© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Heute wie damals: zerrüttete Finanzen
Regierung: Ein Vergleich der Großen Koalition mit dem ersten Bündnis zwischen Union und SPD in den sechziger Jahren zeigt wesentliche Unterschiede auf
Friedrich Karl Fromme

Schaut man zurück auf die erste "Große" Koalition aus Unionsparteien und SPD, die von 1966 bis 1969 bestand, zeigen sich zu der von heute Übereinstimmungen und schwerwiegende Unterschiede. Damals hatte der Wille zur Großen Koalition bei beiden Partnern einen längeren Vorlauf. Es gab einflußreiche Politiker auf beiden Seiten, die schon länger eine solche Verbindung gewünscht hatten. Bei der SPD, die in der Bundesrepublik an keiner Regierung des Gesamtstaates beteiligt war, kam der Gedanke nicht zur Ruhe, auf diese Weise wenigstens teilzuhaben an der Regierung. Damit werde man der vom ersten Bundeskanzler Adenauer (CDU) schlau genährten Stimmung entgegentreten, Sozialdemokraten könnten, wenigstens im Bund, nicht regieren.

Die jetzt gebildete Große Koalition entstammt der Notwendigkeit, aus frivol angezettelten vorzeitigen Bundestagswahlen etwas zu machen. Schon am Wahlabend war klar, daß der einzige Weg die Verbindung von Union und SPD sein würde. Dagegen lagen im Jahre 1966 die Wahlen um mehr als ein Jahr zurück. Sie hatten das für lange Zeit im Prinzip gültige Ergebnis fixiert, daß nicht mehr als drei Fraktionen im Bundestag saßen - die CDU/CSU, die SPD und die FDP.

Prekäre Ähnlichkeit zur Ausgangslage von 1966

Zunächst waren nach dem Krieg allenthalben "Allparteienregierungen" gebildet worden. Rechtsparteien gelangten nicht in den Bundestag, die Kommunisten litten unter negativen Beispiel im Osten Deutschlands. Das Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1956 war nur das bestätigende Siegel. Der PDS, der umbenannten SED, hatte das Bundesverfassungsgericht durch das Gebot der getrennten Zählung der Stimmen nach alter Bundesrepublik und ehemaliger DDR 1990 zum Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag verholfen. Bei den Wahlen 2002 schaffte die PDS die Fünf-Prozent-Hürde nicht; zwei (in Berliner Wahlkreisen) direkt gewählte Abgeordnete führten eine Randexistenz im Parlament. Die wahlrechtlich fragwürdige Verbindung zwischen einer Links-Absplitterung von der SPD und der PDS gelangte nun mit 8,7 Prozent in den am 18. September vorzeitig gewählten Bundestag.

Die 1966 gebildete Große Koalition war nicht unter dem Druck entstanden, aus einem Wahlergebnis eine Regierung zu formen. Sie stützte sich auf den Willen der beteiligten Parteien, bestimmte Ziele zu verwirklichen, voran solche, die der für Änderungen der Verfassung erforderlichen Zweidrittelmehrheit bedurften. Das gab der Großen Koalition eine kalkulierbare Rechtfertigung, aber auch eine natürliche zeitliche Begrenzung.

Eine prekäre Ähnlichkeit zu den Ausgangspositionen von 1966 gibt es: die Zerrüttung der Finanzen des Bundes. Doch damals gab es im Haushalt des bevorstehenden Jahres 1967 eine Deckungslücke von 3,3 Milliarden D-Mark. Es waren Peanuts, um dieses von einem deutschen Wirtschaftsführer geprägte Wort zu gebrauchen, gegenüber den rund 40 Milliarden Euro, die heute im Etat des kommenden Jahres fehlen.

Man wird sehen, ob und wann das im Vordergrund stehende verfassungspolitische Ziel der jetzigen Großen Koalition erreicht wird: die Erneuerung des Föderalismus.

