© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005


Leserbriefe

Zu: "Polnische Überzeugungen" von Jörg Fischer, JF 44/05

Selektives Erinnerungsvermögen

Wer erklärt dem polnischen Erzchauvinisten Lech Kaczynski, welche Probleme Deutschland, insbesondere die Heimatvertriebenen, mit unserem Nachbarn Polen hat? Wenn Herr Kaczynski meint, er habe das Recht, uns Deutschen das geplante Zentrum gegen Vertreibungen zu verwehren, dann geschieht dies vom Sockel eines selektiven Erinnerungsvermögens und aus sehr durchsichtigen Motiven: Polen würde mit einem sehr unrühmlichen Teil seiner jüngeren Geschichte konfrontiert, nämlich mit dem beispiellosen Vertreibungsverbrechen, das im übrigen nicht erst 1945, sondern bereits 1919 begann!

Auf den geplanten Bau einer Gaspipeline von Rußland nach Deutschland auf dem Boden der Ostsee gibt es eine sehr einfache Antwort: Das geht Polen nichts an! Dries van Agt, der ehemalige niederländische Ministerpräsident, sagte im November 2004 anläßlich der Verleihung der Martin-Buber-Plakette an Richard von Weizsäcker: "Wer Versöhnung will, muß bereit sein, die volle Wahrheit anzuerkennen." Zur Wahrheit gehört nun einmal auch das Vertreibungsverbrechen, unter dem Millionen von Deutschen heute noch zu leiden haben. Einem christlichen Land wie Polen sei daher etwas mehr Demut und Wahrheitsliebe zu empfehlen - nur dann kann der noch längst nicht abgeschlossene Versöhnungsprozeßgelingen.

Alfred E. Zips, Neu Isenburg

 

 

Zu: "Der Dunkelmann" von Karlheinz Weißmann, JF 44/05

Religion ist nicht säkularisierbar

Karlheinz Weißmann hat recht. Abgesehen von der Kontroverse um die Kirchenmitgliedschaft Prof. Bergers geht es seinen Gegnern wohl in erster Linie darum, einen Neutestamentler zu desavouieren, der die herrschende Lehre der historisch-kritischen Forschung in Frage stellt und damit eben auch die Lehre der theologischen Fakultäten an deutschen Universitäten. Dieser Lehre sind auch die Landeskirchen verpflichtet und damit die EKD

einschließlich der meisten Bischöfe bzw. Präsides. Einer der wenigen Andersdenkenden war und ist hier Altbischof Gerhard Maier von der Württembergischen Kirche, der bereits 1974 seine Schrift "Das Ende der historisch-kritischen Methode" vorlegte. Ein delikates Beispiel in diesem

Zusammenhang gab Weihnachten 2004 Landesbischöfin Käßmann (Hannover), die die Jungfrauengeburt schlicht in "Maria, die starke und mutige junge Frau" umdeutete. Dagegen stellte Papst Benedikt XVI. als Joseph Kardinal Ratzinger

in einem Interview, das als Buch im Jahre 2000 veröffentlicht wurde (Gott und die Welt), auf die Frage, ob denn die Jungfrauengeburt eine biologische Geschichte sei, klipp und klar fest: Ja! Und ein Letztes: Max Horkheimer sagte in einem Interview (Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, 1970): "Religion kann man nicht säkularisieren, wenn man sie nicht aufgeben will." Daran hat sich auch im Jahre 2005 nichts geändert.

Prof. Dr. Karl-Heinz Kuhlmann, Evangelische Theologische Faculteit Leuven/Belgien

 

 

Zu: "Sachsens CDU gibt sich schwarzrotgold" von Marcus Schmidt, JF 44/05

Ein Etikettenschwindel

Zu Ihrem Artikel kann man nur anmerken, daß die aktuelle "Patriotismuswelle" von den Bürgern hoffentlich als das erkannt wird, was sie wirklich ist: ein Etikettenschwindel. So, wie die Globalisierungsgewinner ihren Manchester-Kapitalismus gern als konservativ verkaufen, soll uns Deutschen angesichts der leeren Kassen die Mehrarbeit bei geringerem Einkommen als Patriotismus schmackhaft gemacht werden. - Deutsche Arbeitslose (ALG-2-Empfänger) verdächtigt man des Sozialbetrugs, deshalb schickt man ihnen Schnüffler bis ins Schlafzimmer (das alles erinnert doch sehr an NS-Blockwart bzw. DDR-Hausbuch), während jeder Schwerverbrecher der Polizei den Zutritt zu seiner Wohnung verweigern kann, wenn kein richterlicher Durchsuchungsbeschluß vorliegt. Gleichzeitig werden Wirtschaftsasylanten bei uns medizinisch wie Privatpatienten (ohne jegliche Zuzahlung) betreut, und der Staat leistet sich Luxus-U-Boote für 350 Millionen Euro (vielleicht um die Straße von Gibraltar besser kontrollieren zu können).

