© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Schwache Vorbilder
Islamistische Parallelgesellschaften: Eine Antwort an Alice Schwarzer
Ellen Kositza

Auf der Suche nach der eigentlichen Wurzel der französisches Vorstadtkrawalle durfte in der vergangenen Woche Alice Schwarzer per FAZ-Feuilletonaufmacher eine neue Kategorie entwerfen: Weniger Multikulturalismus an sich noch mangelnde Integrationsbemühungen - dies alles auch - seien das Hauptproblem, sondern der dem Islam gleichsam naturgemäß innewohnende Sexismus. Die brandschatzenden Täter seien ausnahmslos Männer, und deren Gewalt richte sich nur punktuell gegen die sie mißachtende Republik, habituell und grundsätzlich aber gegen Frauen. Es seien die Patriarchen in den Familien, an denen Aufklärung und Feminismus grußlos vorbeigezogen sind, die jenes "verführerische Lied der Gewalt" sängen.

Dazu gibt es einiges anzumerken. Zunächst, wenn auch nur am Rande bemerkenswert ist, daß Schwarzers Einwände zur grundsätzlichen Migrationsproblematik und deren Ausmaß sich darauf beschränken, den Faktor "Geschlecht" als Asylgrund zu ergänzen und auch aus nichtstaatlicher Verfolgung des Aufnahmesuchenden ein Bleiberecht zu folgern

Oberflächlich betrachtet hat Schwarzer mit ihrer "Mann als Täter"-Analyse zunächst ja recht. Die Bilder der Krawallnächte zeigen ausnahmslos junge Männer. Tatsächlich existieren in sämtlichen urbanen Kernen Westeuropas islamistische Parallelgesellschaften mit einem geschlechtlichen Rollenverhältnis, das dem hiesigen gründlich zuwiderläuft. Die diesjährig steigende Zahl allein der Berliner "Ehrenmorde" bedeutet ebenso nur die Spitze eines Eisbergs wie die Gruppenvergewaltigungen in den Pariser Banlieues. Die männlichen Zöglinge zahlreicher muslimischer Familien sind aus demokratischer wie emanzipatorischer Sicht durch eine frauenverachtende Grundhaltung geprägt, die regelmäßig in schulischen Alltagshändeln und innerfamiliären Zwistigkeiten ihren Ausdruck findet.

Uns Europäern war eine solch rigide und hierarchische Geschlechtertrennung seit je fremd; auch unbeleckt noch von aufklärerischem Duktus und später dessen feministischen Nachwehen ging es hier nie um Verschleierung oder Rechtfertigung der Vielehe. Es gab jedoch Definitionen von Männlichkeit und Weiblichkeit als gültige Kategorien.

Im umgreifenden, seine Binnengrenzen längst verlassenden Diskurs der Frauenemanzipation wurde das Augenmerk der Unisex-Propagandisten jedoch zu lange auf die Belange der Frau gerichtet, die sich den herkömmlich männlichen Lebensläufen in Selbstverständnis, Erscheinung und Berufswahl nun angleichen durfte. Umgeformt wurden mithin tradierte Prinzipien der Männlichkeit, wobei "Umformung" knapp daneben greift: Das männliche Selbstverständnis des Europäers ist ein amorphes, formloses. "Gewalt" sei das "identitätsstiftende Element von Männlichkeit", schreibt die Emma-Herausgeberin, "am begierigsten aufgesogen in Zeiten irritierter, erschütterter Männlichkeit". Was irritierte (die muslimische?), was gesunde (etwa die deutsche?) Männlichkeit ausmachen sollte, bleibt dabei ebenso fraglich wie die naheliegende - und aus Schwarzers Mund vielfach bestätigte - Vermutung, daß geschlechtliche Binarität per se nicht existiert und nur als gesellschaftliches, also patriarchalisches, Konstrukt zur Wirksamkeit kommen konnte.

Schwarzers Artikel, das verschweigt die FAZ, ist ein nur geringfügig veränderter Nachdruck ihres Tage zuvor in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) veröffentlichten Plädoyers. Während der FAZ-Artikel mit dem verfassungstreuen Hinweis endet, für die Rebellierenden sei ein Sprach- und Demokratieunterricht angebracht, um ihnen die grundgesetzliche Gleichheit von Mann und Frau zu verdeutlichen, endet der ansonsten fast wortgleiche NZZ-Beitrag mit aufschlußreicheren Worten: "Wer das Problem der brennenden Autos und Frauen wirklich bekämpfen will (...), muß dem Männlichkeitswahn den Kampf ansagen."

Männlichkeitswahn, ja. Die planlos Randalierenden in den französischen Straßen kennzeichnet ein Überschuß an vitaler - wenngleich destruktiv fehlgeleiteter - Virilität, es sind Eruptionen körperlicher Macht. Als solche stoßen sie in westeuropäischen Gefilden in ein Vakuum sondergleichen. Wo gäbe es hier ein Rollenvorbild männlicher Autorität, von dem die Einwanderer profitieren, an dem sie sich reiben könnten? Schwarzers ideelles, voluntaristisch unterfüttertes Vorbild ist der androgyne Mensch, frei von kulturell diktiertem Rollengebot; er ist zu großen Teilen bereits Wirklichkeit geworden.

Haarscharf hat dies der politisch unverdächtige Publizist Matthias Politycki jüngst in der Zeit dargelegt. Er speist seinen Essay aus eigenen Erlebnissen und Empfindungen als Deutscher in der Fremde, der angesichts ungebremster Energien testosterongesättigter Jungmänner mit der eigenen Versagensangst konfrontiert wird. "Wünschen wir uns in diesen Situationen wenigstens Waffen? Nicht mal das wagen wir, anerkannte Kriegsdienstverweigerer oder jedenfalls überzeugte Humanisten, die wir sind. (...) Wer sich in die Überlegenheit dessen flüchtet, der 'das alles schließlich nicht nötig hat', ist im Spiel der Evolution jedenfalls verloren." Wenn "phallische Kulturen" (Politycki) an einem "Männlichkeitswahn" (Schwarzer) kranken - woran kranken wir, die wir dieser Situation hilflos gegenüberstehen?


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