© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Exemplarischer Anti-Bürger
Vergessen: Gustav Sack
Werner Olles

Zu seinen Lebzeiten wurden lediglich ein paar Erzählungen in Zeitschriften veröffentlicht, als einziges seiner Bücher erschien ein Jugendwerk, das seine Eltern 1904 auf eigene Kosten drucken ließen. Dabei verfaßte Gustav Sack in den knapp zehn Jahren, die ihm zum Schreiben blieben, zwei Romane, ein Romanfragment ("Paralyse"), zwei Dutzend Erzählungen in den Sammelbänden "Der Rubin" und "Aus dem Tagebuch eines Refraktärs", unzählige Gedichte, einige Essays und ein Kriegstagebuch. Postum erschienen 1919 im Verlag S. Fischer sein Roman "Ein verbummelter Student" und zwei Jahre später der Roman "Ein Namenloser". Beide Bücher wurden recht erfolgreich, "Ein verbummelter Student" erreichte binnen weniger Monate eine Auflage von über 20.000 verkauften Exemplaren.

Gustav Sack wurde am 28. Oktober 1885 in Schermbeck bei Wesel als Sohn einer Lehrerfamilie geboren. Ein Studium der Germanistik und der Naturwissenschaften führte ihn nach Greifswald, Halle und Münster. In Rostock leistete er 1911 seinen Wehrdienst, anschließend zog es ihn wieder nach Hause zurück. Zu dieser Zeit hatte er bereits seine beiden ersten Romane geschrieben, für die sich aber kein Verleger fand. Dennoch ging er 1913 nach München, um sich dort als freier Schriftsteller niederzulassen.

Im September 1914 wurde er eingezogen, kam zunächst an die Westfront, und erhielt schließlich trotz einiger Disziplinarstrafen sein Offizierspatent. Nach einem Aufenthalt im Militärkrankenhaus wegen eines Nervenleidens wurde er an die Front nach Rumänien verlegt. Hier ist Gustav Sack am 15. Dezember 1916 im Alter von 31 Jahren bei Finta Mare in der Nähe von Bukarest gefallen.

Sack war ein exemplarischer Anti-Bürger, der ein eigenwilliges, fast ungezügeltes Leben führte, den Literaturbetrieb haßte, sich aber nach literarischer Anerkennung sehnte. Er brach ständig mit den Normen der bürgerlichen Gesellschaft, und unternahm doch alles, um die notwendige Unabhängigkeit zum Schreiben zu erlangen. Dabei sind seine Romane durchaus geeignet, Leser zu verstören. Besonders die erotischen Passagen lesen sich wie die Bekenntnisse eines Bürgerschrecks, der an seinen existentiellen Konflikten zu zerbrechen droht.

Sacks Zweifel an Ideen, Idealen und Wertvorstellungen, an Ästhetik und Stil ging einher mit einem Nihilismus, der im Menschen nur eine zufällige Randexistenz der Schöpfung sah. Daher haben seine "Helden" auch keine Herkunft, keine Geschichte, keine Eigenschaften. Sie stellen gewissermaßen die Reduktion des Menschen dar, der sich zwar gegen seinen Auflösungsprozeß wehrt, aber nach einer Reihe gescheiterter Versuche doch aufgibt, weil weder Theologie noch Wissenschaft einen Ausweg bieten.

Auf der Suche nach neuen Werten versuchte dieser stark von Nietzsche geprägte Individualist einen Glückszustand zwischen Verheißung und Realität zu erreichen; ein intellektueller Akt, der sich gleichsam seine eigene Form suchte. Sacks expressionistische Sprache stieß zu seinen Lebzeiten jedoch auf wenig Gegenliebe. Erst in den sechziger Jahren kam es wieder zu einer Renaissance. 1962 erschienen "Prosa, Briefe und Verse" bei Langen/Müller und zuletzt 1987 bei Klett-Cotta "Ein verbummelter Student".

Paul Hühnerfeld, der 1957 einige Gedichte Sacks in seine Antologie "Zu Unrecht vergessen" aufnahm, berichtete, daß Sack wenige Wochen vor seinem Tod während eines Heimaturlaubs seine Manuskripte gesichtet habe und dann zu seiner Frau sagte: "Jetzt müßte ich fallen, dann werden die Bücher gedruckt, und alles ist in schönster Ordnung." Hühnerfeld dazu: "... daß alles in schönster Ordnung ist, kann man wohl nicht sagen, da wir ihn ganz vergessen haben."


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