Wer hofft, daß derart unpatriotisches Verhalten durch Werberummel kaschiert werden kann, hat die Erwartungen in die Umerziehung wohl doch zu hoch gesteckt. Man sollte zwischen Patri- und Idioten unterscheiden.

Gerd Trepte, Berlin

 

 

Zu: "Der Prozeß" von Marcus Schmidt, JF 44/05

Jaspers - 40 Jahre vor Hohmann

Karl Jaspers hat in seinem Buch "Freiheit und Wiedervereinigung - über Aufgaben deutscher Politik" (Piper 1960) ein Interview veröffentlicht, in dem haargenau ein Vorgang beschrieben wird, wie er auf Martin Hohmann über 40 Jahre später genauso wieder paßt. Jaspers sagt über seine Schrift der Schuldfrage (1945) wörtlich: "Man hat törichterweise behauptet, ich hätte die Kollektivschuld angenommen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe ausdrücklich ausgeführt, die gebe es nicht. Aber das Gerücht ist geblieben ...". Das Gerücht also war mächtiger!

Klaus-Peter Häußer, Unterschleißheim

 

 

Zu: "Polizei im Tarnanzug" von Lars Grüning, JF 44/05

Entlastung der Staatskasse

Ebenso wie jüngst der designierte Verteidigungsminister Jung meldeten sich bereits in zurückliegender Zeit der bayerische Ministerpräsident Stoiber und sein Innenminister Beckstein zu Wort und forderten einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren des Landes (Bahnhöfe, Flugplätze, etc.). Da diese Forderung aber nur vorerst vom Tisch sein dürfte, lohnt es sich, über die eigentlichen Hintergründe nachzudenken. Das eigentliche Ziel, die bayerische Staatskasse zu entlasten, wird natürlich verschwiegen.

Keine schlechte Kalkulation. Sollten sich beide Herren mit ihrem Wunsch durchsetzen, ist wohl mit weiteren "Aufgaben" für die Bundeswehr zu rechnen. Man denke an "Borkenkäfer-Jagen" - wie schon geschehen - oder Absperrposten bei Sportveranstaltungen. Ende letzten Jahres wurde bekannt, daß bei einem Panzerbataillon der Bundeswehr schon zwei Wehrpflichtigenjahrgänge (bei neun Monaten Dienstzeit) keine nennenswerte Ausbildung am Kampfpanzer erhielten, geschweige denn mit diesen einen scharfen Schuß abgegeben hätten. Der Truppenteil war neben den üblichen standortbedingten Aufgaben mit zusätzlichen Wachaufträgen in US-Liegenschaften belastet. - Ist das die Bundeswehr, die man will?

Johann Troltsch, Kempten

 

 

Zu: "Das Ende der Möglichkeiten" von Jost Bauch, JF 44/05

Die Folgen "romantischer Ironie"

Jost Bauch zielt mit dem Begriff der "Multioptionsgesellschaft" in die Richtung des zentralen Problems nicht nur Mitteleuropas, sondern des Abendlandes. Dieses Problem ist das, was der Vater der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, in seinem Buch "Adolf Hitler in der Geschichte" und in anderen Büchern die "ironistische Verfehlung des abendländischen Geistes" nennt. Damit ist die Fähigkeit des Intellektuellen gemeint, alles objektivieren und damit auch sich selbst von allen Lebensbezügen distanzieren zu können.

Dies führt zu einer Schwebelage, welche in der Geschichte zunächst als "romantische Ironie" kultiviert wurde, also der Virtuosität, sich von allem zurückzuziehen und jeden Standpunkt wechseln zu können. Diese Schwebelage bringt zwar die Illusion der Freiheit. Da man sich aber an nichts hält und jede Bindung scheut, entsteht zugleich die Angst des Höhenschwindels, Haltlosigkeit und Einsamkeit, aus der man sich in alte Gruppenbindungen flüchtet, seien es solche der Blutsgemeinschaft wie im Nationalismus oder in kirchliche wie manche Frühromantiker oder in politische Kollektive wie die des Kommunismus oder des Nationalsozialismus. Daß die drohende Chaotisierung des Lebens, die Jost Bauch befürchtet, eine Legitimation für die Bejahung straff und zentral gelenkter Kollektive zur Überwindung des Chaos sein wird, ist mehr als wahrscheinlich.

