium amtierte, ja auch noch vorhanden sein. Ein Vorbild für die vielen, die über Ein-Euro-Jobs oder den schleichenden Rückgang der Reallöhne klagen, stellt Gert Haller somit nicht dar.

Er kann darüber hinaus aber auch kein Vorbild für seine Standesgenossen in den Spitzenfunktionen von Politik und Verwaltung sein. Es besteht nämlich kein Anlaß, ausgerechnet hier von dem Grundsatz abzuweichen, der ansonsten überall in der Gesellschaft gilt: Was nichts kostet, ist nichts wert. Wer für seine Tätigkeit nicht bezahlt wird, ist der permanenten Versuchung ausgesetzt, in zügelloser Selbstherrlichkeit seine Grillen zu reiten. Dies mag in Ehrenämtern gemeinnütziger Vereine angehen, nicht jedoch in einer staatlichen Institution.

Gert Hallers demonstrativer Stilbruch ist zudem ein Rückfall in die finsteren Anfänge der repräsentativen Demokratie, in denen es sich nur Wohlhabende leisten konnten, politische Aufgaben zu übernehmen, für die sie keine Vergütung erhielten. Hinter der Maske des selbstlosen Staatsbürgers lauert somit die Fratze der Klassengesellschaft: Wenn man den Massen der Nicht-Begüterten ihr Wahlrecht schon nicht nehmen kann, so muß man andere Wege ersinnen, um sie von der Macht auszuschließen.


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