© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Kolumne
Die ungehorsamen Anständigen
Klaus Motschmann

Nach einer Faustregel der sogenannten politischen Streitkultur ist niemand vor dem Beifall "von falscher Seite" sicher. Allerdings sollte nach einem Wort von August Bebel Beifall von bestimmter Seite immer Anlaß zum Nachdenken sein. Vielleicht war es gar kein Beifall von falscher Seite, sondern Beifall für einen Seitenwechsel aufgrund eines längeren Paradigmenwechsels?

Diese Fragen sollten sich auch die Brandenburger CDU insgesamt und ihr Vorsitzender, Innenminister Jörg Schönbohm, insbesondere stellen, nachdem ihnen Anfang November beachtlicher Beifall gezollt worden ist. Der Grund war eine von allen Fraktionen des Landtages - außer der DVU - unterstützte Demonstration gegen eine vom Brandenburger Oberverwaltungsgericht genehmigte "Nazidemonstration" zum Soldatenfriedhof in Halbe am Volkstrauertag. Nicht nur das, Schönbohm hat in Halbe eine bemerkenswerte Ansprache gehalten. Im Berliner Tagesspiegel heißt es dazu am 14. November unter der Überschrift "Ziviler Ungehorsam tat not": "Der CDU gebührt Respekt für ihre Haltung, die Legitimität des demokratischen Widerstandes höher bewertet zu haben als die vom Gericht präsentierte Legalität, die den Feinden der Demokratie und des Rechtsstaats den Weg bahnen wollten."

Tatsächlich konnte die sogenannte Nazidemonstration in Halbe nicht stattfinden, obwohl ein größeres Polizeiaufgebot anwesend war. In dankenswerter Offenheit hat Schönbohm an nächsten Tage noch nachgelegt mit der Bemerkung, daß dieses "Bündnis der Demokraten" ein wichtiges Signal gegen Rechts gewesen sei und "stilprägend" werden könnte - wenn auch derartige Aktionen nicht "Schule" machen sollten, weil das Versammlungsrecht "ein hohes Gut" der demokratischen Grundordnung sei. Immerhin! Aber antifaschistischer Widerstand ist eben ein noch höheres Gut und rechtfertigt auch "zivilen Ungehorsam" nach der Devise "Not kennt kein Gebot".

Dabei ging und geht es nicht, zumindest in erster Linie, um die politische Rechte, sondern um das vermeintlich autonome Recht der 68er-Ideologen, sich durch spektakuläre Akte über die demokratischen Grundrechte der Verfassung hinwegzusetzen und Gerichtsurteile deutscher Obergerichte zu mißachten, weil sie angeblich "den Feinden von Demokratie und Rechtsstaat" den Weg bahnen wollen. Insofern ist Schönbohm zuzustimmen, daß in Halbe ein Signal gesetzt worden ist. Leider ein falsches, weil es die Fortsetzung der Experimente mit "zivilem Ungehorsam" anzeigt.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


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