© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

Die Woche
Tafelsilber und Raubgut
Fritz Schenk

Die Haushaltsmisere sei schlimmer, als ursprünglich vermutet worden war, ließen sich die Unionsvertreter in der neuen Bundesregierung zitieren. Das verwundert. Hatten doch gerade sie im Wahlkampf dem ausgeschiedenen Finanzminister Hans Eichel vorgeworfen, mit falschen, das heißt mit geschönten Zahlen die Wähler zu täuschen.

Im übrigen: Nicht nur die Haushaltspolitiker der Unionsparteien, sondern auch die unabhängige Fachpresse sowie der Sachverständigenrat hatten seit Jahresbeginn höhere Haushaltsdefizite prognostiziert, als Finanzminister Eichel in seinen Budgetzahlen angegeben hatten.

Sei's drum. Nun sitzen Schwarz und Rot in einem Kabinett und müssen die Staatsfinanzen wenigstens einigermaßen wieder in Ordnung bringen. Ein Teil soll durch Einsparungen geschehen. Da wird für das kommende Jahr noch nicht allzu viel zu machen sein - und was gespart werden kann, bringt schon genug Ärger bei denen, die Federn lassen müssen.

Ein dickerer Brocken wird durch Verkäufe von Bundesvermögen erwartet, von "Tafelsilber" wird gesprochen, was schon Eichel reichlich verhökert hatte. Sein Nachfolger Peer Steinbrück will da noch forscher rangehen. Da nach Deutscher Bahn, Post, Telekommunikation und anderen "Tortenstücken" nicht mehr allzu fette Brocken auf den Tabletts liegen, wird der Verwalter des Staatsschatzes wohl noch nach anderen Stücken Ausschau halten. Und da bietet sich das noch in Staatshand befindliche Raubgut der Kommunisten förmlich an.

Es sind Hunderttausende von betrogenen Alteigentümern und Milliardenwerte, die sich der gesamtdeutsche Staat durch Lüge und Täuschung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht unter den Nagel gerissen hat. Dies nicht zurückgegeben zu haben, ist ein wesentlicher Teil der Wirtschaftsmisere in den neuen Bundesländern, für deren weiteres Zurückbleiben in der gesamtdeutschen Wirtschaftsentwicklung und die Abwanderung vor allem jüngerer und inzwischen gut ausgebildeter Fachkräfte von Ost in Richtung West.

Es sind und waren gerade Mittelständer, die von den Kommunisten enteignet und vertrieben worden waren. Sie haben im Westen, insbesondere in Süddeutschland, wieder Unternehmen gegründet und ganz wesentlich zur Prosperität dieser einst armen und zurückgebliebenen deutschen Regionen beigetragen. Hätten sie ihr unrechtmäßig geraubtes väterliches Erbe zurückerhalten, hätte sich in den neuen Ländern der fehlende Mittelstand wieder entfalten können. Dies nicht getan zu haben, war die schlimmste Fehlkalkulation der Regierungen Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung.

Es ist leider kaum darauf zu hoffen und damit zu rechnen, daß dies von der Regierung Angela Merkel korrigiert wird - auch wenn man das gerade von ihr als "Ostlerin" erwarten sollte. Tritt aber das Wahrscheinlichere ein, daß diese Bundesregierung jetzt verstärkt an das Verschleudern diese Raubgutes herangehen wird, dann ist mit etwas ganz anderem zu rechnen. Sollte nämlich die Konjunktur wieder anspringen, dann dürften vor allem die mittelständischen Flüchtlingsunternehmen in den alten Ländern weiter expandieren.

Die Folge wäre dann die noch schnellere Abwanderung aus dem Osten. Mit der Konsequenz der Verödung gerade ebenjener Regionen in den neuen Bundesländern, in denen es an Mittelstand fehlt.


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