© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Elbflorenz oder doch nur eine Metropole
Vierspurig durch die Natur: Ein geplanter Brückenbau bedroht den Weltkulturerbestatus des Dresdner Flusstals
Paul Leonhard

Nahe den drei Elbschlössern auf den Loschwitzer Hängen soll künftig eine moderne, vierspurige Bogenbrücke die Elbe überspannen. Ein lange Zeit äußerst strittiges Vorhaben, da es ein letztes Stück der naturbelassenen, romantischen innerstädtischen Elbauen ausgerechnet an ihrer breitesten Stelle zerschneidet. Immer wieder warnten in den vergangenen Jahrzehnten die Brückengegner - darunter zahlreiche Prominente - vor einem massiven, unumkehrbaren Eingriff in die einzigartige Landschaft des Dresdner Elbtals, das überdies zwischen den Schlössern Übigau im Westen und Pillnitz im Osten 2004 von der Unesco als Weltkulturerbe in der Kategorie "sich weiterentwickelnde Kulturlandschaft" eingestuft wurde. Die Brückenbefürworter wiederum verweisen auf das Verkehrschaos in der sächsischen Landeshauptstadt und die marode Stahlkonstruktion des Loschwitzer "Blauen Wunders". Für sie gibt es keine Alternative zum Brückenbau.

Unmengen von Geld hat Dresden seit 1990 in Gutachten und Gegengutachten gesteckt - je nachdem, ob die Gegner der Brücke oder die Befürworter im Stadtrat die Mehrheit hatten. Schließlich wurde Ende Februar ein Bürgerentscheid durchgeführt, der in den Wochen davor ganze Familien entzweite. Denn während vor allem die ältere Generation, die noch das "alte" Dresden kennengelernt haben und ansonsten als Nostalgiker durch und durch gelten, für den Neubau argumentierten, beharrten ihre Kinder zum Großteil auf dem Status quo. Die Enkelgeneration hatte wiederum keine Meinung und blieb der Wahl fern. Indes siegten mit überzeugenden 67,9 Prozent die Brückenbefürworter. Der jahrelange Streit schien damit beendet. Und für die Gegner des Projekts blieb nur die Hoffnung, daß die überschuldete Stadt letztlich nicht ihren Anteil von 23,1 Millionen Euro für das insgesamt rund 157 Millionen Euro teure Bauwerk aufbringen würde.

Inzwischen schlägt die Diskussion um den Weltkulturerbestatus und den Bau der etwa drei Kilometer flußaufwärts des historischen Zentrums geplanten Waldschlößchenbrücke bundesweit Wellen. Auslöser ist ein Brief der Unesco vom September an das Auswärtige Amt, der das Dresdner Rathaus anscheinend erst auf Umwegen erreicht hat. Unesco-Direktor Francesco Bandarin fordert darin konkretere Informationen zu der Brücke und eine Darstellung, wie diese aussehen sollen. Offenbar befürchtet man, daß das Bauwerk zu groß wird und nicht in die Landschaft passen könnte.

Der CDU ist die Brücke wichtiger als das Kulturerbe

Sofort begann in Dresden eine Hexenjagd nach demjenigen, der die Unesco eingeschaltet haben könnte. Alle rund 32.000 Dresdner, die gegen die Brücke gestimmt haben, stünden im Verdacht, schreibt die Boulevardzeitung Dresdner Morgenpost: "Wer immer das Weltkulturerbe zu instrumentalisieren versucht, dem sei gesagt: Mit dem Damoklesschwert der 'Roten Liste' der Unesco oder gar der Aberkennung des Weltkulturerbes wird möglicherweise in der Außenwahrnehmung mehr Schaden für Dresden angerichtet als mit dem Bau der Brücke."

