© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Ein Stück aus dem Tollhaus
Fleischskandal: Sicherheit auch in der Zukunft nur bedingt garantiert / Verbrauchervertrauen erschüttert
Volker Kempf

Selbst mit vergammeltem Fleisch lassen sich in der Lebensmittelbranche noch Geschäfte machen. Wie kann das sein? Auf der Suche nach einer Antwort kann man den Soziologen Helmut Schelsky heranziehen, der schon 1974 erklärte, daß die soziale Marktwirtschaft die Gewinnmaximierung der Unternehmer benutzen, aber deren Gruppeneigeninteressen bändigen müsse. Der Verbraucherschutz sei ein solcher Bändiger, werde in der Politik aber nicht richtig verstanden und auch sonst nicht kollektiv organisiert.

Das Problem scheint noch immer nicht ganz gelöst zu sein. Nicht einmal die Schaffung eines Verbraucherschutzministeriums (2001) sorgte für Beruhigung. Zwar brachte dessen Leiterin Renate Künast (Bündnis 90/Grüne) ein Verbraucherschutzgesetz auf den Weg. Es scheiterte aber im Mai 2002 im Bundesrat an der Mehrheit der CDU/CSU-geführten Länderregierungen.

Damit folgte die Union den Forderungen der Lebensmittelwirtschaft. Deren Argument lautete gemäß dem Jahresbericht 2002/2003 des Bundes für Lebensmittel und Lebensmittelkunde: Es existiere "bereits heute schon ein engmaschiges Netz an Vorschriften ... zur Gewährleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und ... zur Information des Verbrauchers". Die Lebensmittelerzeuger hatten 2002 die Initiative QS (Qualität und Sicherheit) gestartet und 2003 ein System entwickelt, bei dem der Warenweg vom Erzeuger bis zum Verbraucher dokumentiert wird und bestimmten Qualitätsstandards unterliegt. Dessen Waren werden mit einem QS-Siegel versehen. Beteiligt sind am QS Landwirte, Futtermittelhersteller, Fleischwarenindustrielle und der Einzelhandel. Die Einhaltung der Qualitätskriterien erfolgt durch ein dreistufiges Kontrollsystem, an dessen Ende eine Kontrolle der Kontrollen durch die QS-GmbH oder neutrale Institute erfolgt. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Ausschluß. Die Teilnahme am QS erfolgt freiwillig.

Das Vertrauen der Verbraucher wurde 2002 durch weitere Lebensmittelskandalen erschüttert, am meisten durch den Nitrofenskandal, bei dem sich herausstellte, daß Bio-Produkte durch Futtergetreide mit Herbizit verseucht wurden. Es lag im Interesse von Wirtschaft und Politik, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Aber der im Herbst 2005 laufende "Gammelfleischskandal" bedeutet einen weiteren Rückschlag. Tausende Tonnen von verdorbenem Fleisch wurden sichergestellt. Vier Firmen konnte sogar nachgewiesen werden, nicht nur mit verdorbener Ware gehandelt, sondern sie auch in den Verkehr gebracht zu haben.

Wieder muß ein Verbraucherschutz-minister, diesmal Horst Seehofer (CSU), versuchen, den Verbraucherschutz noch engmaschiger zu machen, obwohl er schon vorher gut gewesen sein soll. Das von Seehofer am 30. November vorgestellte Sofortprogramm sieht eine Meldepflicht für Unternehmen vor, denen "unsicheres" Fleisch angeboten wird. In den 330 Kühlhäusern sollen Kontrollen stattfinden und bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht das Maß der Strafmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Ein Verbraucherinformationsgesetz soll die Nennung von Unternehmen regeln, die mit verdorbenem Fleisch handeln. Mehr Personal für Kontrollen in den Ländern wird Horst Seehofer brauchen, wenn er laut FAZ "mit Volldampf und Nachdruck diesen gewissenlosen und kriminellen Machenschaften das Handwerk legen will".

Ex-Ministerin Künast spricht in besagter Zeitung wegen der "Unternehmer ..., die nicht einmal ein Büro haben und unkontrolliert Handel treiben" - mit Altfleisch, versteht sich -, von einem "Stück im Tollhaus". Das heißt, seit Jahren wird viel von zu gewinnendem Vertrauen der Verbraucher gesprochen, von Sicherheit und Qualität, aber die Skandale nehmen kein Ende.

Verbraucherschutzorganisationen halten den jüngsten Skandal für die Spitze eines Eisbergs. Der Deutsche Bauernverband geht davon aus, daß einige Großhändler sich auf den Aufkauf von Fleischwaren kurz vor dem Verfall spezialisiert hätten, ohne eine rechtzeitige Verarbeitung und Vermarktung noch gewährleisten zu können. Das genaue Ausmaß kennt aber niemand.

An einer sicheren Kontrolle der verschlungenen Wege der Fleischindustrie wird also gearbeitet, ob sie erreicht wird, bleibt fraglich. Denn zuletzt bleibt die Korruption als unberechenbarer Faktor - da können Verbraucherverbände noch so viele Forderungen stellen.

Fein raus ist nur der deutsche Vegetarierbund, mit dem es einen Fleischskandal nie gegeben hätte. Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT äußerte Edgar Guhde, Vorsitzender des Politischen Arbeitskreises für Tierrechte in Europa (PAKT e.V.), die Hoffnung, daß "durch die nicht abreißenden Fleisch- und Futtermittelskandale immer mehr Menschen zu der Einsicht gelangen, besser kein Fleisch mehr zu essen". Das ist der einzig sichere Weg für Verbraucher, riskantem Fleischkonsum vorzubeugen und kommt den Rechten der Tiere am entgegen, in der von Menschen beherrschten Welt mehr als nur ein Stück Billigfleisch zu sein.

Wer dennoch zum Fleisch greifen möchte, dem empfehlen Verbraucherschutzorganisationen, auf Markenprodukte zu setzen, etwa Bioland, Demeter oder Mc Donald's. Die können einen Skandal nicht riskieren und verfügen über effektive Kontrollsysteme.


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