© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

"Ein Feind der Zivilisation"
Syrien: Hariri-Mord nur Anlaß für Sanktionen / USA und Israel planen seit langem den Regimewechsel
Alexander Griesbach

Seit der Veröffentlichung der Ermittlungsergebnisse des Uno-Sonderermittlers Detlev Mehlis zum Mordkomplott gegen den libanesischen Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 20. Oktober steht Syrien international am Pranger. Der Berliner Oberstaatsanwalt Mehlis will angeblich Indizien dafür haben, daß syrische und libanesische Geheimdienstkräfte den Anschlag vom 14. Februar dieses Jahres organisierten, bei dem der den Saudis nahestehende Hariri und weitere 22 Personen ums Leben kamen.

George W. Bush packte die Gelegenheit beim Schopfe und gab schon einmal die Richtung vor, wie mit Syrien zukünftig zu verfahren sei: "Die Vereinten Nationen müssen handeln", zitierte die FAZ den US-Präsidenten, "und Syrien und dessen Führer müssen zur Rechenschaft gezogen werden für deren anhaltende Unterstützung des Terrorismus, einschließlich jeder Verwicklung in den Mord am libanesischen (Ex-)Ministerpräsidenten Hariri." Eine Regierung, die sich zum Verbündeten des Terrorismus mache, sei ein "Feind der Zivilisation". Die "zivilisierte Welt" müsse dieses Regime zur Rechenschaft ziehen.

Die USA und - auf den ersten Blick überraschenderweise - Frankreich verlangen Sanktionen gegen Syrien. In einem von beiden Ländern vorgelegten UN-Resolutionsentwurf wird Damaskus aufgefordert, alle tatverdächtigen Personen festzunehmen und der Mehlis-Kommission nach Bedarf zur Befragung verfügbar zu machen. Die Sicherheitsratsmitglieder Rußland und China halten Strafmaßnahmen für verfrüht, und auch Uno-Generalsekretär Kofi Annan hat zu erkennen gegeben, daß zunächst einmal alle "diplomatischen Mittel ausgeschöpft" werden sollten.

Syriens Präsident Baschar al Assad bemüht sich seitdem mit wenig Erfolg, die Unschuld seines Landes glaubhaft zu machen. Die Angriffe von außen stärken sogar das Ansehen des 40jährigen Präsidenten im Inneren. Nicht nur syrische Studenten, auch nicht-islamistische Oppositionelle bekunden inzwischen Solidarität mit ihrem Staatschef und dessen von Alawiten dominierten Militärregime. Die USA lassen indes nichts unversucht, um Syrien diplomatisch "sturmreif zu schießen". So erklärte vor kurzem die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice mit drohendem Unterton, Syrien sei "kein Land, in dem die Freiheit schon Wurzeln geschlagen hat".

Bis heute allerdings fehlt eine plausible Erklärung dafür, warum Syrien ein Interesse daran gehabt haben sollte, Hariri zu ermorden. Daß Hariri kurz vor seinem Tod Syrien aufgefordert hatte, Truppen aus dem Libanon zurückzuziehen, dürfte kaum hinreichend gewesen sein als Grund für ein Attentat, dessen erhebliche internationale Konsequenzen für Syrien absehbar waren.

Genausowenig paßt ins Bild, daß sich Hariri zuletzt dafür eingesetzt hat, daß die vom laizistischen Syrien und der Islamischen Republik Iran unterstützte Hisbollah nicht auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt wird, wie dies von Israel verlangt wird. Ebenjener Hisbollah ist durch die Ermordung ihres Sympathisanten Hariri ein schwerer Schlag versetzt worden.

Ein nicht wegzudiskutierendes Faktum ist, daß Israel das arabisch-nationalistische Syrien schon lange als Bedrohung ansieht. Ratschläge, wie mit dieser Bedrohung umzugehen ist, stammen unter anderem von den "Neokonservativen" Richard Perle und Douglas Feith, die schon 1996 für den damaligen israelischen Präsidentschaftskandidaten Benjamin Netanjahu ein Wahlkampfpapier mit dem Titel "A clean break" ausarbeiteten.

Darin wird ein klarer Bruch mit der bisherigen israelischen "Tauben-Politik" der sozialdemokratischen Arbeitspartei gefordert, die Israel in jeder Beziehung in eine Position des Rückzugs gebracht habe. Gefahr für Israel gehe vor allem vom Irak und von Syrien aus, wo ein Regimewechsel gefördert werden sollte (der Text findet sich im Internet unter: www.israeleconomy.org/strat1.htm ).

Israel könne sein "strategisches Umfeld in Zusammenarbeit mit der Türkei und mit Jordanien durch Schwächung, Eindämmung und Zurückdrängung von Syrien gestalten". Und weiter: Diese Anstrengung könne "sich darauf konzentrieren, Saddam Hussein von seiner Machtposition im Irak zu entfernen - bereits für sich genommen ein wichtiges strategisches Ziel für Israel -, als Mittel, um Syriens Ambitionen in der Region zu vereiteln". Verfaßt wurde dieses Papier von den Mitgliedern der Studiengruppe "A New Israeli Strategy Toward 2000", als deren Leiter Richard Perle vom American Enterprise Institute genannt wird.

Bemerkenswert bleibt - neben dem Hinweis darauf, daß ein entscheidendes Ziel dieses Strategiepapiers, nämlich die Entfernung des irakischen Präsidenten aus seiner Machtposition, heute Realität ist -, daß hier Mitglieder oder Ex-Mitglieder und Berater der Regierung Bush ein politisches Manifest für die israelische Regierung erarbeitet haben.

In gewisser Weise knüpft dieses Papier an jene Gedanken an, die Oded Jinon, ein Ex-Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums, 1982 unter dem Titel "Eine Strategie für Israel in den achtziger Jahren" (Holograph Edition, Freiburg 1982) zu Protokoll gab. Dort finden sich unter anderem die Sätze: "Die spätere Auflösung von Syrien und Irak in ethnisch oder religiös einheitliche Gebiete, nach dem Vorbild des Libanon, ist Israels langfristiges Hauptziel an der Ostfront, während die Zerschlagung der Militärmacht dieser Staaten das heutige, kurzfristige Ziel ist. Syrien wird (...) in mehrere Staaten auseinanderbrechen, genau wie es heute im Libanon geschieht (...) Irak (...) ist ein sicherer Kandidat für die Ziele Israels. Die Zersetzung des Irak ist heute noch wichtiger als die Syriens, Irak ist stärker als Syrien."

So oder so liefert der Mord an Hariri den USA (mit den Israelis im Hintergrund) einen willkommenen Hebel, sich aktiv in das innenpolitische Geschehen Syriens und des Libanons einzumischen und hier die Dinge in die oben skizzierte Richtung voranzutreiben. Das hat wohl auch Präsident Jacques Chirac begriffen, der Bushs Kettenrasseln gegen Syrien ungewohnt "solidarisch" unterstützt. Könnte es sein, daß Chirac hofft, im Windschatten der Amerikaner im Libanon wieder einen Teil des einmal vorhandenen französischen Einflusses zurückgewinnen zu können?


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