© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

Ehrung und Verpflichtung
Rede von Fritz Schenk

Unsere heutige Zusammenkunft steht am Ende eines Jahres, das als historisches Datum in der deutschen Geschichte festgehalten werden wird. Ob dieses Jahr 2005 in den Annalen allerdings mit eher positivem oder negativem Vorzeichen versehen werden wird, bleibt abzuwarten. (...) Dennoch bleibt ein historisch beachtliches Bild festzuhalten: Als die neue und zugleich erste deutsche Kanzlerin, zudem Ostdeutsche, den Ostausgang des Reichstagsgebäudes verließ, ihre Limousine bestieg, um beim Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunde in Empfang zu nehmen, geschah dies genau an jener Stelle, an der vor sechzehn Jahren noch die Mauer gestanden hatte. Unmittelbar dahinter verlief damals der Todesstreifen, und daran angrenzend lag das heruntergekommene Palais des Reichstagspräsidenten, auf dessen marodem Dach die Wächter der Stasi und des SED-Grenzschutzes ihre Maschinenpistolen im Anschlag hielten. (...) Welch atemberaubender historischer Augenblick!

Gerhard Löwenthal hätte das Bild von diesem denkwürdigen 22. November 2005 nicht weniger beeindruckt als mich. Mehr als ein Dutzend Mal hatten wir das ZDF-Magazin aus dem Reichstagsgebäude gesendet. Hauptsächlich zu dieser Jahreszeit, in der Nähe des "Tages der Menschenrechte" und mit Themen über Verfolgung und Verfolgte hinter dem Eisernen Vorhang. Dies immer aus dem Süd-Ost-Flügel des Reichstagsgebäudes (...)

Geschichte und Gegenwart, Geschichte den Gegenwärtigen nahezubringen, Geschichte unverfälscht durch gegenwärtige Strömungen des Zeitgeistes zu erforschen, zu betrachten, zu beschreiben - und sie vor allem jüngeren Menschen ohne Scheuklappen einsichtig zu machen - das ist das Anliegen des diesjährigen Preisträgers Stefan Scheil. Wir anerkennen seine Leistungen mit der Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises 2005. Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Scheil - und der Jury zu ihrer Entscheidung.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen