© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Familienstreit in Thüringen
Erziehungspolitik: Auseinandersetzung um Finanzierung der Kindergärten / CDU will Entscheidungsfreiheit der Eltern stärken / Kritik der Gewerkschaften
Tobias Westphal

In Thüringen stehen Familien derzeit im Mittelpunkt. Das neue Familienförderungsgesetz, das der Landtag mit den Stimmen der CDU in der vergangen Woche beschlossen hat, ist Anlaß für heftige Auseinandersetzungen um die Frage nach der richtigen Familienpolitik. Nicht nur im Landtag wird über das Gesetz diskutiert, das unter anderem die Finanzierung von Kindergärten neu regeln soll. Auch Gewerkschaften, Elterninitiativen und kirchliche Einrichtungen haben sich in die Debatte eingeschaltet.

Während die Gegner das Gesetz als familienfeindlich ablehnen und für das kommende Jahr ein Volksbegehren dagegen angekündigt haben, ist es für Familienminister Klaus Zeh (CDU) das derzeit "größte familien- und gleichstellungspolitische Vorhaben" in Deutschland. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es, Ziel sei, die "Elternkompetenz" zu stärken und den "Eltern mehr Wahlfreiheit hinsichtlich ihrer Bemühungen um das Kindswohl, insbesondere mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen".

Worum geht es? Nach Angaben des Thüringer Landesamtes für Statistik besteht in Thüringen derzeit ein Überangebot an Plätzen in Kindertageseinrichtungen: Die sogenannte Platz-Kind-Relation liege bei 110 Prozent. Momentan beteilige sich das Land an den Kosten für das Personal der Einrichtungen und gewähre den freien Trägern Zuschüsse zu den Sachkosten auf Grundlage aller im Bedarfsplan ausgewiesenen Plätze, ohne daß die "tatsächliche Inanspruchnahme ausreichend Berücksichtigung findet", heißt es in der Begründung. Dies will die Landesregierung ändern.

Künftig können die Eltern wählen, ob sie ihr Kind zu Hause erziehen und das Erziehungsgeld ausbezahlt bekommen oder ob sie ihr Kind einer Kindertageseinrichtung anvertrauen möchten. Dann wird das Erziehungsgeld dem Träger des Kindergartens zweckgebunden zur Verfügung gestellt. Es beträgt pro Kind zwischen zwei und drei Jahren 150 Euro für das erste, für das zweite Kind 200, das dritte 250 und für jedes weitere Kind 300 Euro monatlich. Ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht zukünftig ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes.

Nach Ansicht des Familienministeriums werden Kindertagesstätten durch diese Regelung "nun sicher und effizient - also bedarfsgerecht - finanziert", da nicht mehr die anteiligen Personalkosten für Erzieherinnen finanziert, sondern eine Pauschale je Kind zur Verfügung gestellt wird. Es sei "für die Träger der Betreuungseinrichtungen als auch für das Land und in der Sache auskömmlich", daß es zukünftig eine kinder- und nicht mehr strukturbezogene Förderung der Kinderbetreuung geben werde. Das Geld werde dorthin gezahlt, wo die Kinder sind. Jede Gemeinde erhält einmalig je Neugeborenem 1.000 Euro und für jedes Kind zwischen drei und sechseinhalb Jahren 100 Euro monatlich. Für die Finanzierung des Kindertageseinrichtungsgesetzes veranschlagt die CDU für das Jahr 2006 135,3 Millionen Euro. Bis 2008 sollen die Ausgaben auf 117,8 Millionen Euro sinken.

Das Gesetz ist Bestandteil der "Familienoffensive" der Landesregierung, mit der die Elternrechte gestärkt werden sollen. Die "Offensive" umfaßt zehn Kernpunkte, darunter die Gründung einer Landesstiftung "FamilienSinn". Diese soll mit 34 Millionen Euro ausgestattet werde und so eine Familienförderung unabhängig vom Landeshaushalt betreiben könnte.

Für die Oppositionsparteien SPD und PDS und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie den DGB Thüringen wird das "Familienförderungsgesetz" seinem Namen nicht gerecht. Der DGB sieht die Gefahr, daß "durch die geplanten drastischen Kürzungen der Mittel für die Kinderbetreuungseinrichtungen diese in weiten Teilen zerschlagen und die Kinderbetreuung dramatische verschlechtert wird". Er befürchtet, daß die Elternbeiträge zur Kinderbetreuung stark ansteigen werden und dies zu untragbaren finanziellen Risiken für die Eltern führen wird. Die GEW bemängelt, daß Eltern das Geld nur vollständig erhalten, wenn sie keinen Betreuungsplatz nutzen. Damit sei dies eine Prämie für das Zuhausebleiben.

Der Landesvorsitzende der SPD-Thüringen, Christoph Matschie, wies darauf hin, daß die Kindergärten in Thüringen zukünftig weniger Geld bekämen. Denn das Land wolle nun mit einem Schlag rund 33 Millionen einsparen. Der Gesetzentwurf sei ein "Angriff auf die Familien". Auch die Linkspartei fordert einen Rückzug vom Familienförderungsgesetz. Fraktionschef Bodo Ramelow warf der Union ein "konservatives und damit rückwärtsgewandtes Familienbild" vor.

Bei allem Streit um die richtige Familienpolitik sind sich die Beteiligten in einer Frage einig: Auch in Thüringen werden die Kinder immer weniger. Seit 1994 ist die Zahl der Kinder, die einen Kindergarten oder eine Krippe besuchen, von 107.000 auf 64.000 Kinder im Jahr 2004 gesunken.


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