Vom "letzten Verhinderungsstrohhalm, an den sich die Brückengegner klammern", spricht auch Rathaussprecher Kai Schulz. In der Tat wird erneut gefordert, den Bau der Brücke zu verschieben. Man müsse die Verhandlungsergebnisse zwischen Unesco und Stadt abwarten, sagen beispielsweise die bündnisgrünen Stadträte. Die PDS fordert bereits einen zweiten Bürgerentscheid.

Auch die CDU-Fraktion fordert vom Oberbürgermeister ausführliche Informationen. Für die Christdemokraten ist allerdings im Zweifelsfall "die Brücke wichtiger als der Welterbetitel". Die Junge Union glaubt sogar schon den "Verräter" ausfindig gemacht zu haben: den deutschstämmigen amerikanischen Nobelpreisträger und aktiven Brückengegner Günter Blobel. Der nutzt inzwischen die Chance und versucht erneut eine Tunnelvariante als Alternative anzubieten. Angeblich soll sich die Unesco für dieses Projekt schon interessieren. Für FPD-Chef Holger Zastrow sind die Brückengegner nur noch "Kleingeister" und "vaterlandslose Gesellen".

Die Rathausspitze bemüht sich inzwischen, die Bedenken der Unesco so schnell wie möglich auszuräumen. "Ein Mißverständnis", sagt Herbert Feßenmayr (CDU), Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau. Es gebe keinerlei Veränderungen gegenüber dem Brückenprojekt, über das die Unesco informiert wurde. Lediglich im Tunnelbereich unter der Erde sei nach der verheerenden Jahrhundertflut die Gradiente angehoben und die Brückenpfeiler seien um etwa 50 Zentimeter vom Boden aus verstärkt worden.

Die Stadtverwaltung glaubt, ruhigen Gewissens sein zu können. Alle Unterlagen seien samt Lageplänen eingereicht worden. Außerdem habe man bereits seit 2003 Ortsbegehungen mit Vertretern der Unesco mit dem Schiff, zu Fuß und mit dem Auto unternommen. "Es ist allerdings ein Problem, wenn der von der Unesco beauftragte Gutachter in seinem Bericht den Abstand vom historischen Stadtzentrum mit fünf Kilometer angibt, statt mit drei, wie es in den Unterlagen steht", sagt Feßenmayr.

Außerdem gebe es Übersetzungsfehler. So steht in dem Evaluierungspapier, daß sich die Brücke stromabwärts statt stromaufwärts vom Zentrum befindet. Daß der Antrag zum Weltkulturerbe nur die positiven Wertungen für den Brückenbau enthält und nicht auch die widerstreitenden Meinungen, hatte Matthias Lerm, Unesco-Beauftragter der Stadt, schon frühzeitig kritisiert. Auch ein Lageplan sei dem Antrag nicht beigelegt worden.

Ab 2008 soll der Verkehr über die Elbe brausen

Dresden sollte das Problem sehr ernst nehmen, warnt Dieter Offenhöfer, Vize-Generalsekretär der Unesco-Kommission Deutschland. Er empfiehlt der Stadt, ein Stadtbildverträglichkeitsprüfung nachzuliefern.

Dresden will allen Wünschen nachkommen und vor allem nachweisen, daß sich nichts verändert hat. Auch die gewünschte Visualisierung soll schnellstens nachgereicht werden. Denn die Stadtverwaltung will endlich Tatsachen schaffen: Anfang 2006 sollen die Aufträge für den Brückenbau vergeben werden. Der Baubeginn ist für März 2006 vorgesehen. Ab Sommer 2008 soll der Verkehr über die neue Brücke brausen. Mit der Ruhe und Beschaulichkeit am noch grünen Elbufer dürfte es dann vorbei und die Einzigartigkeit des Dreiklangs aus Fluß, Landschaft und Architektur nachhaltig zerstört sein.

Foto: Freier Blick über die Elbwiesen (l.), Simulation der Waldschlößchenbrücke: Mit der Beschaulichkeit dürfte es bald vorbei sein


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