© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Klima stickiger Konformität
Nach uns die Sintflut: Die Eigentümer des "Spiegel" streiten um Macht und Einfluß
Günter Zehm

Beim Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel gibt es wieder mal Rangeleien, nur weiß man noch nicht, ob es sich um ernsthafte Diadochenkämpfe handelt oder nur um einen Sturm im Wasserglas. Franziska Augstein (41), Tochter des vor drei Jahren verstorbenen Blattgründers und Übervaters Rudolf Augstein und - zusammen mit ihren Geschwistern - Herrin über 24 Prozent der Firmenanteile, hat jedenfalls in aller Öffentlichkeit schwerstes Geschütz gegen den derzeitigen Chefredakteur Stefan Aust und den von ihm verantworteten gegenwärtigen Stil des Blattes aufgefahren.

In einem Vortrag Donnerstag vergangener Woche vor Berliner Zeitungsverlegern sagte sie, daß der Spiegel unter Aust seine einstige Funktion als deutsches "Leitmedium" vollkommen eingebüßt und überhaupt rapide an Qualität verloren habe. Das Magazin sei "ein geschwätziges Blatt unter anderen" geworden, alles werde personalisiert und boulevardisiert, es gebe fast nur noch sogenannte "weiche" Themen, und eine politische Linie sei schon längst nicht mehr zu erkennen, es sei denn, man nehme den angestrengt wirtschaftsorientierten Kurs Austs schon für eine politische Linie.

Bereits zwei Tage nach dem Vortrag gab es auf Spiegel-Online eine geharnischte Antwort sämtlicher Spiegel-Ressortleiter zu lesen, darunter Gabor Steingart, Jan Fleischhauer, Stefan Berg, Johann Grolle, Roman Leick, Matthias Matussek und Thomas Tuma. Augsteins Attacke, so schrieben die innerredaktionell durchweg als "neoliberal" eingeschätzten Protestierer, sei geeignet, das Ansehen des Blattes aufs gröbste zu beschädigen, und man verwahre sich dagegen mit aller Schärfe. Der Spiegel sei ein kerngesundes, erfolgreiches Unternehmen, das seinen Besitzern schöne Gewinne einbringe, und so solle es auch bleiben.

Ob die Ressortleiter für alle Redakteure oder wenigstens für deren Mehrheit sprechen, läßt sich schwer einschätzen. Diese Redakteure sind bekanntlich, dank einer Entscheidung Rudolf Augsteins aus 68er-Zeiten, die er später sehr bereute, Mehrheitseigner des Magazins (50,5 Prozent; 25,5 Prozent gehören der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr). Erst vor anderthalb Wochen war bekanntgeworden, daß die Mitarbeiter KG in Gestalt ihres Vorsitzenden Thomas Darnstädt sich in ähnlicher Richtung wie Franziska Augstein geäußert hatte und auf dem nächsten Gesellschaftertreffen mit dem Chefredakteur Aust über die Misere diskutieren wollte.

Aust lehnte die Einladung, die eine verkappte Vorladung war, mit Aplomb ab. Er sprach von einer "Bedrohung der inneren Pressefreiheit", und man darf davon ausgehen, daß die Aktion der Ressortleiter unter seiner innigsten Mithilfe zustande gekommen ist. Die inneren Querelen des Spiegel sind jetzt zu einem richtigen "Fall" geworden, zumindest zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit und medialer Erörterung, welche nicht zuletzt bei den Politikern auf größtes Interesse stoßt.

Mitglieder von SPD und Grünen, allen voran der gerade noch amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder, hatten in letzter Zeit schon einige Male ihrerseits massive Kritik am Spiegel und anderen bekannt linken Medien geübt. Diese hätten sich ungebührlich in den Wahlkampf eingemischt, hieß es, die rot-grüne Regierung sei absichtlich schlechtgeschrieben und der Opposition seien über Gebühr die Spalten geöffnet worden. Natürlich war solcher Vorwurf absurd. Was die Leser allenfalls registrieren konnten, war eine etwas größere Ausgewogenheit von Spiegel, Zeit, Stern e tutti quanti bei der Behandlung von Themen, die zwischen Regierung und Opposition als kontrovers galten. Doch schon das genügte den Schröder & Co., um unruhig zu werden. Sie waren sich bisher der besagten Medien so sicher gewesen, daß deren plötzliche größere Distanz für sie eine ganz neue Erfahrung war.

