© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Spätfolgen eines Rechtsbruches
CDU/CSU: Stimmenverluste bei der Bundestagswahl durch Verletzung des Eigentumsrechts während der Wiedervereinigung / Union scheut Auseinandersetzung
Klaus Peter Krause

Weil die Union die Gründe für ihr enttäuschendes Abschneiden bei der Bundtagswahl nicht wahrhaben will, muß man ihr auf die Sprünge helfen (JF 50/05). Einer von den Gründen ist dabei in der öffentlichen Debatte bisher unter den Tisch gefallen: das Belügen einer ganzen Nation und willfährig dienernder Gerichte, um den Staat am Eigentum Hunderttausender seiner Bürger zu bereichern.

In Zuge der Wiedervereinigung begingen CDU und CSU das schreiende Unrecht, das Stalins politische Gefolgschaft im kommunistisch besetzten Teil Deutschlands während der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1949 und danach in der DDR bis 1989/90 verübt hat und das beide Parteien als solches stets gegeißelt hatten, bei den einstigen Eigentumsdelikten jetzt noch einmal selbst.

Es bestand darin, daß sie das in der SBZ-Zeit geraubte Eigentum, das nun vorerst in den Besitz des deutschen Einheitsstaates gefallen war, an die rechtmäßigen Eigentümer nicht zurückgaben, sondern es zugunsten des staatlichen Fiskus verkauften. Der Vorgang war derart rechtswidrig, daß er auf Anraten von Roman Herzog im Grundgesetz abgesichert wurde. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim stellte dazu fest, damit sei verfassungswidriges Verfassungsrecht geschaffen worden.

Helmut Kohl und seine Regierung gedachten mit dem Erlös die Kosten des Wiederaufbaus im sozialistisch ruinierten DDR-Deutschland zu bezahlen, die westdeutschen Steuerzahler (und Wähler) nicht zusätzlich zu belasten sowie sich mit der Nichtrückgabe Wohlwollen und Wählerstimmen der einstigen DDR-Bürger bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl zu sichern. Das erste misslang gründlich, das zweite hatte (vorläufigen) Erfolg.

Doch was die Kohl-Regierung das gesamte deutsche Volk als finanzielle Wiedervereinigungslast hätte tragen lassen müssen, bürdete sie nur einer Minderheit auf. Die Eigentumsrechte dieser Minderheit traten die Unionsparteien mit Füßen. Sie verweigerten ihr zudem, obwohl sie von den Kommunisten als "Klassenfeind" geächtet, politisch verfolgt, und, obwohl unschuldig, kollektiv bestraft worden waren, die selbstverständliche Rehabilitierung von der Bestrafung und damit auch von dem Pauschalvorwurf, "Nazi- und Kriegsverbrecher" gewesen zu sein. Doch nicht nur dieser Gruppe haben die Unionsparteien unermeßlichen Schaden zugefügt, sondern auch Zigtausenden anderen.

Vom Rechtstaat geträumt, im Unrechtsstaat aufgewacht

Die meisten davon sind einstige DDR-Bürger, die vom Rechtsstaat träumten und abermals in einem Unrechtsstaat aufwachten. Dazu gehören die zwangskollektivierten LPG-Mitglieder und die Eigentümer und Erben des ehemaligen Bodenreformlandes, das sie 1945/46 als Ostvertriebene (in der DDR "Neusiedler" genannt) erhalten hatten und das ihnen der Fiskus der fünf neuen Länder ersatzlos wegnahm. Dazu gehören die Eigentümer von Grundstücken auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Berlin, die ihren Besitz allenfalls zurückkaufen dürfen. Dazu gehören auch die zwangsausgesiedelten Menschen im Zonenrandgebiet, denen ihre Grundstücke für den Grenzstreifen ersatzlos weggenommen wurden. Dazu gehören die "Republikflüchtlinge" und die zur Ausreise Gezwungenen, die ihre Immobilien durch Zwangsverkäufe verloren haben.

Für Verletzungen ihres Eigentumsrechts haben Menschen ein Elefantengedächtnis. Und mit diesem Gedächtnis haben sich diese um ihr Eigentum gebrachten Menschen den Unionsparteien bei der Wahl verweigert.

Eine von ihnen, Karin Rohde-Höfig in Kösterbeck bei Rostock, hat die Zahl Angela Merkel kurz vor der Bundestagswahl in einem Brief vorgehalten: "Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, um welche Dimension es sich dabei handelt? Ich bin Ihnen dabei gern behilflich: 7.136 Großgrundbesitzer, 4.278 bäuerliche Betriebe unter 100 Hektar, 610.000 Fabriken, mittelständische Unternehmen, Privatpersonen; dazu kommen 70.000 Siedler, die durch die BRD enteignet worden sind. Sie werden mit hundertprozentiger Sicherheit der CDU die Stimme verweigern. Wahlboykott oder ungültiger Stimmzettel, das sind für sie die Alternativen. Alle haben Familien, Kinder, Enkel, Freunde und Sympathisanten. Das ist also eine ganz simple Rechenaufgabe. Sie reisen kreuz und quer durch Deutschland, bemühen sich um jede Stimme, diskriminieren aber Tausende von potentiell konservativen Wählern. Das ist Ihr Problem. Im Jahre 2002 fehlten Ihrer Partei nur 6.000 Stimmen, von wem wohl?"

Tatsächlich waren es 6.027 (Zweit-) Stimmen, jedenfalls gegenüber der SPD allein. Zusammen mit der FDP hatte die Union 577.567 Stimmen weniger als SPD und Grüne zusammen. Doch jetzt bei der vorgezogenen Wahl 2005 haben die gleichen Menschen den Unionsparteien ihre Stimmen abermals versagt. Wiederum haben die Unionsparteien den Wahlsieg verspielt, zumindest diese Hunderttausenden zusätzlichen Stimmen, die ihnen einen größeren Abstand von der SPD ermöglicht hätten?

Und noch etwas schrieb die einstige DDR-Bürgerin der einstigen DDR-Bürgerin Merkel: Sie habe doch im Fernsehen ganz richtig festgestellt, daß das Rückgrat der Wirtschaft der Mittelstand sei. Zudem sei bekannt, daß in den neuen Bundesländern 100.000 Mittelständler fehlten. Ob ihr das nicht ebenfalls schon aufgefallen sei und auch, daß dies "dank" der Regierung Kohl so sei und auch mit Zustimmung Frau Merkels selbst?

Sie kenne doch das sogenannte Wirtschaftswunder nach dem Krieg im Westen Deutschlands: "So hätte es auch im Osten nach der Wiedervereinigung aussehen können. Die Motivation der verunglimpften 'Alteigentümer', ihre Investitionsbereitschaft in der alten Heimat wurde regelrecht mit Füßen getreten. Altkader und 'Rote Barone' hat man dagegen gehätschelt und ihnen mit Samthandschuhen zu Wohlstand verholfen. Prima, nun haben Sie den Salat." Ähnliche Briefe haben Merkel und die Union auch von anderen Opfern erhalten.

Auch dies also hätte ein wesentlicher Teil der CDU-Wahlanalyse sein müssen. Aber die CDU will nicht wahrhaben, daß und warum diese Menschen sie um den deutlicheren Wahlsieg gebracht haben. Sie beschweigt es, betrügt sich damit selbst; zu peinlich wäre das Eingeständnis, zu peinlich die Wahrheit. Der Selbstbetrug, den sie an sich begeht, und der Betrug, den sie damit an den Bürgern begeht, werden ihr weiterhin schaden.


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