© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Deutsche Parallelgestalten fürstlicher Aufklärung
Eine Doppelbiographie über Friedrich den Großen und Maria-Theresia des im Mai verstorbenen Kunsthistorikers Klaus Günzel
Wolfgang Saur

Am 3. Mai verstarb der Biograph, Kulturhistoriker, Romantikspezialist Klaus Günzel 69jährig im sächsischen Zittau. Die Publikation seines neuesten, nunmehr letzten Buchs, eine reizvolle Doppelbiographie über Marie Theresia und Friedrich den Großen, hat er noch miterlebt. Der Droste-Verlag legt sie nun vor.

Klaus Günzel, der in seiner Heimatstadt zunächst die Christian-Weise-Bibliothek betreute, begann seine schriftstellerische Laufbahn als Herausgeber E. T. A. Hoffmanns, Kleists und Ludwig Tiecks. Von da aus erwarb er sich umfassende Kenntnisse zur "Kunstperiode", was sich in Monographien zu Goethe, Weimar und der deutschen Romantik niederschlug. Herausragend sein Romantiker-Handbuch mit 125 biographischen Meisteressays und seine Kulturgeschichte zur Dresdner Romantik.

Günzel verfaßte nicht eigentlich Forschungsbeiträge, deren Spezialthemen nur Fachleute kurzfristig interessieren und die schnell vergessen sind. Vielmehr schrieb er für ein breites, historisch interessiertes Publikum. Auf solider Quellenbasis, stets orientiert am aktuellen Forschungsstand, galt sein Augenmerk doch dem humanistischen Aspekt zuerst. Anschaulichkeit, atmosphärische Dichte und farbige Charakteristik begründeten seine souveräne Mitte zwischen Poesie und Wissenschaft. Die Leser waren zudem literarisch informiert genug, seine subtile Spracharbeit zu schätzen. Gern schöpfte er das biographische Material bis hin zur Anekdote aus, mit "physiognomischem Instinkt" ihr Potential entfaltend. Leichthändige Erzählformen brachten Figuren und Ereignisse nah heran, ließen malerische Tableaus entstehen aus Historie und Landschaft. Die eigentliche "historische Belletristik" indes mied er; berühmte Autoren wie Emil Ludwig, Stefan Zweig oder Carola Stern sind von ihrem Populismus nicht immer frei geblieben.

In seiner Kulturgeschichte der Kurorte und Heilbäder (1998), vollends seinen "Wiener Begegnungen" (1989) und dem "Wiener Kongreß" (1995) wird die barocke Idee des Welttheaters bestimmend, sie regiert die Darstellung und stimuliert unsere Schaulust. Verheiratet mit einer Ungarin, war es dem beschaulichen Alteuropäer zudem gemäß, auch österreichisches Erbe sich anzueignen und selbstbewußt als Sachse sich zu verorten zwischen Berlin und Wien.

Das verdeutlicht jetzt seine neue Arbeit, die beide Blickrichtungen verschränkt. Wir besitzen bedeutende Biographien zu Maria Theresia oder Friedrich II. und einschlägige Untersuchungen zur Politik der Zeit. Diese hat der Autor reichlich ausgeschöpft. Doch gelingt ihm mit der literarischen Verschmelzung der feindlichen Monarchen, seiner dialektischen Verknüpfung zweier so verschiedener Dynastien und Staaten, ihrer Metropolen und Kulturen etwas ganz Neues: nicht zusätzliche Fakten, doch überraschende Widerspiegelungen durch ungewohnte Verflechtung.

So leuchtet er preußisch-österreichischen Dualismus in spätbarocker Zeit neu aus. Die Protagonisten selbst legen es nah. Friedrich II. (1712-86) und Maria Theresia (1717-80), in Generationseinheit verbunden, politisch Kontrahenten, sind als Modernisierer doch Parallelgestalten fürstlicher Aufklärung. Das motiviert auch Biographen zur Engführung und Verschlingung beider Lebensläufe. Günzel erarbeitet konsequent symmetrisch fünf Großabschnitte, untergliedert in zahlreiche Kapitel, die alternieren zwischen Nord und Süd. Überlegen proportioniert er Politik, Kulturhistorie und biographisches Porträt. Komplexe Themen wie die Umschichtung Europas, ereignisreiche wie den Siebenjährigen Krieg, grundlegende wie die "Pragmatische Sanktion" versteht er umsichtig zu konturieren und - intelligent verknappt - griffig zu resümieren. Sei die Thematik noch so kompliziert, Günzel regiert mit leichter Hand, faßt klug zusammen und urteilt pointiert. Sachlichen Anspruch balanciert er aus mit anekdotischer Kurzweil und ästhetischem Reiz. Mag postmoderne Kunst das Dissonante, das Fraktale schätzen, kommt darstellerische Harmonie dem historischen Sachbuch doch zugute. Literarisch erfüllt er diese Form mit höchster Disziplin.

Nur am farbigem Abglanz, so Goethe, haben wir das Leben. Der bringt hier stoisches Preußentum in strenger Selbstbehauptung zur Erscheinung, dann die Habsburger und ihren Mythos. Vor diesem Hintergrund erscheinen beide Figuren großen Zuschnitts - als Menschen und Politiker gleich interessant und wesentlich, ein Schlüssel zum Verständnis europäischer Geschichte: zwei Mitspieler im großen "Welttheater".

Zeittafel, Bibliographie, Personenregister schließen den lesenswerten Band, zahlreiche Bilder runden ihn ab.

Klaus Günzel: Der König und die Kaiserin - Friedrich II. und Maria Theresia. Droste Verlag, Düsseldorf 2005, 272 Seiten, gebunden, Abbildungen, 17,95 Euro


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