© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Westerwelle und die Dame ohne Unterleib
Bundestag: Der Großen Koalition steht eine uneinheitliche Opposition gegenüber / FDP hat das "Projekt 18" im Blick / Lafontaine und Gysi sind gute Redner
Paul Rosen

Es gibt keine Koalition in der Opposition. Und da sich mit FDP, Grünen und Linkspartei auch drei höchst unterschiedliche politische Richtungen im Bundestag nach der Wahl vom 18. September in der Opposition wiederfanden, sind Bündnisse unter den Kleinen höchst unwahrscheinlich und auch überflüssig. Ihre vereinten Stimmen reichen nicht einmal aus, um eine von den Großen auf den Weg gebrachte Verfassungsänderung aufzuhalten. Es gibt nichts, wozu sich die Oppositionsparteien verbünden können. Sie haben nur ein einziges gemeinsames Ziel, aber das verfolgen sie gegeneinander: Zur nächsten Wahl eine möglichst gute Startposition zu bekommen und ihren Wähleranteil zu vergrößern.

Vom eigenen Erfolg überrascht

Zu eigenen Überraschung wurde die FDP mit knapp zehn Prozent die größte Oppositionspartei - weit vor der Linkspartei, der in optimistischen Prognosen im Sommer noch bis zu 15 Prozent zugesprochen worden waren. Das Führungsduo der Liberalen, Parteichef Guido Westerwelle und Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, hatte sich eine Koalition mit der Union ausgerechnet und darauf in den vergangenen Jahren auch hingearbeitet. Doch die Merkel-Union schwächelte unerwartet. Das Programm von CDU und CSU verströmte soziale Kälte, die Spitzenkandidatin, die jetzt Kanzlerin einer Großen Koalition wurde, zog die Wähler nicht an, sondern trieb viele in die Arme der FDP, die mit dieser Lawine von Merkel-Gegnern gar nicht gerechnet hatte und nicht so recht weiß, was sie mit dieser großen Bundesfraktion anfangen soll.

Westerwelle löste zuerst die ungeklärte Machtfrage in der FDP und servierte Gerhardt ab, der im nächsten Jahr den Fraktionsvorsitz an den Parteivorsitzenden abgeben soll. Damit steht und fällt die Partei mit dem redegewandten Bonner Rechtsanwalt Westerwelle. Er kann sein rhetorisches Talent in den Bundestagsdebatten in die Waagschale werfen und gegen Union und SPD punkten, bei denen dergleichen Mangelware ist. Weder Merkel noch Kauder, weder Struck noch Müntefering sind große Redner. Ihr einziger Vorteil: Sie haben die Macht. Westerwelle will der großen Koalition eine "in Sache harte, aber im Ton verbindliche Oppositionsarbeit" entgegensetzen.

Die FDP schaffte es tatsächlich, die im Entstehen begriffene Große Koalition bereits unter Druck zu setzen. Union und SPD brachen den Versuch ab, den mit einer überbordenden Neuverschuldung von über 40 Milliarden Euro geplanten Etat ohne Ausrufen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Parlament einzubringen. Westerwelle und seine FDP haben daher die Chance, sich wieder dem eigentlich längst aufgegebenen "Projekt 18" zu nähern. Union und SPD versuchen etwas, was in noch keinem Industrieland zuvor funktioniert hat. Sie wollen die Konjunktur mit Steuer- und Abgabenerhöhungen in Fahrt bringen. Da dieser Versuch fehlschlagen und die Talfahrt weitergehen wird, könnte dies Wasser auf die Mühlen der FDP leiten.

Das gilt auch für die Linkspartei, die rhetorisch noch besser aufgestellt ist als die anderen Parteien. Mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi verfügen WASG und PDS über die besten Redner im Deutschen Bundestag. Das wird der Linkspartei zahlreiche Minuten in wichtigen Nachrichtensendungen sichern. Für die parlamentarische Arbeit scheint ihre Fraktion jedoch weniger geeignet zu sein. Besonders unerfahrene und undisziplinierte westdeutsche Abgeordnete machen den Altkadern aus dem Osten Sorgen. Aber auch Gysi und Lafontaine sind ein Problem. Beide fühlen sich als Diven der deutschen Politik, Fleiß gehört nicht zu ihren Grundeigenschaften. Die Oppositionsarbeit der Linkspartei wird nichts Konstruktives haben, sie wird auch nicht regelmäßig sein, sondern überwiegend aus Effekthascherei bestehen. Außerdem ist nicht sicher, ob die Fusion von WASG und PDS wirklich funktionieren wird und die PDS es damit schafft, sich endgültig im Westen zu etablieren. Bei Lafontaine besteht weiterhin das Problem, daß er sich immer noch zu seiner alten Partei, der SPD hingezogen fühlt. Er soll, so heißt es in Berlin, davon träumen, die linken Kräfte in einer Partei zu bündeln und dann ihr Vorsitzender zu werden.

Und die Grünen? Sie haben sich sang- und klanglos aus den Sesseln der Macht verabschiedet, an denen sie sieben Jahre geklebt haben. Ihr Wählermilieu hat alles geschluckt, bis hin zum völkerrechtswidrigen Angriff auf Serbien. Den Grünen ist mit Joschka Fischer ihr populärster Politiker abhanden gekommen. Reinhold Bütikofer und Renate Künast sind nur ein schlechter Ersatz des einstigen Übervaters der Partei. Hinzu kommt, daß die Grünen in keiner Landesregierung mehr vertreten sind. Selbst der PDS, die in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mitregiert, geht es da besser. Die Grünen sind machtpolitisch jetzt eine Dame ohne Unterleib. Es bleibt die Frage, ob das Stammpotential groß genug ist, die Grünen als eigenständige politische Kraft zu erhalten, oder ob sie von den anderen Parteien zerrieben werden.

Foto: Westerwelle, Ströbele, Beck, Enkelmann und Lafontaine (v. l.): Keine Koalition in der Opposition


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen