© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Mit Zuckerbrot und Peitsche
Ägypten: Wahlsieg der Nationaldemokraten von Präsident Mubarak stand von vornherein fest / Erfolg für Muslimbrüder
Curd-Torsten Weick

Wäre Ägypten eine Demokratie, dann wäre die Muslimbruderschaft heute an der Regierung, erklärte der Nahostexperte Peter Scholl-Latour jüngst bei den Aschaffenburger Gesprächen. Und keiner in der Runde, weder der SPD-Europaabgeordnete Vural Öger, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Friedbert Pflüger, noch der deutsch-französische Politologe Alfred Grosser, widersprach ihm. Sicher, es ging um die Türkei und deren EU-Reife. Doch die Verbindungen zwischen Islam und Demokratie sind nicht erst seit dem Einmarsch der USA in den Irak ein Thema von Brisanz.

Nun finden in Ägypten Parlamentswahlen statt, und die Frage nach der Demokratie steht einmal mehr auf der Tagesordnung. Zumal Ägyptens unumschränkter Herrscher, Präsident Husni Mubarak, in seiner fünften Amtsperiode mehr Demokratie wagen möchte. Aber schon die Präsidentschaftswahlen vom September offenbarten einmal mehr, daß es noch ein langer Weg bis zur politischen Öffnung ist. Die Wahlbeteiligung lag bei etwas über zwanzig Prozent, und der 77jährige Mubarak erhielt mehr als 88 Prozent der Stimmen. Nichts Neues also.

Mehr Demokratie heißt vor allem: Wie hält es der Staat mit der Muslimbruderschaft? Die Zurückdrängung islamistischer Tendenzen stand bisher im Mittelpunkt ägyptischer Innenpolitik und wurde mit aller Rigorosität mittels Notstandsgesetzen durchgesetzt. Das hinderte die islamistischen "Brüder", die sich spätestens Anfang der achtziger Jahre von ihrem revolutionären Kampf losgesagt hatten, jedoch nicht daran, durch ihre karitative Arbeit in den Armutsvierteln zu erheblichem Einfluß zu kommen. Einfluß, der ihnen auf politischer Ebene verwehrt blieb. Doch entgegen landläufigen Vorstellungen im Westen, die die Bruderschaft als konservative Turbanträger im traditionellen Dschalabija-Gewand sehen, sind die "Brüder" westlich gekleidet und geben sich in politischen und weltanschaulichen Dingen äußerst moderat. Was ihnen vor allem im Staatsapparat als bloße Taktik ausgelegt wird.

Nichtsdestotrotz zog die Bruderschaft mit der Losung "Der Islam ist die Lösung" in die zur Zeit laufende Parlamentswahl. Eine Wahl, an der sie als politische Partei gar nicht hätte teilnehmen dürfen. Doch die Islamistenpartei ist zwar verboten, wird aber allein schon aufgrund ihrer Stärke seit längerer Zeit geduldet.

Zuckerbrot und Peitsche heißt die Devise der Regierung in Kairo, und so nahm es nicht wunder, daß die Muslimbrüder mit ihrer Kampagne der "unabhängigen" Kandidaten an der Wahl teilnehmen konnten.

Nach zwei von drei Wahlgängen, an denen auch nicht mehr als 25 Prozent teilnahmen, feierten nun die westlichen Medien die Muslimbruderschaft als wahren Wahlsieger. Sind sie es wirklich? Zum Teil schon. Mubarak hat das Tor der Demokratie einen Spaltbreit geöffnet, und sie haben den Raum genutzt. Nach zwei Wahlgängen hat die Muslimbruderschaft mit 42 "unabhängigen" Mandaten (von 444) bereits fast dreimal so viele wie im letzten Parlament (15) errungen. Mit 50 Sitzen hatten sie im Vorfeld auch gerechnet. Doch hatte sie auch nur um die 150 "Unabhängige" aufgestellt. Aus vorauseilendem Gehorsam, um die Staatsmacht nicht zu sehr herauszufordern? Oder doch aus eigener organisatorischer Schwäche?

Sicher ist, daß Mubarak und seine alles beherrschende Nationaldemokratische Partei (NDP) noch fest im Sattel sitzen. Die fest geflochtenen Beziehungen zu den Clans und religiösen Führern funktionieren. Ebenso das Geben und Nehmen in den eingefahrenen Strukturen. Da hat es eine Laienbewegung wie die Muslimbruderschaft schwer, einzubrechen. Zumal man schon vor dem zweiten Wahltag erkennen mußte, daß der Spalt eben doch nicht allzu breit ist. So nahm die Polizei mehr als hundert ihrer Anhänger fest. In Alexandria wurde der Fahrer eines unabhängigen Kandidaten von einem Schlägertrupp getötet und mehrere Wähler und Wahlhelfer zum Teil schwer verletzt.

Dennoch sieht man sich auf dem richtigen Weg. Ist man doch bis dato die stärkste Oppositionskraft und hat die Oppositionskoalition United Front For Change mit der Protestbewegung Kifaya hinter sich gelassen. Und dennoch: Die Regierung Mubarak und die NDP, die schon am ersten Wahltag 112 Sitze erobert hatte, halten das Heft in der Hand - aber die Muslimbruderschaft hat mehr als ein Ausrufezeichen gesetzt.


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