Franz Bischoff, Vraaliosen / Norwegen

 

 

Zur Meldung: "Bildersturm", JF 43/05

Dem Zeitgeist ausgeliefert

Zweiundsiebzig junge deutsche Soldaten aus Hamburg, deren Namen bisher auf einer Ehrentafel am Kriegerdenkmal 1914 - 18 im Stadtteil Groß Borstel standen, werden nun entsorgt. Wieder einmal wurde ein Ehrenmal beschädigt. Aber was viel schlimmer wiegt: Das Bezirksamt kommt nicht auf die naheliegende Idee, die Schäden beseitigen zu lassen, sondern läßt es gleich ganz abreißen.

Mit ohnmächtigem Zorn sieht man sich dem Zeitgeist ausgeliefert; die schäbige Art und Weise, wie man in Deutschland mit seinen toten Soldaten umgeht, ist einmalig. In Polen werden alte deutsche Kriegerdenkmäler neu restauriert, in Deutschland verschwinden sie! Die deutschen Bezirks- bzw. Ordnungsämter müßten schnellstens eines Besseren belehrt werden!

Heinz Csallner, Frankfurt am Main

 

 

Zu: "Glück auf, DDR!" von Fritz Schenk, JF 43/05

Unumkehrbarer Abwärtstrend

Die CDU wird zwangsläufig wieder sozialistischer werden; aber auch dieser Schwenk wird ihr nicht helfen. Auf Dauer ist die strukturelle Mehrheit der Linken im Grunde unumkehrbar, zum einen wegen des wirtschaftlichen Abwärtstrends Deutschlands, durch den die Linke mehr Zulauf erhalten wird; zum anderen durch unsere insgesamt miserable demographische Entwicklung, die darauf angelegt ist, die linken Kräfte auf Dauer erheblich zu stärken, da mehr als zwei Drittel der Geburten aus den unteren Schichten erwachsen und diese wiederum zum Gutteil auf dem überproportianalen Zuwachs aus den Zuwandererkreisen beruhen.

Die ungebildeten Kreise, welche jedem Neidreflex erliegen, werden also wachsen. Der Verlust der strukturellen bürgerlichen Mehrheitsfähigkeit seit der Bundestagswahl 1994 ist somit letztlich das offensichtliche Symptom eines im Verschwinden begriffenen Bürgertums. Was dies für die Zukunft unseres Landes bedeutet, bedarf keiner näheren Erläuterung.

Hans Maier, Köln

 

 

Zu: "Auf der Stelle getreten" von Holger Wartz, JF 43/05

Vorscheinende Islam-Sympathie

Bei der Besprechung des Buches von Hans-Peter Raddatz kommt die Sympathie des Kritikers für den Islam zum Vorschein. Wenn man versucht, ihn zu verstehen, muß man davon ausgehen, daß er es ausschließlich mit gebildeten Muslimen zu tun hat, die in ihrem Alltagsleben den "Gläubigen" doch schon um einiges entrückt sind. Holger Wartz befindet sich im Irrtum, wenn er glaubt, daß Hans-Peter Raddatz eine nicht vorhandene Islam-Lobby erfunden hat. Offensichtlicher als Noch-Bundeskanzler Schröder den Beitritt der muslimischen Türkei in die EU fordert, kann man die "Lobby" gar nicht betreiben, gefolgt von Außenminister Fischer, Ex-Vereinigungskommissar Verheugen usw.

Hubert Hermsen, Greven

 

 

Zu: "Fluchtburg vor der Globalisierung" von Peter Lebitsch, JF 43-05

Öde Gewerkschaftsrhetorik

Die weitgehend zustimmende Besprechung von Erhard Epplers Buch "Auslaufmodell Staat" reizt zum Widerspruch. Sie referiert eine Menge ökonomisches Halbwissen und öde Gewerkschaftsrhetorik. Wer Hayek als den Verleumder der "sozialen Gerechtigkeit" kritisiert, sollte wenigstens seinen zweiten Vornamen, Friedrich August von Hayek, richtig benennen. Hayeks berühmtes "Road to Serfdom"-Argument ist nicht derart oberflächlich, wie Eppler und/oder Ihr Rezensent meint. Die "neoliberale Doktrin", deren herausragender Theoretiker Hayek sicherlich war, kennt auch keineswegs einen "Glauben an die Unfehlbarkeit wirtschaftlicher Privatinitiative"! Eppler und/oder Ihr Rezensent offenbaren damit ein Maß an Ignoranz, das erstaunt: Natürlich treffen wirtschaftliche Subjekte unter Unsicherheit immer wieder Fehlentscheidungen. Die gute Nachricht jedoch ist, daß der Unternehmer dies auf eigene Rechnung tut. Der Markt bestraft ihn und korrigiert Fehler. Hayeks Argument war eben, daß der Preismechanismus als dezentrales Koordinationsinstrument unschlagbar ist.

