© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Meldungen

Moderne Kriege plant kein Clan-Gehirn

KÖLN. Unter dem Etikett der "Soziobiologie" war vor dreißig Jahren noch einmal ein wissenschaftspolitisch einflußreicher Versuch unternommen worden, Sozial- und Naturwissenschaften zu synthetisieren, ein Unterfangen, das sich von früheren "Belastungen" im Zeichen von Rassenhygiene und Eugenik stehender Operationen am "Volkskörper" freimachen konnte. Trotzdem sei die Übertragung vor allem evolutionsbiologischer Theorien auf die Gesellschaftslehre heute gescheitert, wie Dirk Richter in seinem Münsteraner Habilitationsvortrag resümiert (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 3/05). Die "Biologisierung des Sozialen" sei vor allem deshalb mißlungen, weil die "Leine zwischen Genen und menschlichem Sozialverhalten" offenbar doch länger sei als vermutet. Plausibilität hätten evolutionsbiologisch gestützte Sozialtheorien nur in der Beschränkung auf mikrosoziologisch eingrenzbare Phänomene wie etwa die Partnerwahl oder das Sozialverhalten in Kleingruppen erreicht. Je weiter man sich von der individuellen menschlichen Psyche entferne, desto unhaltbarer werden soziobiolgische Erklärungsmuster, wie deren empirische Überprüfung bewiesen habe. Zur Erklärung von Konflikten und Kriegen in modernen Gesellschaften tauge daher kaum der Rückgriff auf die atavistischen Dispositionen des "Clan-Gehirns", sondern allein eine Erforschung konkreter politischer und ökonomischer Ursachen.

 

Wilhelm Lehmann: Vorhang geöffnet

ECKERNFÖRDE. Leider mußte die zwischen den literaturhistorischen Vorträgen der Wilhelm-Lehmann-Tage (JF 42/05) anberaumte Wanderung, die den Spuren des Naturlyrikers auf die Halbinsel Schwansen folgte, unter ungünstigen Witterungsbedingungen erfolgen. Eintrübend war auch der Umstand, daß krankheitsbedingt Lehmanns Nachlaßverwalter und Editor, der Regensburger Literaturhistoriker Hans Dieter Schäfer, und die "holsteinische Nachtigall", die Lyrikerin Doris Runge, fehlten. Trotzdem kann von einem Erfolg gesprochen werden, da für den 1968 verstorbenen Lehmann, einen Dichter vom Kaliber Gottfried Benns, nach Jahrzehnten des Vergessens wieder ein öffentliches Podium geschaffen, ein Vorhang geöffnet wurde. Dieser Vorstoß ließe sich ausbauen, wenn, wie auf der Tagung angeregt, in Eckernförde zukünftig ein "Haus" an den Dichter erinnerte, nach dem Vorbild der musealen Begegnungsstätten in Husum (Theodor Strom), Wesselburen (Friedrich Hebbel) oder Lübeck (Thomas Mann).

 

Erste Sätze

An jenem Frühjahrsabend in Shanghai unternahm ich das Wagnis, von der Columbia Road zu Fuß nach Hause zurückzukehren.

Friedrich Sieburg: Nur für Leser. Jahre und Bücher, Stuttgart 1955


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