© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Die Woche
Die Union und die Analyse einer Wahl
Fritz Schenk

Angela Merkel wollte Bundeskanzlerin werden - sie ist es geworden: erster Punkt! Sie wollte mit der FDP regieren - dazu hat es nicht gereicht: zweiter Punkt! Nun kann - und muß - sie mit den Sozialdemokraten in der zweiten Großen Koalition der Bundesrepublik regieren: dritter Punkt! Die parlamentarische Opposition ist in drei Zehntel gespalten, von denen keines mit dem anderen kann und der Regierung nicht ins Gehege kommen wird: Punkt vier!

Das eigentlich ist schon der Kern einer Wahlanalyse, nach der es die Union in ihrer Gesamtheit gelüstet. Am Montag beschäftigte sich damit der CDU-Vorstand, nachdem sich in der Presse des Wochenendes schon so gut wie alle, die der Führungsspitze zugerechnet werden, ausgiebig zu diesem Thema geäußert hatten.

Zunächst muß verwundern, daß bei allen Betrachtungen nur jene etwa 16 Millionen Stimmen oder gut 35 Prozent eine Rolle spielen, welche die Union bei der Endabrechnung um ein Pünktchen vor der SPD sahen, ihr somit einen Vorsprung von vier Mandaten, die Kanzlerschaft und auch das Amt des Bundestagspräsidenten bescherten. Wahlberechtigt waren aber gut 61 Millionen. Warum sie knapp 45 Millionen Wähler oder fast 75 Prozent, die entweder anders oder überhaupt nicht gewählt haben, nicht erreicht hat, scheint schon gar nicht mehr zu interessieren. Bei der SPD sieht das allerdings nicht anders aus. Gerade noch auf die Hälfte aller Wahlberechtigten kann sich die Große Koalition berufen, die im Parlament jedoch die verfassungsändernde Mehrheit von gut zwei Dritteln der Mandate hat und damit im Grunde tun oder lassen kann, was sie will.

Die CDU-Vorsitzende hat die Montagssitzung anscheinend voll im Griff gehabt. Was der designierte Generalsekretär Ronald Pofalla dann der Presse mitteilte, hatte wenig Neuigkeitswert. Merkel jedenfalls war mit der Analyse zufrieden, ernsthafte Kontroversen scheint es nicht gegeben zu haben. Als Kardinalproblem sieht die Unionsführung Defizite in der "Vermittlung" ihrer Positionen gegenüber der Öffentlichkeit, ein paar Korrekturen soll es am neuen CDU-Programm geben. Wir dürfen also weiter gespannt sein.

Vielleicht führt das aber doch noch dazu, daß sich die Union wieder jener Konservativen besinnt, die wohl das Gros der Nichtwähler bilden und sich nicht mehr in und von ihr vertreten sehen. Für sie ist eben die Union zu einer "Auch"-Partei geworden: auch vor allem friedlich, auch sozial "gerecht", auch ökologisch, auch bündnistreu und alles, was sonst noch Balsam für die gutmenschlichen Seelen ist. Näheres braucht da kaum gesagt zu werden, außer, daß sie sich selbstverständlich "vom christlichen Menschenbild" leiten läßt. Da mag sich jeder sein Teil heraussuchen.

Dabei laufen den beiden großen Parteien nicht nur die Wähler, sondern auch die Mitglieder mehr und mehr davon. In vielen Ortsverbänden sind Vorstandssitzungen zugleich Mitgliederversammlungen. Und diese politischen Zusammenkünfte vermitteln eher den Eindruck von Seniorenkränzchen als Kennzeichen von Zukunftsparteien mit jungen Mitgliedern, die eben vor allem auch wieder jüngere politisch Interessierte für politische Gemeinschaftsleistungen und Engagements begeistern und gewinnen könnten. Daher ist mehr nötig, als nur Wahlanalysen. Der Staat krankt auch an seinen Parteien.


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