Dabei zeigt jeder Blick in die etablierte Presse: Es gibt dort keinen "Rechtsruck", nach wie vor herrscht die Diktatur der "Political Correctness", alle rechten, vaterländischen oder auch nur halbwegs konservativen Kräfte werden nach wie vor ausgegrenzt, mit Haß und Häme überzogen, totgeschwiegen. Was es gibt, ist eine Art Große Koalition der etablierten Medien, parallel zu der Großen Koalition, die wir in der Politik haben werden. Fernsehen, Springerpresse, insbesondere Bild-Zeitung, FAZ, Spiegel - sie sind sich einig wie nie zuvor, sagen über dieselben Dinge dieselben Wörter, ihre führenden Repräsentanten hocken, für alle sichtbar, ganz eng beisammen, schieben sich gegenseitig die Meinungen zu.

Dadurch entsteht ein Klima von nie dagewesener, stickiger Konformität, das begleitet wird von allgemeinem Niveauverlust, horrender Ignoranz und geistiger Kleinrentnerei schlimmsten Ausmaßes. Das war es wohl, was Franziska Augstein meinte, als sie in Berlin von der "leeren Geschwätzigkeit" und von den "weichen" Themen sprach. Sie hatte recht. Nur wirkt es geradezu drollig, daß sie ausgerechnet dem Spiegel zutraut, aus der weichen Geschwätzigkeit wieder herauszufinden. Diese Zeitschrift war führend an der Herstellung des gegenwärtigen Zustands beteiligt, und ihre Mehrheitseigner (siehe den erwähnten Brief der Ressortleiter) sind leidenschaftlich daran interessiert, daß sich nichts ändert und alles im Muff verharrt.

Sie verdienen gut daran, und sie sind - wie ein ehemaliger Geschäftsführer des Spiegel, Adolf Theobald, soeben besorgt in der Welt schrieb - drauf und dran, gewissermaßen das Tafelsilber zu verfrühstücken. Theobald: "Der Spiegel lebt von der Hand in den Mund. Reservebildung ist ein Fremdwort. Absichernde Diversifikation in diesem Mono-Unternehmen ist verpönt." "Nach uns die Sintflut" - dieser Lieblingswahlspruch im gegenwärtigen Deutschland gilt auch und vor allem beim Spiegel, so daß man nur Angst davor haben kann, daß er je zum "Leitmedium" aufsteigen könnte.

Freilich ist Derartiges kaum zu befürchten. Eine starke Fraktion in der Spiegel-Mitarbeiter KG liebäugelt mit dem Vorhaben, Chefredakteur Aust so bald wie möglich, spätestens in zwei Jahren, wenn sein Vertrag ausläuft, abzuberufen und durch einen "linkeren" Redakteur zu ersetzen. Außerdem soll das seit dem Tod von Rudolf Augstein ruhende Amt des Herausgebers wiederbelebt werden.

In den Startlöchern kniet schon seit längerem Heribert Prantl, Lebensgefährte von Franziska Augstein und zur Zeit leitender politischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung, bei der auch Augstein im Feuilleton beschäftigt ist. Der ehemalige Staatsanwalt Prantl ist eine weithin anerkannte, auch von den Unionsparteien ehrfürchtig umsäuselte Säule der "Political Correctness" und würde sehr gut zur Großen Koalition in Berlin passen. Aber beseitigen würde er die Misere im Spiegel natürlich nicht.

Foto: Franziska Augstein, Heribert Prantl (li.), "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust: Tanz ums Goldene Kalb des Herausgebers


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