Der Staat, sei er nun "demokratisch" legitimiert oder nicht, kann das dezentral in den Köpfen von Millionen Individuen gespeicherte Wissen niemals zentral sammeln. Seine Interventionen beruhen daher stets auf einer "Anmaßung von Wissen", so der Titel von Hayeks Rede anläßlich der Verleihung des Nobelpreises 1974. Von Hayeks sozialphilosophischem Niveau ist ein Geistzwerg wie Eppler meilenweit entfernt. Wenn er freies Unternehmertum, Wettbewerb und offene Märkte nicht als Ursache von Wachstum und Wohlstand erkennt und den Staat als allwissenden Retter herbeifleht, hat er weder das kleine Einmaleins der Ökonomie verstanden, noch möchte er die lange Liste gescheiterter Staatsinterventionen zur Kenntnis nehmen. Linke und rechte Etatisten scheinen hier ein ähnlich dickes Brett vor dem Kopf zu haben.

Michael Bauer, München

 

 

Zu: "Angela Merkel am Ziel" von Fritz Schenk, JF 42/05

Schwenk von Schenk schleierhaft

Diese Ergebenheitsadresse an Angela Merkel, ausgerechnet von Fritz Schenk verfaßt, verschlug mir fast die Sprache, weshalb mein Leserbrief etwas spät ankommt. Wie kann dieser mutige Publizist, der sich so engagiert für die Rehabilitierung von Martin Hohmann einsetzte, einen derartigen Lobgesang auf Frau Merkel zum Besten geben? Dieser Schwenk von Schenk scheint mir nicht nur schleierhaft, sondern geradezu absurd. Fritz Schenk bezeichnet die CDU-Vorsitzende als "zähe, faktensichere Schwerarbeiterin, die nicht leicht zu täuschen ist. Wer mit ihr zu tun bekommt, muß immer konkret werden und gute Argumente haben." - Gute Argumente hatte Fritz Schenk zweifellos im "Fall Hohmann": Hat er die "faktensichere" und "couragierte" Politikerin damit beeindruckt? - Offenbar nicht!

Keine Frage: "Durchsetzungsvermögen" wird man Angela Merkel nicht absprechen können, allerdings funktioniert es dann am besten, wenn sie ihre persönliche Machtbasis vergrößern kann. Daher auch ihre grundgesetzwidrige Zustimmung zur vorgezogenen Bundestagswahl, das Kaltstellen von Friedrich Merz und der Verrat an Martin Hohmann.

Felizitas Küble, Münster

 

 

Zu: "Telefonterror à la Rice" von Alexander Griesbach, JF 42/05

Vom amerikanischen Optimismus

Idealistischerweise mag man als positiv an der Eröffnung der Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei betrachten, daß dadurch eine wirkliche kulturelle Brücke zwischen der westlich geprägten und der islamischen Welt entsteht, aber das ist typisch für den Optimismus von US-Politikern. Leider gibt es Fakten, insbesondere in Deutschland, die diesen Optimismus nicht rechtfertigen. So hört man immer wieder von chauvinistisch geprägten Meinungen in der bei uns eingewanderten türkisch-stämmigen Bevölkerung, die für die Zukunft nichts Gutes erwarten lassen. Ein hier bekannter türkischer Zahnarzt vertrat einmal im privaten Zusammensein mit uns die Meinung: "Wir Türken haben Deutschland nach dem Kriege wieder aufgebaut, also gehört uns Deutschland!"- Nimmt man hinzu, daß radikal-islamische Gepflogenheiten, z.B. der Kopftuchzwang, hier stärker gefordert werden als in der Türkei selbst, und daß hier sogar sogenannte Ehrenmorde begangen werden, bleibt vom amerikanischen Optimismus nicht viel übrig.

Wulfried Heidrich, Hofgeismar

 

 

Zu: "Die Schere im Kopf des Historikers" von Franz Uhle-Wettler, JF 42/05

Bedrückende Anpassung

Die Klarheit, mit der endlich einmal der Begriff der Political Correctness in dieser von Vernebelung geprägten Zeit beleuchtet wird, ist besonders zu begrüßen. Die Anpassung von Politikern, Historikern, Medienleuten, ja sogar Verlagen an das "gewünschte" ist bedrückend. Bekanntlich hatten die Lateiner diesen Umstand bereits mit ihrem "Wehe dem Besiegten" vor 2.000 Jahren erkannt.

Wolfgang Gerhardt, Rendsburg


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