© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

CD: Jazz
Klangsucher
Michael Wiesberg

Elf Alben hat der begnadete, mittlerweile 66jährige Tenorsaxophonist Charles Lloyd bisher für das Münchner Label ECM Records vorgelegt. Sein letztes, das Quartett-Album "Jumping Creek" (ECM 1911), dürfte mit zu seinen besten gehören. Bei der Musik von Charles Lloyd, ehemals Lehrer für transzendentale Meditation, verhält es sich wie mit gutem Wein; Je älter, desto besser wird er. Dies gilt auch für "Jumping Creek", auf dem über fast 70 Minuten hinweg spannende Interaktionen zwischen Lloyd und Geri Allen am Piano, Robert Hurst am Kontrabaß und Eric Harland am Schlagzeug geboten werden. Es greift wohl nicht zu weit, wenn man feststellt, daß dieses Ausnahmealbum alles enthält, was guten Jazz ausmacht: eine eindringliche, starke Melodik, ausgefeilte Dialoge im Duett, Trio oder Quartett, spannungsreiche Soli und nicht zuletzt Sinnlichkeit. Lloyd, der seit den 1960er Jahren Bandleader ist, hat, was Phrasierung, Tonmaterial und Klang angeht, etwas völlig Eigenständiges entwickelt. Jedes seiner Alben gleicht einer musikalischen Entdeckungsreise.

Ähnliches gilt auch für den argentinischen Bandoneon-Schamanen Dino Saluzzi, der ebenfalls bei ECM zusammen mit dem norwegischen Schlagzeuger Jon Christensen ein neues Album herausgebracht hat, das den Titel "Senderos" (ECM 1845) trägt. Christensen, der als Partner von Jan Gabarek und Terje Rypdal bekannt geworden ist, zeichnet sich vor allem durch einen ausgeprägten Sinn für die Spannung von Pausen aus, was dem melancholisch-kontemplativen Spiel von Saluzzi entgegenkommt. Hier haben sich zwei Meister der musikalischen Raum- und Zeitstrukturen gefunden, die Landschaften wie die argentinische Steppe oder die norwegischen Fjorde, Erinnerungen sowie Sehnsucht und Melancholie zu musikalischen Zwiegesprächen verbunden haben. Das Album oszilliert zwischen melancholischen Tango-Essenzen und Anklängen von Heiterkeit. Die Wege, die beide Musiker aufzeigen, sie reichen von sensibel mit den Instrumenten erarbeiteten Nuancen bis hin zu Passagen, die fast einen orchestralen Reichtum aufweisen. Wer sich auf die Intimität dieses Albums einläßt, der wird auf einzigartige Weise aus dem Alltag in eine Sphäre der Entspannung und Kontemplation katapultiert.

In eine Sphäre der Ruhe führt von jeher auch die Musik des Komponisten, Multi-Instrumentalisten und Klangsuchers Stephan Micus, der mit seiner neuen Produktion "Life" (ECM 1897) an sein 1977 veröffentlichtes Album "Koan" (Fragen und Antworten bzw. Aussprüche eines Zen-Meisters) anknüpft. Micus war wieder in Asien unterwegs und hat auf "Life" zwei Instrumente integriert, die mittlerweile selbst in ihren Heimatländern in Vergessenheit zu geraten drohen: die Maung, ein Set von vierzig gestimmten Bronze-Gongs aus Burma, sowie die Bagana, eine äthiopische Leier, die von den Sängern der äthiopischen orthodoxen Kirche gespielt wurde, um Gebet und Meditation zu begleiten.

Im Mittelpunkt von "Life" stehen aber die unerschöpflichen Rätsel des Lebens, die in einem Koan, an dem der westliche Verstand immer wieder scheitert, gespiegelt werden. Micus hat dem zu entsprechen versucht; er versteht seine Komposition als ein "symmetrisches Rätsel", dessen Antwort am Anfang und am Ende der Komposition gleich ist. Um das Rätsel zu lösen, entwickeln sich die Stücke auf dem Album vom Komplexen ins Einfache. Am Ende ist nur noch eine Solostimme zu hören. "Life" zeichnet damit musikalisch die Rundreise eines Mönchs nach, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens ist. Ganz im Geiste des Zen kommt er am Ende dort an, von wo er aufgebrochen war. Er erkennt, daß genau dies die Antwort auf seine Fragen war.


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