Zwar behaupten die Politiker, die über die Bildung einer Großen Koalition wochenlang verhandelt haben, den Weg zur Reform der föderativen Ordnung gefunden zu haben. Das verdient keinen Glauben. Sie langem wird behauptet, die Zahl der Gesetze sei zu hoch, die der Zustimmung des Bundesrates bedürften (in welchem Verfassungsorgan die bisherige größere Oppositionspartei, die CDU/CSU, über die Mehrheit verfügt und sie, wie SPD und Grüne sagten, zur "Blockierung" einsetze). Allerdings gibt es nicht einmal eine exakte quantitative Ermittlung des Anteils der Zustimmungsgesetze, geschweige denn eine Übersicht über die Bedeutung der betroffenen Gesetze. Damit aber wird die Frage der Macht berührt, und dann wird es schwierig.

Vor dem Säurebad des Wahlkampfes

Bei den angestrebten Verfassungsänderungen hat sich die Koalition nicht einmal vorgenommen, die trickreiche, die Position des Kanzlers über das vom Grundgesetz Gewollte hinaus stärkende Art der Parlamentsauflösung durch eine solide verfassungsrechtliche Form zu ersetzen, etwa durch das Recht einer qualifizierten Mehrheit des Bundestages, dessen Auflösung zu beschließen. Schon die Große Koalition von 1966 bis 1969 war mit dem als eine ihrer Grundlagen bezeichneten Plan gescheitert, das Verhältniswahlrecht durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Vorschläge dieser Art sind jetzt gelegentlich gemacht worden. Sie wurden ebensowenig weiter verfolgt wie die "Ehrlichmachung" der Parlamentsauflösung.

Die Absicht, in der Großen Koalition ein Bereinigungsbündnis zu sehen, dessen Ende von der Markierung der erreichten Ziele bestimmt wird, gibt es diesmal nicht so ausdrücklich wie 1966. Das Ende dürfte vielmehr von dem in den Vordergrund tretenden Willen der beiden - immer noch halbwegs als groß zu bezeichnenden - Volksparteien bestimmt werden, die andere auszubooten, wie es 1969 der SPD gelang. Damals war das gemeinsam zu Erledigende abgetan, oder es war nicht zu machen. Die "Gemeinsamkeit" der Koalition wird auch diesmal nachlassen, weil keine der beiden Seiten wissen kann, welche unpopulären Maßnahmen ihr oder der anderen Seite zugeschrieben werden.

Eine Große Koalition löst sich in der Regel zwanglos in dem angesetzten Säurebad des Wahlkampfes auf. Das mit der Annäherung an den Wahltag an Deutlichkeit zunehmende Streben nach der je eigenen Macht erwies sich 1969 als ein hinreichendes Sprengmittel für die Koalition, wenn auch der eine oder andere - etwa der vorsichtige Herbert Wehner von der SPD - das Bündnis nicht ungern fortgesetzt hätte. Damals ließ sich der SPD-Vorsitzende Brandt gern von einer der Opposition müden FDP verlocken, in einer Regierung mit dieser kleinen Partei den Löwenanteil der Macht zu bekommen. Dem CDU-Kanzler Kiesinger fehlte nach den Wahlen von 1969 der Koalitionspartner.

Historische Analogien sind heikel. In vier Jahren wird man sehen, welche Partei dem SPD-Vorsitzenden Platzeck oder der CDU-Vorsitzenden Merkel Angebote machen kann und will. Allerdings brauchte die alte Große Koalition nur knapp drei Jahre durchzustehen, und ihr Auftrag war präziser. In den vier Jahren, die vor der Regierung Merkel-Müntefering liegen, wird es hinreichend viele Bruchstellen geben. Ob man sie nutzt, hängt davon ab, ob die Lust am Weiterregieren stärker ist oder die Bindung an das Erreichen gemeinsam erklärter politischer Ziele.


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