© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Grundrechte der Eltern mißachtet
Spanien: Die sozialistische Bildungsreform bringt zwei Millionen Menschen in Madrid auf die Straße / Einschränkung des Religionsunterrichtes befürchtet
Jean-Marie Dumont

Vor einem Jahr sorgte eine informelle sozialliberale Linkskoalition im EU-Parlament dafür, daß der italienische Minister und Christdemokrat Rocco Buttiglione nicht EU-Kommissar werden konnte. Seine traditionell-katholischen Ansichten über Glauben und Familie wurden ihm zum Verhängnis (JF 46/04). Daß im Entwurf der EU-Verfassung die christlichen Wurzeln Europas keine Erwähnung fanden, paßte in dieses Bild.

Die seit 2004 amtierende sozialistische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero scheint sich zur Vorhut dieser antichristlichen Offensive in Europa zu entwickeln. Nach familienfeindlichen Gesetzen (JF 47/05) will sie jetzt eine Bildungsreform durchführen, die auch eine Herabstufung des Religionsunterrichts an den Schulen beinhaltet. Dagegen mobilisiert sich Widerstand: Am 12. November demonstrierten in Madrid über 1,5 Millionen Spanier gegen den Gesetzesentwurf. Die Demonstration wurde von zehn Eltern- und Lehrerverbänden organisiert, sogar Bischöfe nahmen daran teil. Der Präsident einer dieser Bewegungen, des Instituto de política familiar, Eduardo Hertfelder de Aldecoa, sprach mit der JF.

Herr Hertfelder, rechneten Sie mit soviel Zuspruch?

Hertfelder: Die Zahl der Teilnehmer war wirklich eindrucksvoll. Viele sprachen von fast zwei Millionen Teilnehmern. Das bedeutet, daß es vielleicht die größte Demonstration der jüngsten spanischen Geschichte gewesen ist. Die Stimmung war wie auf einem großen Fest: Die Mehrheit waren Familien mit Großeltern, Eltern und Kindern. Trotz allem war es eine erneute Kundgebung gegen die Politik der sozialistischen Regierung. Wir wurden von über 1.000 Vereinen unterstützt.

An welchen Problemen leidet das Bildungssystem im heutigen Spanien?

Hertfelder: Der Niedergang des spanischen Bildungssystems ist offensichtlich. Die Reformen, die von den vorherigen sozialistischen Regierungen eingeführt worden sind, haben ein System aufgebaut, daß die Autorität der Lehrer geschwächt hat. Leistung und Fleiß sind keine Voraussetzungen mehr für Schulabschlüsse. Es hat sich eine Kultur der "Nicht-Anstrengung" entwickelt. Hinzu kommt die Zersplitterung des Schulsystems in 17 selbständigen Regionen. Die notwendige massive Einschulung von Einwanderern verursacht zusätzliche Probleme. Das führte dazu, daß sich Spanien in der Pisa-Rangliste 2003 unter den letzten befindet.

Was sind Ihre Hauptkritikpunkte am Gesetz?

Hertfelder: Es ist ideologisch und interventionistisch. Es ignoriert das Verfassungsrecht der Eltern, die Bildung für ihre Kinder frei zu wählen. Es versucht, die Schüler durch Fächer wie die Educación para la ciudadanía (Gemeinschaftskunde) zu indoktrinieren. Das Gesetz wird das Bildungsniveau absenken, da der Mangel an Autorität und an intellektueller Anstrengung als notwendige Bedingung der Erziehung bestehen bleibt. Es gibt sogar absurde Bestimmungen, wie das "Recht der Schüler, sich von den Unterrichtsräumen zu entfernen, wenn sie wollen".

Wie ist der Religionsunterricht betroffen?

Hertfelder: Die spanische Verfassung verbrieft das Recht auf Religionsunterricht. Etwa 80 Prozent der Eltern wählen ihn für ihre Kinder. Die das nicht wollen, nehmen an einem alternativen Unterricht teil. Zukünftig soll der Religionsunterricht jedoch ein ganz selbständiges, akademisch nicht anerkanntes Fach ohne Prüfung werden. Dies wird den Eltern und den Schülern große Schwierigkeiten bereiten, sich für den Religionsunterricht zu entscheiden, so daß dieser Unterricht allmählich an mangelndem Engagement sterben wird.

Erwarten Sie eine "laizistische Offensive"?

Hertfelder: Viele von uns glauben, daß dieses Gesetz einer Ideologie entstammt, die weder an die Person noch an die Familie glaubt. Alles soll dem Staat unterworfen werden. Die religiösen Überzeugungen sollen in den Privatbereich fallen und keine sozialen oder kulturellen Folgen mehr haben. Daher stellt die laizistisch-öffentliche Schule ihr Ideal dar - auch wenn dabei Grundrechte der Eltern mißachtet werden.

Unterstützte die oppositionelle Volkspartei (PP) Ihre Demonstration?

Hertfelder: Sie spielte zunächst nur eine Nebenrolle. PP-Chef Mariano Rajoy war nicht da. Nach dem offenbaren Erfolg dieser riesigen Sozialbewegung für die Bildungsfreiheit hat die PP eine größere Unterstützung angekündigt.

Wie hat die Regierung reagiert?

Hertfelder: Einerseits versuchte sie, die Demonstranten und ihre Forderungen in Mißkredit zu bringen: Sie seien "Handlanger" der PP oder der Kirche. Andererseits signalisierte sie Dialogbereitschaft. Zapatero hat inzwischen klargemacht, daß er die Hauptkritikpunkte nicht hören will. Ob er den Zeitplan des Gesetzes ändert, werden wir sehen.

Was bewirkte die Demonstration noch?

Hertfelder: Man kann von einer "gesellschaftlichen Reaktion" sprechen. Während der letzten fünf Monaten haben drei Großdemonstration stattgefunden - alle waren gegen verschiedene Bereiche der Regierungspolitik gerichtet. Zuerst ging es um die Opfer des Terrorismus, dann protestierten die Familien gegen die Reform des Zivilgesetzbuches ("Homo-Ehe", siehe JF 47/05), und nun schließlich der Bildungssektor. Immer war die ganze Gesellschaft vertreten, es nicht nur um die Verteidigung von sektoralen Interessen. Die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst, weil sie die Gesellschaft ignoriert und gegen die Familie, die Eltern und die Erziehung ihrer Kinder gerichtete Gesetze erläßt.

 

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