© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Die rote Merkel-Steuer kommt
Wirtschaftspolitik: Die Empfehlungen des Jahresgutachtens der "Fünf Weisen" ignorierten die Groß-Koalitionäre weitgehend
Klaus Peter Krause

Ein Zufall, gewiß. Und doch wirkt es wie ein düsteres Zeichen, daß CDU/CSU und SPD ihrem Ko-alitionsvertrag just zu jenem Zeitpunkt den letzten Schliff verpaßten, als die Karnevals- und Faschingsvereine mit ihrem närrischen Treiben dieser Saison begannen, und daß die beiden Parteien mit diesem Vertrag nun tatsächlich zur Großen Koalition aufbrechen.

Freilich mit zwei wesentlichen Unterschieden: Erstens wird der Kehraus dieser Koalition nicht schon am Aschermittwoch stattfinden; deren eigener Aschermittwoch kommt erst später, frühestens in zwei Jahren. Und zweitens ist das, was sie im Vertrag vereinbart hat, in wesentlichen Teilen alles andere als harmlos närrisch. Den wirtschafts-, steuer- und sozialpolitisch nötigen Aufbruch zu neuen Ufern, den der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2005/2006 "Die Chance nutzen - Reformen mutig voranbringen" vorgibt, bietet der Vertrag dieser Großen Koalition nicht, nur ein paar wohlklingende verbale Bekundungen allgemeiner Art. Der Koalitionsvertrag mit der Überschrift "Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit" nutzt die Chance der Großen Koalition mit ihrer starken Mehrheit für mutige Reformen nicht.

Der eindringliche Appell des Sachverständigenrates, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen, wurde nicht erhört. Er ist in der ökonomischen Leere des politischen Raumes verhallt. Schon vor der Bundestagswahl hatte die CDU angekündigt, den Satz von derzeit 16 auf 18 Prozent zu erhöhen. Franz Müntefering hatte dies im Wahlkampf noch genüßlich ausgeschlachtet: "Die Merkel-Steuer ist schlecht für Deutschland. Um das zu sehen, muß man nicht Mathematiker sein, dafür reicht Volksschule Sauerland." Immerhin damit hatte der damalige SPD-Chef recht. Nun hat er im Koalitionsvertrag einer Erhöhung auf sogar 19 Prozent zugestimmt. Vergessen ist auch, was der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) noch am 21. September von sich gab: "Bei der Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung sind wir uns einig." Nun sind sie sich einig, dafür zu sein. So schnell geht das.

Allerdings muß man den Sachverständigen-Appell auch genau lesen: Die Mehrwertsteuer solle nicht zur Haushaltskonsolidierung erhöht werden und nicht im kommenden Jahr. Das kann nur bedeuten: für andere Zwecke und zu späterer Zeit wohl doch. Tatsächlich visiert der Sachverständigenrat eine Heraufsetzung an. Er will sie nämlich reserviert sehen für eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die er spätestens 2008 für notwendig hält, und für die Finanzierungsreformen in der Sozialversicherung. Daß es solcher (wirklicher) Reformen endlich bedarf, steht außer Frage, sie aber mit höherer Mehrwertsteuer und überhaupt mit höheren Steuern zu finanzieren, verbietet sich aus mehreren Gründen - auch wenn der Rat meint, es anders sehen zu müssen.

Ein Wachstumshemmer und schlecht für die Konsumflaute

Immerhin haben auch Unionsparteien und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, die 19 Prozent nicht schon 2006 zu kassieren, sondern erst 2007. Dankbarkeit für die Schonfrist ist fehl am Platz. Auch steht nicht die Sachverständigen-Motivation dahinter. Im Koalitionspapier liest man dazu, das geschehe, "um dem beginnenden Aufschwung Zeit zur Entfaltung zu lassen". Perfekte Rabulistik. Zwingender ist diese Lesart: Weil die Bürger wissen, daß sich alle Güter, die 2006 noch mit dem Regelsatz von 16 Prozent belegt sind, ein Jahr später um drei Prozent verteuern, werden sie das billigere Jahr nutzen, Anschaffungen und Dienstleistungen vorzuziehen. Das beschert zusätzliches Wirtschaftswachstum, höhere Steuereinnahmen auch ohne höheren Steuersatz und läßt sich für die Große Koalition als Erfolg hinstellen. Aber nur für ein Jahr. Der Einbruch 2007 ist programmiert, und der kleine Aufschwung entpuppt sich als Scheinkonjunktur.

Letztlich ist die höhere Mehrwertsteuer ein Wachstumshemmer, also schlecht für die Konsumflaute und die labile Konjunktur und schon deswegen abzulehnen. Handel und Handwerk fühlen sich besonders geschädigt und lärmen berechtigt. Einen Wachstumsschub bekommen statt dessen Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft und Schnüffelstaat. Aber das ist noch nicht alles. Denn die der SPD abgezwungene Zustimmung zur höheren Mehrwertsteuer hat auch dazu beigetragen, daß die Union ihre einfachere und niedrigere Einkommensteuer nicht mehr durchzusetzen vermochte, die für die Bürger als entlastendes Gegengewicht gedacht war. Ferner hat die SPD der Union für ihre Zustimmung auch noch den Unfug der "Reichensteuer" abgequetscht.

Schon aus all dem ist der Schaden bedrückend groß. Er verstärkt die niedergedrückte Stimmung, bringt die deutsche Volkswirtschaft nicht voran und wirft das Land daher noch weiter zurück. Auch andere steuerliche Zusatzbelastungen drohen. So bei der Einkommensteuer. Denn auf nichts anderes läuft es hinaus, wenn die Koalition hier Steuervergünstigungen beseitigen will, um die Bemessungsgrundlage zu erhöhen, ohne die Steuersätze zu senken.

Vereinfachung nennt sie das täuschend. Aber die Steuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge bleibt erhalten. Nur drei Sätze weiter liest man dann wie zum Hohn: "Vorhandene Steuerquellen müssen besser ausgeschöpft und Besteuerungsrechte entschlossen durchgesetzt werden." Vom Sachverständigenrat ist so Konfuses nicht abgeguckt. Der bietet immerhin ein umfassendes Konzept.

Anstelle der bisherigen Steuerklassen will die Koalition "ein Anteilssystem einführen, mit dem jeder Ehegatte künftig soviel Lohnsteuer zahlt, wie es seinem Anteil am gemeinsamen Bruttolohn entspricht". Also zahlt jeder, wenn jeder zum Beispiel die Hälfte zum Bruttolohn beiträgt, auf seinen Anteil 50 Prozent Lohnsteuer? Das kann doch sicher nicht gewollt sein.

Man liest: "In dieser Legislaturperiode werden wir eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen realisieren." Man liest nicht, wie.

Man liest: "Alle Maßnahmen dieses Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt." Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber ob das, was die Koalition nicht finanzieren kann, dann wirklich auch unterbleibt, ist damit keineswegs gewiß.

Man liest: "Alle Ausgaben stehen auf dem Prüfstand." Klingt gut. Sie müssen aber auch wirklich gekürzt werden.

Und wer die Ausgaben kürzen will, muß mit dem Kürzen bei den Aufgaben des Staates anfangen, der zu viele an sich gezogen hat oder sich zu gern hat aufdrängen lassen. Die Bürger brauchen mehr Freiheit und Eigenverantwortung, auch wenn zu viele von ihnen Angst davor haben. Die können ihnen aber nur glaubwürdige Politiker nehmen. Doch wo sind die?


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